Biosimilars: Sicher und effektiv

10.04.2019 | Medizin


Als Alternative zu Lovenox steht für die Antikoagulation seit einiger Zeit auch ein Biosimilar zur Verfügung. Die Bioäquivalenz und damit die Wirksamkeit wurden im Rahmen des Zulassungsverfahrens durch die Europäische Arzneimittelbehörde nachgewiesen. Der Hauptgrund, sich für ein Biosimilar zu entscheiden, liegt nach Ansicht von Experten im Preis.

Laura Scherber

Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Pulmonalembolie oder prophylaktisch, um die Entwicklung einer Thrombose zu verhindern – all das sind Situationen in denen die Blutgerinnung therapeutisch beeinflusst wird. „Speziell bei Personen, die länger immobil sind, geht es darum, ein thrombotisches Geschehen zu verhindern“, erklärt Univ. Prof. Andrea Podczeck-Schweighofer von der 5. Medizinischen Abteilung mit Kardiologie am Sozialmedizinischen Zentrum Süd in Wien.

Für die Hemmung der Blutgerinnung werden unterschiedliche Substanzen eingesetzt, die je nach Therapieziel auf das venöse oder arterielle System wirken. „Will man zum Beispiel die Thrombozytenfunktion bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom oder nach Stent-Implantation beeinflussen, verwendet man Thrombozytenaggregationshemmer wie Aspirin, Plavix, Efient oder auch niedermolekulare Heparine wie zum Beispiel Enoxaparin, das sich in der Kardiologie etabliert hat“, so Podczeck-Schweighofer. Soll hingegen eine Thrombose oder eine Pulmonalembolie behandelt werden, wird im ersten Schritt Enoxaparin verabreicht und im zweiten Schritt orale Antikoagulantien – entweder Vitamin K-Antagonisten oder die neuen direkten oralen Antikoagulantien (NOAKs). „Ist ein Patient mit Vorhofflimmern mit einem Vitamin K-Antagonisten oral antikoaguliert, muss man schauen, dass sich der INR-Wert im therapeutischen Bereich befindet“, betont Podczeck-Schweighofer. Den Vorteil der NOAKs sieht sie darin, dass diese „dosisunabhängig eine orale Antikoagulation gewährleisten“.

Im niedergelassenen Bereich nimmt bei der Beeinflussung der Gerinnung die Betreuung von Patienten mit Vorhofflimmern den größten Stellenwert ein, weiß Naghme Kamaleyan-Schmied, niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin in Wien. „Hier kommen Marcoumar oder die neuen NOAKs zum Einsatz.“ Können diese Substanzen aus irgendeinem Grund nicht eingesetzt werden, wird auf niedermolekulare Heparine umgestellt. Dies ist zum Beispiel bei Patienten mit einer unzureichenden Nierenfunktion, Unverträglichkeiten oder vor einem geplanten operativen Eingriff der Fall. Auch bei immobilen Patienten nach Operationen, Frakturen, Totalendoprothesen der Hüfte oder des Knies sowie bei Patienten mit einer Thrombose kommen niedermolekulare Heparine – vor allem Fragmin – zum Einsatz. Kamaleyan-Schmied beobachtet jedoch, dass diese Substanzen wegen der immer rascheren Mobilisierung der Patienten deutlich kürzer benötigt werden, außerdem werden bei Knie- und Hüft-Totalendoprothesen die NMH durch NOAKs ersetzt werden. „Ist bei einem Patienten unter Antikoagulation eine Operation notwendig, wird im Zuge des Bridging als Überbrückung auf niedermolekulare Heparine umgestellt“, berichtet Kamaleyan-Schmied. Hier komme es häufig zu Problemen wie etwa bei Zahn-Extraktionen oder bei Entfernungen von kleinen Muttermalen, wie die Allgemeinmedizinerin aus der Praxis weiß. Hier werden öfter aus Angst vor Blutungen die Antikoagulantien einige Tage vor dem Eingriff abgesetzt, „obwohl das laut Richtlinie gar nicht notwendig ist“, wie Kamaleyan betont. „Das Ergebnis sind Patienten mit Vorhofflimmern, die medikamentös komplett unversorgt sind, bei denen sowohl Vitamin-K-Antagonisten und NOAKs, als auch die niedermolekularen Heparine fehlen und man als betreuender Arzt nur froh sein kann, wenn der Patient in diesem Zeitraum keinen Insult hat.“

