Patientenschutz im Spitalsalltag: Keine Fließbandabfertigung

10.10.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Zwar gehört das Gesundheitswesen in Österreich zu einem der sichersten, dennoch ist der Patientenschutz in den Spitälern angesichts der hohen Fallzahlen, Arbeitsverdichtung und Zeitmangel eine große Herausforderung.

Sophie Niedenzu

Er wurde heuer zum ersten Mal international gefeiert: Der 17. September wurde in diesem Jahr von der WHO zum jährlichen Welttag der Patientensicherheit ernannt. Das Ziel: Das Schaffen von mehr Bewusstsein für Patienten- und Mitarbeitersicherheit im Gesundheitswesen. Viele Risiken in diesem Bereich seien system- und prozessbedingt, zeigte sich Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie an der MedUni Wien bzw. AKH, im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des Welttages überzeugt: „Die Medizin ist wie ein hoch wirksames Medikament, das aber bedauerlicherweise auch mit einer hohen Nebenwirkungsrate verbunden ist.“ Ein Risikobereich sei beispielsweise, dass die Medizin in hoch spezialisierte Fachbereiche gegliedert sei, am Patienten aber alle Aktivitäten der einzelnen Fächer zusammenwirkten. Die Versorgung der Patienten setze daher eine gute Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen und Teams in den Krankenhäusern voraus. „Es hat sich sehr viel getan, aber noch nicht genug. Unser Gesundheitswesen ist eines der sichersten“, sagt Brigitte Ettl, ärztliche Direktorin des Wiener Krankenhauses Hietzing und Präsidentin der Plattform Patientensicherheit. Die Plattform widmet sich den vier Themenbereichen Patient Empowerment, Kommunikation, Medikationssicherheit und Hygiene. Der Gedanke und die Idee der Patientensicherheit benötige eine stetige Kommunikation und gute Vorbilder, so Ettl.

Patientensicherheit hat viele Facetten. Dazu gehört eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation ebenso wie eine ausführliche Patientendokumentation und der Umgang mit Risiken und Fehlern. Vor bald zehn Jahren implementierte die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) das anonyme Fehlerberichts- und Lernsystem CIRSmedical für unerwünschte Ereignisse in der Medizin und beauftragte die Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Medizin (ÖQMED) mit der operativen Umsetzung. Auf CIRSmedical können sicherheitsrelevante Ereignisse sowie kritische Vorfälle von allen Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie von Patienten eingetragen werden. Ziel ist es, aus Fehlern und unerwünschten Ereignissen zu lernen. Im Sinne einer nachhaltigen Qualitäts- und Fehlerkultur im österreichischen Gesundheitswesen bietet CIRSmedical eine umfassende Lösung zur systematischen Analyse von Zwischenfällen. Eingehende Berichte werden technisch und gegebenenfalls redaktionell anonymisiert, gegebenenfalls werden Expertisen aus dem jeweiligen Bereich eingeholt. Danach können die Beiträge in Form von Leserkommentaren erläutert werden, die teilweise auch Verbesserungsvorschläge beinhalten. Bislang sind 644 Berichte und 508 Leserkommentare veröffentlicht worden; die Plattform verzeichnet seit ihrem Bestehen 490.719 Zugriffe. Ärzte berichten mit 54 Prozent am häufigsten, gefolgt vom Pflegepersonal mit 22 Prozent. Die häufigsten Vorfälle werden mit 43 Prozent in Krankenhaus-Stationen dokumentiert, 16 Prozent der Risiken beziehen sich auf Ordinationen.

