Patientensicherheit: Sanktionsfrei und lehrreich

10.11.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Übergabe unter Zeitdruck und mangelnde Kommunikation können zu Behandlungsfehlern führen. Die anonyme Plattform CIRSmedical ermöglicht den offenen Austausch, um die Patientensicherheit zu erhöhen.

Sophie Niedenzu

Aus Fehlern lernen, um immer besser zu werden“: Das ist das Motto des Critical Incident Reporting System, kurz CIRS. Das bundesweite, freiwillige und anonyme Fehlerberichts- und Lernsystem wendet sich an alle im österreichischen Gesundheitswesen Beschäftigten sowie an alle Patienten. CIRS untersucht die Fragen: Was ist geschehen? Was war das Ergebnis? Warum ist etwas geschehen? Wie könnte so etwas zukünftig verhindert werden? Auf der Online-Plattform werden daher sicherheitsrelevante Ereignisse, Beinahe-Fehler, Risiken, kritische oder unerwünschte Ereignisse berichtet, kommentiert oder können zu Lernzwecken nachgelesen werden. CIRSmedical, das von der Österreichischen Ärztekammer implementiert und von der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung- und Qualitätsmanagement in der Medizin (ÖQMED) operativ umgesetzt wird, feiert heuer sein zehnjähriges Bestehen.

Der Fokus liegt auf dem Vorfall im Speziellen, nicht auf mögliche Sanktionen für den Einzelnen. „Für die Anzeige strafrechtlich relevanter Vorfälle sind Polizei oder Staatsanwaltschaft zuständig. Bei CIRS geht es hingegen darum, Fehler als Lernquelle zu nutzen, um eine Fehlerkultur ohne ‚blame and shame‘,“ sagt Artur Wechselberger, Mitglied im CIRSmedical Team sowie Leiter zweier ÖÄK-Referate, die sich mit Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement und Patientensicherheit befassen. Leider sei die Fehlerkultur in Österreich noch nicht soweit, dass man sich traue, offen zu reden, daher sei die Plattform anonym. Damit sei sichergestellt, dass ohne Beschönigung und Einschränkung über Fehler oder Beinahe-Fehler berichtet werde. Nur dann sei „ein echter Lerneffekt“ gegeben. Für die Fehlerberichte sei auch unerheblich, ob ein Patient geschädigt wurde oder nicht und aus Schilderungen zu Beinahe-Fehlern ließe sich für die Zukunft lernen, kritische Situationen zu entschärfen und so ein sinnvolles Risikomanagement zu führen. Handle es sich nicht um individuelle Kenntnismängel, seien oft systematische Fehler ursächlich für kritische Situationen. „Die meisten Vorfälle lassen sich auf Organisations-, Kommunikations- oder Medikationsfehler zurückführen. Kein Fall für CIRS sind Arzneimittel-Nebenwirkungen. Solche Beobachtungen sind direkt der österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit zu übermitteln“, sagt Wechselberger. Hauptmelder von CIRS seien mit 43 Prozent Krankenhäuser, in denen die Arbeitsdichte hoch sei und wenig Zeit für Kommunikation mit Kollegen und Patienten bliebe – Stichwort Übergabe-Fehler. Weitere 16 Prozent der berichteten Ereignisse werden aus Ordinationen berichtet.

Internationale Vernetzung

Bevor die Berichte im System veröffentlicht werden, durchlaufen sie ein streng geregeltes Prüfverfahren. Sie müssen sachlich und vollständig sein und der Berichtende müsse den Vorfall selbst beobachtet haben oder daran beteiligt gewesen sein. „Für Beschwerden sind Spitalsombudsleute, Patientenanwaltschaften oder die Schlichtungsstellen der Landesärztekammern zuständig“, betont Brigitte Ettl, Präsidentin der Plattform Patientensicherheit und Ärztliche Leiterin des Krankenhauses Hietzing. Wichtig sei der organisationsübergreifende Nutzen des Systems. „Nicht Berichtsrekorde sind das Ziel von CIRSmedical, sondern die Teilnahme von möglichst allen Bereichen des Gesundheitswesens und langfristig auch die internationale Vernetzung nationaler Fehlerberichtssysteme“, ergänzt Wechselberger. 

Neben individuellen Usern nutzen derzeit 22 Organisationen die Möglichkeit, CIRSmedical als eigene „Meldegruppe“ einzurichten, darunter vor allem Spitäler, aber etwa auch die ÖÄK-Sektion Allgemeinmedizin oder das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK). Für die Leiterin des Rettungsdienstes und der psychosozialen Betreuung des ÖRK, Monika Stickler, ist CIRS ein guter Weg, die Qualität in der präklinischen Versorgung von Patienten zu verbessern und sicherzustellen. Wegen der positiven Erfahrungen im Rettungsdienst hat das Rote Kreuz CIRS 2013 auch für den Bereich der Hauskrankenpflege geöffnet. „Die Sicherheit der Patienten muss an oberster Stelle stehen. Wir brauchen im Gesundheitsbereich eine offenere Fehlerkultur. CIRS ist hier ein wichtiger Schritt“, sagt Stickler.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2019