Compliance als Herausforderung

Probleme ortet die Allgemeinmedizinerin bei der Compliance: „Für die Patienten stellt es eine große Herausforderung dar, sich selbst eine Injektion zu verabreichen.“ Deswegen bietet sie in ihrer Ordination zu den Öffnungszeiten an, das zu übernehmen. Problematisch werde die Situation am Wochenende, wenn die Ordination geschlossen ist. Ein weiterer Grund, der sich problematisch auf die Compliance auswirkt, sind die durch die Injektionen entstehenden blauen Flecken, was viele speziell im Sommer als beeinträchtigend erleben. Daher sei die Compliance bei oralen Antikoagulantien weitaus höher als bei den subkutan zu verabreichenden Präparaten. Da bei vielen Patienten, die mit Enoxaparin-Natrium gut eingestellt waren, das Medikament von der Krankenkasse wegen des Preises nicht mehr bewilligt wurde, war eine Umstellung erforderlich. „Das Enoxaparin Biosimilar wird von der Kassa leichter bewilligt. Wir haben keine Probleme damit, keine Komplikationen, und es funktioniert gut“, berichtet die Expertin aus der Praxis.

Vergleichbare Chargenvariation

Im Hinblick auf die Anti-Faktor Xa-Aktivität sei das Biosimilar Enoxaparin ausgiebig getestet und „es ist vollkommen äquivalent“, weiß Univ. Prof. Michael Freissmuth vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien. Ebenso wie Lovenox besteht auch das Biosimilar Enoxaparin aus einem Gemisch von Heparin-Bruchstücken, was auch der Grund dafür ist, wieso jede Charge eine geringe Variation aufweist. „Entscheidend ist, dass alle Chargen normiert und auf ihre Anti-Faktor Xa-Aktivität überprüft sind“, unterstreicht Freissmuth. So ist die Chargenvariation komplett vergleichbar, das heißt: Die Variation in der Wirksamkeit zwischen einzelnen Chargen des Biosimilars Enoxaparin ist genauso groß wie zwischen einzelnen Chargen von Lovenox.

Vor diesem Hintergrund bezeichnet es Freissmuth als „egal“, wofür man sich entscheide; der Hauptgrund, sich für ein Biosimilar zu entscheiden, liege seiner Ansicht nach im Preis. „Es ist begrüßenswert, dass es Biosimilars gibt. Sie stellen ein Korrektiv dar, ohne dass das Gesundheitsbudget explodieren würde“, betont Freissmuth.

Je nach Packungsgröße und Dosierung sei Enoxaparin Biosimilar im Vergleich zu Lovenox um bis zu 50 Prozent günstiger, unterstreicht auch Christoph Baumgärtel von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). „Damit stellt es einen entscheidenden Vorteil für das Gesundheitssystem dar“, so Baumgärtel weiter. So habe das Biosimilar Enoxaparin im ersten Vermarktungszeitraum, dem vierten Quartal 2018, einen Markanteil von 20 Prozent erreicht. „Das zeigt, dass das Produkt offenbar sehr gut angenommen wird“, sagt Christoph Baumgärtel. Was die Begrifflichkeit anlangt: Heparine werden als Biologika eingestuft; bei Nachfolgeprodukten handelt es sich per definitionem um Biosimilars. Während für die Zulassung von Generika eine Bioäquivalenzstudie gefordert wird, müsse der Antragsteller bei einem Biosimilar wesentlich mehr Daten einbringen, so Baumgärtel. In manchen Fällen reichen pharmakokinetische Studien aus; zusätzlich sind Wirksamkeits- und Sicherheitsbewertung erforderlich. „Bei einem Biosimilar hängt das davon ab, wie groß und komplex dieses Molekül ist und wie sehr man es analytisch spezifizieren kann“, erklärt Baumgärtel. Da die beiden Enoxaparin Biosimilars mit 4.500 Dalton im Vergleich zu anderen Biologika eine kleine Molekülgröße aufweisen, können relevante Unterschiede zum Originalprodukt mit der Comparability Exercise im Labor sehr leicht identifiziert werden. „Außerdem handelt es sich bei Enoxaparin Biosimilar um ein Heparin, das relativ leicht hergestellt werden kann, weil es nicht biotechnologisch sondern aus Schweinedarmmukosa gewonnen wird“, so der Experte der AGES. Durch diese konventionelle Herstellung wird das Molekül überschaubar; noch dazu kann es für Injektionszwecke in Wasser aufgelöst werden.

