Neue Wege in der geriatrischen Versorgung: Altern selbst gestalten

25.05.2019 | Medizin


Die steigende Zahl an geriatrischen Patienten erfordert eine Umstrukturierung des bisherigen Versorgungssystems. Vielerorts entstehen die unterschiedlichsten Projekte – wie Beispiele aus der Steiermark und Kärnten zeigen, die beim Geriatriekongress Ende April in Wien präsentiert wurden.

Die Statistik Austria rechnet 2030 mit einem Anteil von 23,1 Prozent der über 65-Jährigen; in Kärnten werden sogar 28,2 Prozent erwartet. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2000 nur 15,4 Prozent und im Jahr 2016 rund 18,5 Prozent, was die Notwendigkeit widerspiegelt, entsprechende Strukturen zu schaffen. „Die Kärntner Geriatriestrategie ist hauptsächlich auf Privatinitiative von Einzelpersonen entstanden“, erklärt Herbert Janig, ehemaliger Professor für Psychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Aus eigener Erfahrung weiß der Experte, wie schwierig es ist, gewachsene Strukturen in Bewegung zu bringen. Die Kärntner Geriatriestrategie umfasst auf die geriatrische Betreuung bezogene Wirkungsziele, die in den allgemeinen Klinikbetrieb eingegliedert sind sowie speziell in den geriatrischen Regelbetrieb integrierte Strukturen, darunter die Patientenfallkonferenz, die geriatrische Tagesklinik, den Geriatrischen Konsiliardienst (GeKo), das Alterstrauma-Zentrum, die mobile geriatrische Remobilisation sowie das Hospiz und mobile Palliativteams.

Im Sinne eines altersfreundlichen Krankenhauses werden im Rahmen der Kärntner Geriatriestrategie schon jetzt wichtige Ziele umgesetzt. „Was aber noch fehlt, sind Kooperation und Kompetenz“, betont Janig. Zum einen gehe es dabei um die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe untereinander, zum anderen um die Kooperation der Gesundheitsberufe mit den Patienten. In der Arzt-Patienten-Interaktion ist der Shared-Decision-Making-Ansatz (SDM), also eine Kommunikation auf Augenhöhe, anzustreben, so Janig.

Ein weiteres Best-Practice-Beispiel ist das Alterstrauma-Zentrum des Klinikums Klagenfurt am Wörthersee, in dem die Leitlinie „Patientenpfad hüftnahe Fraktur“ umgesetzt wird. „Hüftnahe Frakturen sind die einschneidendsten Erlebnisse für Patienten“, weiß Ernst Müller von der Abteilung für Unfallchirurgie am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee. Dabei geht es nicht nur um die Fraktur an sich; auch die begleitende Problematik muss berücksichtigt werden. Mit der Fraktur gehen häufig langfristige gesundheitliche Probleme wie Dehydratation, Delir, Gebrechlichkeit und weitere Begleiterkrankungen einher. Von besonderer Bedeutung ist es daher, strukturiert und zielgerichtet zu arbeiten und schnelle Entscheidungen zu treffen. Müller zufolge braucht es für alle Abläufe sogenannte „Standard Operating Procedures“ (SOPs). Zwar funktioniere die interdisziplinäre Zusammenarbeit mittlerweile gut; dennoch sei es ein langer Weg bis dorthin gewesen. Besonders zu Beginn eines solchen Prozesses sei es immer schwierig, alle Teammitglieder aus den unterschiedlichen Bereichen regelmäßig an einen Tisch zu bekommen. Einfacher gestaltet sich das, wenn messbare Ergebnisse erzielt werden. Zu sehen, dass die eingeleiteten Maßnahmen zu signifikanten Verbesserungen der Daten führen, motiviere dazu, die Strategie weiterzuverfolgen. Mittlerweile seien die tägliche geriatrische Visite an der Unfallchirurgie, die wöchentliche unfallchirurgische Visite an der Geriatrie und die wöchentliche Teambesprechung Bestandteil des Routineablaufs, wie Müller erklärt.

Wie schwierig die Etablierung eines Alterstrauma-Zentrums sein kann, wenn die Standortfaktoren nicht passen, weiß Peter Mrak von der Abteilung für Innere Medizin 2 des LKH Weststeiermark, Standort Voitsberg. Die Krankenhäuser in der Steiermark sind untereinander zu sogenannten Spitalsverbünden zusammengeschlossen. Geographisch bedingt liegt zwischen den Krankenhäusern in der Regel eine relativ große Entfernung – so liegt etwa das LKH Weststeiermark rund 40 Kilometer vom LKH Graz Süd-West entfernt, was die Zusammenarbeit laut Mrak erschwert. In der Steiermark werde bereits seit 2014 in Richtung Alterschirurgie gedacht, allerdings wurden erst 2018 effektiv Maßnahmen gestartet. Bereits umgesetzt wurde eine Verminderung der Liegedauer und der Wartezeit bis zur Übernahme auf die Akutgeriatrie.

Strukturierte Zusammenarbeit

An den Umsetzungserfahrungen aus Kärnten und der Steiermark wird deutlich, wie wichtig die strukturierte, kontinuierliche und interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, um alte Strukturen aufzubrechen und neue – wie die integrative Versorgung geriatrischer Patienten – zu etablieren. Eine Grundvoraussetzung sei ein Umdenken in der Gesellschaft. Erst langsam beginne sich die Sichtweise gegenüber dem Alter und dem Prozess des Alterns zu ändern. Als wichtige Schritte in diese Richtung nennt Janig, „zu erkennen, dass die Plastizität bis ins höchste Lebensalter besteht und wir genug Möglichkeiten und Potenziale haben, das eigene Altern aktiv zu gestalten“. (ls)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2019