Pen­sio­nie­rungs­welle: Kurs­kor­rek­tur oder Kentern

25.03.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


In den kom­men­den zehn Jah­ren wird gut ein Drit­tel aller Spi­tals­ärzte das Pen­si­ons­al­ter errei­chen, was die hei­mi­schen Kran­ken­häu­ser vor rie­sige Her­aus­for­de­run­gen stel­len wird. „Wir dür­fen auf kei­nen Fall län­ger zuschauen“, ruft ÖÄK-Vize­prä­si­dent Dr. Harald Mayer drin­gend zum Gegen­steu­ern auf.
Sascha Bunda

Die öster­rei­chi­sche Gene­ra­tio­nen­struk­tur ist im Wan­del: Die soge­nann­ten Baby­boo­mer zie­hen sich zurück und hin­ter­las­sen zum einen auf dem Arbeits­markt Lücken, zum ande­ren hält ein neuer Wer­te­ka­non Ein­zug in die „neue Welt des Arbei­tens“. Der demo­gra­phi­sche Wan­del ist der Ärz­te­schaft längst bekannt, seit Jah­ren ver­weist sie auf die bevor­ste­hende Pen­sio­nie­rungs­welle, die sich in jeder Sta­tis­tik deut­lich ange­kün­digt hat. Wenn man sich die aktu­elle Alters­ver­tei­lung der öster­rei­chi­schen Ärzte ansieht, stellt sich die Lage dar wie folgt: Von den aus­schließ­lich ange­stell­ten Ärz­tin­nen wer­den 33,7 Pro­zent in den kom­men­den zehn Jah­ren ihr mög­li­ches Pen­si­ons­an­tritts­al­ter errei­chen, bei ihren männ­li­chen Kol­le­gen sind es 31,3 Pro­zent. Das frü­here Pen­si­ons­al­ter für Frauen berück­sich­ti­gend, wer­den in den kom­men­den zehn Jah­ren 30 Pro­zent der All­ge­mein- und Vis­ze­ral­chir­ur­gen, 35 Pro­zent der Inter­nis­ten und 44 Pro­zent der Anäs­the­sis­ten das Pen­si­ons­al­ter erreichen.

Rasches Han­deln gefordert

Ange­sichts der bis­he­ri­gen Reak­tio­nen liegt das Bild des ein­sa­men Rufers in der Wüste nahe. Nur lang­sam setzt sich außer­halb der Ärz­te­kam­mer das Ver­ständ­nis durch, wie ernst die Lage bereits ist. Doch „lang­sam“ ist ein Wort, das in die­sem Zusam­men­hang eher nicht vor­kom­men sollte, denn gerade bei den Medi­zi­nern ist schnel­les Han­deln mitt­ler­weile alter­na­tiv­los. Denn zum einen steht ein unwie­der­bring­li­cher Erfah­rungs­schatz auf dem Spiel. „Eine unschätz­bare Menge an Know-how und Erfah­rung droht von der Pen­sio­nie­rungs­welle weg­ge­spült zu wer­den“, stellt Harald Mayer, Vize­prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer und Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte klar.

Zum ande­ren braucht fri­scher Nach­wuchs genü­gend Zeit. „Die Aus­bil­dung zum Arzt ist eine äußerst kom­plexe Auf­gabe, die aus gutem Grund viel Zeit in Anspruch nimmt. Man darf bei die­ser Wei­chen­stel­lung nicht ver­ges­sen, dass die Effekte nicht in der Sekunde sicht­bar wer­den“, erklärt Mayer. Diese Fak­ten machen klar, wie drän­gend der Bedarf nach schnel­len und effek­ti­ven Lösun­gen ist. Wei­ter auf­ma­chen lässt sich das Zeit­fens­ter näm­lich kaum: In bis­he­ri­gen Umfra­gen äußer­ten sich gut zwei Drit­tel der Ärzte pes­si­mis­tisch, dass man mit 65 Jah­ren die Tätig­keit als Spi­tals­ärz­tin oder Spi­tals­arzt noch aus­üben werde. „Um das Wis­sen die­ser Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zu ret­ten, bedarf es der Mög­lich­keit und den Rah­men­be­din­gun­gen, dass sie ihre Erfah­rung ordent­lich an den Nach­wuchs wei­ter­ge­ben kön­nen“, for­dert Mayer.

Aus Umfra­gen unter Jung­me­di­zi­ne­rin­nen und Jung­me­di­zi­nern ist bekannt, dass genü­gend Unter­stüt­zung durch die Lei­tung sowie aus­rei­chend Zeit für die Aus­bil­dungs­auf­gabe zen­trale Kri­te­rien für eine gute Aus­bil­dung sind. „Hier müs­sen wir anset­zen“, sieht auch Karl­heinz Korn­häusl, Obmann der Bun­des­sek­tion Tur­nus­ärzte der ÖÄK und stell­ver­tre­ten­der Obmann der Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte, klar den Auf­trag: „Von einer qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Aus­bil­dung wer­den alle Sei­ten und auch künf­tige Gene­ra­tio­nen pro­fi­tie­ren. Weni­ger büro­kra­ti­sche Zeit­fres­ser und der fort­ge­setzte Kampf gegen Arbeits­ver­dich­tung sind unab­ding­bar, um junge Men­schen wei­ter für die Arbeit im Spi­tal zu begeis­tern“, sagt Kornhäusl. 