Mentoring und Feedback

Diese Daten bestätigen: Gerade im Spitalsbereich, in dem Ärzte täglich eine hohe Anzahl an Patientenfällen betreuen, ist es notwendig, auf die Patientensicherheit zu achten. Ein offener Umgang mit Fehlern sei eine kulturelle Frage, müsse früh erlernt werden und beginne schon in der Arztausbildung, sagt Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte (BKAÄ): „Ärzte in Ausbildung brauchen gute Mentoren und genügend Feedbackschleifen, aus denen sie konstruktiv lernen.“ Das bedeutet: „Macht ein Arzt einen Fehler, muss nicht anklagend, sondern lehrreich analysiert werden.“ Ebenso müssten Sicherheitsbedenken von Ärzten auch klar geäußert werden – unabhängig von vorhandenen hierarchischen Strukturen. Ärzten in Ausbildung müsse außerdem genug Raum geschaffen werden, in einer geschützten Umgebung zu lernen und mit Risiken umzugehen. Mehr Simulationsmöglichkeiten in der Ausbildung sei daher ein wesentlicher Punkt des ÖÄK-Forderungskatalogs an die zukünftige Regierung.

Es benötige aber besonders eine Ressource: Zeit. Zeit für eine qualitätsvolle Ausbildung im Sinne des Patientenschutzes, Zeit für den Aufbau einer notwendigen Arzt-Patienten-Beziehung, Zeit für Information und Gesprächsführung, Zeit, sich dem Patienten zu widmen. Ein Idealzustand, der oft nicht der Realität entspricht. Denn laut Umfragen verbringen Spitalsärzte etwa ein Drittel ihrer Zeit mit administrativen Tätigkeiten. „Der flächendeckende Einsatz von Administrationsassistenten ist schon längst überfällig“, sagt Mayer. Ein wichtiger Punkt, denn eine ausführliche Patientendokumentation – und damit ein hoher administrativer Aufwand – sei der Grundstock für Patientensicherheit.

Patientenschutz im Spital

Würden die Ärzte entlastet werden, würde das auch die Patientensicherheit erhöhen, ist Mayer überzeugt. Derzeit mangle es in den Spitälern an vielen Ecken am Personal. Denn mit dem novellierten Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) wurde die ärztliche Wochenarbeitszeit zwar auf 48 Stunden reduziert, die fehlenden Stunden aber nicht mit einer erhöhten Ärztezahl kompensiert. Das bedeutet: Spitalsärzte müssen in kürzerer Zeit viele Patienten behandeln. „Das steht im Widerspruch zum Qualitätsanspruch, die Patienten sicher zu versorgen“, kritisiert Mayer. Fehlleistungen seien grundsätzlich nie auszuschließen, schlechte Arbeitsbedingungen würden aber die Fehleranfälligkeit spürbar erhöhen. „Und das ist bei Ärzten besonders problematisch, denn sie arbeiten mit Menschen, bei denen jeder kleine Fehler schwerwiegende Auswirkungen haben kann“, sagt der ÖÄK-Vizepräsident.

Eine Entlastung der Spitalsärzte benötige daher nicht nur eine personelle Aufstockung in Bezug auf Administrationsassistenten, sondern allgemein bei den Gesundheitsberufen: „Es müssen die Ressourcen vorhanden sein, dass Ärzte ihre Tätigkeiten auch tatsächlich an andere Gesundheitsberufe delegieren können“, sagt Mayer. Darüber hinaus sollte die Arbeitsbelastung in den Spitälern durch einen von der Politik angekündigten Ausbau des niedergelassenen Bereichs gesenkt werden. „Überfüllte Ambulanzen fördern nicht die Patientensicherheit, Patientenschutz schließt Fließbandabfertigung aus“, sagt Mayer. Der erste Weg des Patienten solle zu einem niedergelassenen Allgemeinmediziner oder Facharzt führen – nicht ins Spital. Denn nicht jeder Patientenfall sei automatisch ein Fall für das Spital. Ziel müsse es sein, eine patientenorientierte, zeit- und ortsnahe Versorgung zu ermöglichen. „Es geht hier nicht nur darum, Spitalsärzte in ihrer Arbeit zu entlasten, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll zu agieren“, sagt Mayer. Immerhin sind Krankenhäuser ein großer Kostenpunkt im österreichischen Gesundheitssystem. Laut den Wiener Gesundheitsökonomen Maria Hofmarcher und Christopher Singhuber ist zu erwarten, dass sich die Ausgaben für die österreichischen Spitäler von 2017 bis 2030 von 12,8 Milliarden Euro auf 24,6 Milliarden fast verdoppeln.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2019