Interview Moritz Haugk: „Nicht im Stich lassen“

25.11.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Moritz Haugk, Abteilungsleiter der Notfallmedizin im Krankenhaus Hietzing,
spricht über Fehlerkultur, Feingefühl, medizinische Horizonterweiterung und ein mögliches Ausbildungskonzept der Zukunft.

Sophie Niedenzu

In der Ausbildungsevaluierung der ÖÄK zählen Sie zu den bestbewerten Abteilungen in  der allgemeinmedizinischen Ausbildung. Was ist Ihnen in der Arztausbildung wichtig? Wir legen Wert auf viel selbstständiges Arbeiten unter Supervision. Es geht auch um medizinische Horizonterweiterung, also etwa um invasive Leistungen, die wir in der Notaufnahme durchführen. Man wächst mit den Herausforderungen und in der Notfallmedizin kann ich als Mediziner schnell und akut helfen. Ärzte in Ausbildung wollen keine Arztbriefe schreiben, sondern am Patienten arbeiten. Wir haben jeden Tag eine Morgenbesprechung, in der wir die Fälle des Vortages besprechen. Einmal in der Woche diskutieren wir CT-Bilder. Im Rahmen der Fortbildungsreihe laden wir auch Spezialisten aus anderen Fächern ein. Themen sind etwa neue Guidelines, neue Medikamente, insbesondere Antikoagulantien. Wir führen eigene Simulationstrainings durch bzw. organisieren auch welche mit externen Trainern.

Was haben Sie aus Ihrer Ärzteausbildung mitgenommen, dass Sie nun auch in Ihrer Abteilung umsetzen? Ich habe damals im Wiener AKH in der Notaufnahme direkt mit der Facharztausbildung begonnen und durfte von Anfang an selbstständig arbeiten. Was sicher abgefärbt hat, ist der Gedanke, dass ein stabiles Team essentiell ist. Unter extremem Stress braucht man ein Team, das in sich gut funktioniert und an einem Strang zieht. Es herrscht hier kein rauer Wind, das ist ganz wichtig.

Inwiefern bereitet die Notaufnahme gut auf die Allgemeinmedizin vor? Wir betreuen täglich um die 100 Patienten, 70 Prozent davon kommen mit der Rettung. In der Nacht vermischen sich die Zuständigkeiten, aber tagsüber sind unsere Ärzte in allgemeinmedizinischer Ausbildung hauptsächlich im Ambulanzbereich tätig. Sie sollen ja viele verschiedene Patienten sehen, die auch in der Ordination vorkommen. Es geht darum, ein Feingefühl für die einzelnen Patientenfälle zu erhalten: Wo ist ein CT notwendig, wo genügt ein Medikament? Das lernt man in der Ambulanz am besten, vor allem kann man hier diverse Untersuchungen direkt durchführen und lernt, ob man selbst zu viel Diagnostik betrieben hat oder etwas womöglich in einer Ordination mit weniger diagnostischen Möglichkeiten übersehen hätte und eine Überweisung notwendig gewesen wäre.

Wie sieht die Fehlerkultur in Ihrer Abteilung aus? Grundsätzlich lese ich alle Krankengeschichten. Das ist zwar mühsam, aber wichtig, um mögliche Fehler zu sehen oder Verbesserungsvorschläge anzubringen. Es gibt glücklicherweise wenig zu beanstanden, aber es geht hier auch darum, dass die Auszubildenden bei uns lernen. Man kann nicht alles gleich perfekt können und gute Supervision ist einfach grundlegend. Besonders in der Notaufnahme ist das heikel. Der Oberarzt muss drauf schauen, dass die Ärzte in Ausbildung nicht im Stich gelassen werden, aber trotzdem eigenständig arbeiten.

Was hat sich in den vergangenen Jahren in der Spitalsarbeit verändert? Die Arbeitszeitverkürzung war schon lang überfällig. Aufgrund der Ruhezeiten, maximalen Wochenarbeitszeiten und Nacht- und Wochenenddiensten ist es aber praktisch unmöglich, eine kontinuierliche Betreuung der Ärzte in Ausbildung durch ein und dieselbe Person zu gewährleisten, sie arbeiten daher mit vielen verschiedenen Vorgesetzten. Um die Ausbildung der jungen Ärzte kümmert sich bei uns jeder.

Wie könnte ein zukünftiges Ausbildungskonzept aussehen? In der Notfallmedizin haben wir sehr viele Nachtdienste. Mit zunehmendem Alter werden sie immer mühsamer und manche Notfallmediziner bleiben daher nicht bis zur Pension. Damit die Notfallmedizin aber weiterhin attraktiv bleibt und erfahrene Kollegen das Know-how auch weitergeben können, sollte ein neues Konzept mit anderer Zeiteinteilung angedacht werden. Ich denke da an eine Art Senior Consultant, der sich ausschließlich oder zumindest zu einem großen Teil den Ärzten in Ausbildung widmet, der sich untertags mehr Zeit für Patienten nehmen kann, die er gemeinsam mit einem Auszubildenden betreut. Das geht natürlich nur, wenn Spitäler entsprechend Personal aufstocken und wir dadurch Ärzte haben, die sich ausschließlich auf die Ausbildung der Jungen konzentrieren können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2019