Interview Johannes Steinhart: „Keine Revolution von oben“

15.07.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, erzählt im Interview, welche drei Ansprüche er an eine Kassen-
reform hat.


Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der so genannten Kassenreform? Versprochen hat die ehemalige Schwarz-Blaue Koalitionsregierung einen schlankeren, effizienteren und billigeren Verwaltungsapparat, eine Milliarde Euro aus administrativen Einsparungen, eine bessere Versorgung und dergleichen mehr. Diese Versprechen werden bereits im Frühstadium dieser Reform nicht erfüllt. Ein Beispiel: Weit mehr als hundert Sozialversicherungs-Mitarbeiter, die die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) vom Hauptverband der SV-Träger übernommen hat, sollen Medienberichten zufolge per Leihvertrag vom Dachverband beschäftigt werden. Diese de facto Nachfolgeinstitution des HV leide unter Personalknappheit und könne deshalb ihren Aufgaben nicht nachkommen, hieß es. Und die ÖGK müsse sich dafür auf dem Arbeitsmarkt um Ersatz bemühen. Also in Summe deutlich mehr SV-Mitarbeiter und nicht weniger und eine teure Parallelstruktur. So habe ich mir eine Verschlankung und Entbürokratisierung schon immer vorgestellt.

Weitere Kritikpunkte? Politiker, die auf eine Sozialversicherung-Zentralisierung setzen, haben die Ursachen des Zerfalls des kommunistischen Ostblocks nicht begriffen. Wir brauchen regionale und bürgernahe Strukturen, Patienten-zentriert und nicht einen zentralistischen Moloch. Eine Forderung, die bereits im März des Vorjahres in der von Ärztekammern und GKK unterschriebenen „Salzburger Deklaration“ sehr eindeutig formuliert wurde. Und das ganz abgesehen davon, dass man dieser „Kassenreform“ auch aus anderen guten Gründen mit Skepsis begegnen konnte.

Zum Beispiel? Sie war bereits im Ansatz Stückwerk, weil sie nicht einer besseren Versorgung verpflichtet war, sondern der Österreich-weiten parteipolitischen Umfärbung der „roten“ GKK bei gleichzeitiger maximaler Schonung der politisch nahestehenden „schwarzen“ Kassen. Also schon dem Grunde nach keine Reform, die diesen Namen auch wirklich verdient. So eine brauchen wir aber. Außerdem gibt es in der ÖGK viel zu wenig personelle Innovationen. Wir finden dort haufenweise Namen von Kassenbürokraten, die wir schon lange kennen und die wirksam dazu beigetragen haben, dass das österreichische Gesundheitssystem in internationalen Bewertungsskalen kontinuierlich abrutscht.

Welche Ansprüche haben Sie an eine Kassenreform, die diesen Namen auch wirklich verdient? Zumindest drei. Erstens: Die bestehenden Personalressourcen der Kassen müssen ausreichen und konsequent genützt werden, wir brauchen keine teuren Parallelstrukturen. Die „Patientenmilliarde“ muss in die niedergelassene ärztliche Versorgung investiert werden, die lange Zeit ausgehungert wurde. Zweitens: Weil der regionale Bedarf an fachärztlicher Versorgung nur auf regionaler Ebene verlässlich einschätzbar ist, müssen der Stellenplan, die Grundsätze der Bewerberauswahl und die Honorierung der Kassenleistungen auf Länderebene vereinbart werden. Und drittens: Weil der Innovations- und Zielsteuerungsfonds der Finanzierung von Gesundheitsreformprojekten in den Landesstellen dient, muss deren gesamtvertragliche Umsetzung auf Landesebene erfolgen.

Was sollte die Politik also tun? Das Gesagte kann nur eines bedeuten: So wie beim Nichtraucher-Gesetz sollte die Politik darüber nachdenken, ob bei der Kassenreform der gewählte Weg und das gesteckte Ziel eine wirklich gute Entscheidung waren. Sinnvoll ist nur eine Kassenreform auf der Grundlage einer Regionalisierung und Föderalisierung, die in jedem Fall sicherstellt, dass regionale Besonderheiten und Bedürfnisse maximal berücksichtigt werden. Der Weg zu diesem Ziel muss unbedingt die Ärztekammer einbinden und unsere Expertise nützen. Revolutionen von oben braucht niemand.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2019