Unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Nebenwirkungen sind keine Nebensache

25.01.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Dr. Jochen Schuler, ÖÄK-Medikamenten-Referent: Nur ein Bruchteil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) wird gemeldet.
Andrea Riedel

Wie „meldefreudig“ ist die heimische Ärzteschaft?
Nicht sehr, wie übrigens in vielen anderen Ländern auch. 2017 haben nur 273 Spitals- und 256 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte eine UAW-Meldung ans Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) abgegeben. Statistisch gesehen meldet also nur jeder oder jede 85. der rund 45.000 aktiven Ärzte einen UAW-Verdacht pro Jahr. Hinzu kommen noch viele der 5700 Meldungen durch Zulassungsinhaber, weil diese ja meist von behandelnden Ärzten informiert werden. Aber auch 6300 Meldungen pro Jahr sind, gemessen an der vermuteten Gesamtzahl, viel zu wenig. Die WHO geht davon aus, dass weniger als zehn Prozent aller UAW gemeldet werden. Ich vermute, in Österreich liegen wir noch deutlich darunter.

Ist das Melden zu aufwändig?
Eine UAW-Meldung ist weniger bürokratisch, als viele glauben. Man kann das Formular von der BASG-Webseite herunterladen und in fünf Minuten ausfüllen. Wichtig ist, die Handelsnamen der Medikamente einzugeben, dann gibt es kaum Rückfragen. Wir Ärztinnen und Ärzte sollten uns stärker bewusst machen, dass uns das Arzneimittelgesetz im §75 verpflichtet, dem BASG jeden UAW-Verdachtsfall zu melden, der uns unterkommt. Nur durch eine hohe Meldedisziplin lassen sich Risikosignale für seltene Nebenwirkungen, kritische Interaktionen und häufige Medikationsfehler erkennen. Das ist umso wichtiger, als bereits mehr als ein Drittel der neuen Arzneimittel als so genannte Orphan Drugs zugelassen und nicht an allzu vielen Patienten getestet wurden. Das erfordert besondere Aufmerksamkeit nach der Zulassung. Zudem können Ärzte die Meldung delegieren, etwa an den Hersteller oder die Apotheker. Seit 2013 dürfen sogar Patienten selbst melden.

Dazu haben Arzneimittelbehörden auch 2018 weltweit Patienten ermuntert. Hätten Sie sich Ähnliches vom BASG gewünscht?
Ja. Prinzipiell begrüße ich es, Patienten in den Pharmakovigilanzprozess einzubinden. Das bisherige System der Spontanmeldungen funktioniert einfach nicht gut genug.

Ist die Vorgabe, alle Nebenwirkungen zu melden, nicht völlig unrealistisch?
Laut Gesetz ist tatsächlich jeder Verdacht zu melden. Auch ich halte das nicht für sehr realistisch. Was aber jedenfalls gemeldet werden sollte, sind sämtliche UAW beim Einsatz neu zugelassener Arzneimittel – gekennzeichnet durch ein schwarzes Dreieck – und bei allen übrigen jede noch nicht bekannte UAW. Weiters alle bedrohlichen UAW, auch wenn sie längst bekannt sind. Das ist wichtig für die Risikobewertung von Arzneimitteln außerhalb klinischer Studien. Und keine Angst: Das BASG behandelt prinzipiell alle Meldungen vertraulich. Es gibt keine negativen Konsequenzen, auch dann nicht, wenn ein Medikationsfehler vorliegen sollte.

Einer Umfrage zufolge haben 40 Prozent der befragten Österreicher schon einmal ein Medikament aus Angst vor Nebenwirkungen nicht eingenommen. Ein Alarmsignal?
Das glaube ich nicht. Ein gewisser Respekt vor medizinischen Eingriffen ist durchaus vernünftig. Auch in den Plazeboarmen kontrollierter Studien zeigen sich bei bis zu achtzig Prozent der Patienten Symptome im Zusammenhang mit einer neuen Therapie, sei es aus Zufall, oder weil Nozeboeffekte oder tatsächliche Nebenwirkungen auftreten. Ich bin überzeugt, dass wir Ärztinnen und Ärzte die Therapieadhärenz steigern und viel Gutes bewirken können, wenn wir Patienten gewissenhaft über Nutzen und Risiken einer Therapie aufklären und neu auftretende Symptome sowie Ängste vor Nebenwirkungen ernst nehmen. Schließlich können Arzneimittel ihren intendierten Zweck nur erfüllen, wenn sie auch eingenommen werden.

Info: www.basg.gv.at/pharmakovigilanz/phv-meldungformulare/

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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2019