In die­sem Zusam­men­hang gelte es auch, arzt­fremde Tätig­kei­ten genau unter die Lupe zu neh­men. Schon eine Vor­ge­hens­weise, die pro Fall nur wenige Minu­ten in Anspruch nimmt, könne in der Masse einen gro­ßen Effekt haben. „Krea­tive Lösun­gen sind gefragt, die Lage ist mehr als ernst“, so Harald Mayer.

Demo­gra­phi­scher Wandel

Schließ­lich sei die Pen­sio­nie­rungs­welle nicht der ein­zige Fak­tor, der den Blick auf die Zukunft der öster­rei­chi­schen Gesund­heits­ver­sor­gung trübt: Denn gleich­zei­tig wird die Gesell­schaft immer älter, Spi­tals­auf­ent­halte und Pfle­ge­be­darf wer­den anstei­gen. Zum ande­ren wird der öster­rei­chi­sche Nach­wuchs inter­na­tio­nal immer gefrag­ter. Hier muss die Kon­kur­renz­fä­hig­keit vor allem mit dem benach­bar­ten deutsch­spra­chi­gen Aus­land unbe­dingt gewahrt blei­ben. Schon der­zeit leiste man sich den frag­wür­di­gen Luxus, dass fast 40 Pro­zent aller Medi­zin­ab­sol­ven­ten der hei­mi­schen Uni­ver­si­tä­ten spä­ter nicht in Öster­reich tätig seien. „Öster­rei­chi­sche Absol­ven­ten sind durch ihren hohen Aus­bil­dungs­stan­dard inter­na­tio­nal sehr begehrt – wir müs­sen ihnen Argu­mente geben, hier tätig zu wer­den“, ruft Mayer auf.

Die Aus­bil­dung von Medi­zi­nern, die dem öster­rei­chi­schen Gesund­heits­sys­tem nicht zur Ver­fü­gung ste­hen wür­den, bedeute gro­ßen volks­wirt­schaft­li­chen Scha­den, sagt der ÖÄK-Vize­prä­si­dent. „Inves­ti­tio­nen in zusätz­li­che Stel­len für Aus­bil­dungs­ärzte sind drin­gend not­wen­dig – und sie wer­den erheb­li­chen Nut­zen brin­gen.“ „Die Poli­tik hat zuletzt gezeigt, dass sie den Ärz­te­man­gel nun ernst neh­men will. Diese Absichts­er­klä­run­gen müs­sen jetzt in kon­krete Maß­nah­men mün­den“, ruft Mayer auf. Nun gelte es, Geld für neue Aus­bil­dungs­stel­len in den Spi­tä­lern in die Hand zu neh­men. „Wir dür­fen auf kei­nen Fall noch län­ger taten­los zuse­hen“, so Mayer.

Zudem muss bei den Struk­tu­ren dahin­ge­hend nach­ge­bes­sert wer­den, dass auch ältere Kol­le­gen dem Sys­tem mög­lichst lange erhal­ten blei­ben kön­nen. „Wir müs­sen die­sen Erfah­rungs­schatz so gut wie mög­lich an die künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen wei­ter­ge­ben. Das ist eine Res­source, die ein­fach nicht ersetz­bar ist“, sagt Mayer. Von der Mög­lich­keit zu fle­xi­ble­rem Arbei­ten könn­ten jeden­falls alle Gene­ra­tio­nen pro­fi­tie­ren. Schließ­lich sind eine Work-Life-Balance und fami­li­en­freund­li­che Maß­nah­men eben­falls auf der Check­liste von Jung­me­di­zi­ne­rin­nen und Jungmedizinern.

Bei den aus­schließ­lich ange­stell­ten Ärz­ten liegt die Frau­en­quote der­zeit bei über 54 Pro­zent. „Aus der jüngst erstell­ten Ärz­tin­nen­um­frage der ÖÄK wis­sen wir, dass Fami­li­en­pla­nung und Kin­der­be­treu­ung nach wie vor die größ­ten Kar­rie­re­hin­der­nisse dar­stel­len“, so Mayer. „Lebens­kon­zepte ver­än­dern sich, auch Wer­tig­kei­ten unter­lie­gen einem demo­gra­phi­schen Wan­del. Wir machen uns dafür stark, dass Rah­men­be­din­gun­gen geschaf­fen wer­den, die all unse­ren Ärz­tin­nen, aber auch Ärz­ten, einen Aus­gleich zwi­schen Job, Pri­vat­le­ben und Fami­lie ermöglichen.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2019