Diese sensitiven Analysemethoden ermöglichen es auch, bei Molekülen wie Enoxaparin die Zulassung, die Wirksamkeits- und auch die Sicherheitsbewertung zu einem sehr großen Teil in vitro beziehungsweise im Labor durchzuführen. „Etwaige Unterschiede zwischen Biosimilar und Originalprodukt können viel genauer beschrieben werden als mit jeder noch so großen klinischen Studie“, führt Baumgärtel weiter aus. Vom wissenschaftlichen Aspekt aus betrachtet – so sieht es jedenfalls die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) – reicht es aus, im Rahmen des Specific Tailored Development Approach auf eine große klinische Studie zu verzichten und stattdessen die Moleküle erst im Labor zu analysieren und im Anschluss eine weniger kosten- und zeitintensive Bioäquivalenzstudie durchzuführen.

Während bei Generika ein pharmakokinetischer Ansatz gewählt wird, wird bei Biosimilars eine erweiterte Bioäquivalenzstudie mit pharmakodynamischen Parametern durchgeführt. Bei Enoxaparin Biosimilar konnte die Hemmung der pharmakodynamischen Endpunkte, Faktor IIa und Faktor Xa „und damit die Wirksamkeit und Bioäquivalenz nachgewiesen werden, sodass einer Zulassung seitens der EMA beziehungsweise der nationalen Behörden nichts im Weg stand“, erläutert Baumgärtel.

Zweifel an Generika und Biosimilars

Nach dem Ablauf von Patenten, wenn Generika oder Biosimilars auf den Markt kommen, werde (immer wieder) versucht, Zweifel an diesen Nachfolgeprodukten zu säen. So etwa wurde im Vorfeld der Etablierung kritisiert, dass möglicherweise Überempfindlichkeitsreaktionen oder pseudoallergische Reaktionen gehäuft auftreten könnten. Baumgärtel dazu: „Diese Bedenken konnten weder in der Pivot-Studie noch in der supportiven Studie bestätigt werden und wie bei jedem neuen Produkt werden Pharmakovigilanz-Meldungen die tatsächliche Sicherheit in der Anwendung im Laufe der Zeit bestätigen.“

Freissmuth führt einen weiteren Punkt an, nämlich dass Hersteller von Originalprodukten „aus marketingtechnischen Gründen kleine Unterschiede bei Parametern des Biosimilars überbetonen“. Als Beispiel nennt er die a priori „schlecht messbaren Tissue-factor-Inhibitoren, die für die Wirksamkeit vollkommen unbedeutend sind“. Freissmuth erinnert sich an ähnliche Diskussionen vor 20 Jahren, als Generika mit „zum Teil schwer nachvollziehbaren Begründungen“ (Freissmuth) abgelehnt wurden. So wurden beispielsweise Patienten bei der Einführung von Antiepileptika-Generika mit entsprechenden Marketingmaßnahmen verunsichert. Das hatte zur Folge, dass die im Rahmen des Umstiegs von Originalprodukt auf Generikum folgende Steigerung der Anfälle auf Nocebo-Effekte zurückzuführen war, wie der Experte weiß. „Sind die Kriterien der Biosimilarität erfüllt und ist eine Substanz durch die Europäische Arzneimittel-Agentur zugelassen, gibt es keinen nachvollziehbaren medizinischen Grund, ein Biosimilar abzulehnen“, betont Freissmuth. Diese Ansicht vertritt auch Baumgärtel: Da es aus wissenschaftlicher Sicht der EMA und der AGES als nationaler Behörde keinen Zweifel an der für die Zulassung ausreichenden Wirksamkeit und Sicherheit gibt, bestehe „kein Grund zur Sorge bei der Verschreibung von Enoxaparin Biosimilar“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2019