ÖÄK-Forderungen: Gegen Stillstand

10.09.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Als Appell an die neue Regierung – wie immer sie aussehen mag – hat die Österreichische Ärztekammer die vordringlichsten Aufgaben der Gesundheitspolitik in einem Forderungskatalog zusammengefasst.

Sascha Bunda, Sophie Niedenzu

Noch ist nicht klar, welche Parteien die neue Regierung bilden werden, geschweige denn, welche die entscheidenden Personen sein werden. Die Anforderungen sind angesichts der aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen hoch, die Aufgaben dringend. Um den politischen Entscheidungsträgern einen Überblick über die Herausforderungen im Gesundheitswesen in die eventuellen Koalitionsgespräche mitzugeben, hat die Österreichische Ärztekammer einen Forderungskatalog erstellt.

BIP-Anteil auf 12 Prozent erhöhen

Die anstehenden Herausforderungen des Gesundheitssystems machen es notwendig, dass mehr Geld ins System fließt. Der Fortschritt in der Medizin bietet viele Möglichkeiten, zudem steigt die Lebenswartung in der Bevölkerung. „Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass das österreichische Gesundheitssystem mit den Mitteln ausgestattet wird, die es braucht, um auch künftigen Generationen den höchstmöglichen medizinischen Standard ohne Abdriften in die Zwei-Klassen-Medizin zu garantieren“, sagt ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres. Um das umzusetzen fordert die ÖÄK eine mittelfristige Erhöhung des BIP-Anteils im Gesundheitswesen auf 12 Prozent – inklusive einer Lösung der Pflegeversorgung. Als Benchmark für diese Forderung gelten die Nachbarländer Deutschland und Schweiz, und nicht der europäische Durchschnitt. „Wenn wir hier nicht schritthalten, verliert das österreichische Gesundheitswesen den Anschluss“, warnt Szekeres.

Attraktivere Arztausbildung

Ein wichtiges Thema bleibt der Ärztemangel. Schon derzeit ist in Österreich eine Fülle von Kassenstellen für Allgemeinmediziner und Fachärzte unbesetzbar, und auch Spitäler tun sich immer schwerer, Ärztinnen und Ärzte zu finden. Die Situation wird sich in den nächsten Jahren durch Pensionierungen und neue Lebensmodelle für Ärztinnen und Ärzte noch dramatisch verschärfen. Zudem entschließen sich immer weniger Medizinabsolventen, die Ausbildung zum Allgemeinmediziner aufzunehmen, und immer häufiger nehmensie keine ärztliche Tätigkeit in Österreich mehr auf. „In Anbetracht des europaweiten Wettbewerbs ist es daher dringend geboten, den Standort Österreich für Ärztinnen und Ärzte von der Ausbildung an zu attraktivieren. Es ist dies eine Aufgabe des Bundes in enger Zusammenarbeit mit den Ländern und bedarf eines Bündels von Maßnahmen“, meint Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Daher findet sich im Forderungskatalog etwa die Schaffung des Facharztes für Allgemeinmedizin, die Verankerung der Allgemeinmedizin in Spitälern sowie die Erweiterung des allgemeinmedizinischen Leistungsspektrums und gleiche Bezahlung wie Fachärzte intra- und extramural. Außerdem fordert die ÖÄK mehr Basisausbildungsstellen, damit Ärztinnen und Ärzte rasch ihre ärztliche Tätigkeit beginnen können. „Die Basisausbildungsstellen dürfen nicht allein vom Dienstposten abhängen, sondern müssen sich am Bedarf der Bevölkerung orientieren“, sagt Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte.

1.300 neue Kassenstellen

Damit mehr Leistungen im niedergelassenen Bereich angeboten werden können, um auch Spitäler zu entlasten, sind 1300 neue Kassenstellen für Einzel- und Gruppenpraxen österreichweit notwendig. Nur so kann eine adäquate Gesundheitsversorgung sichergestellt werden. „Unabhängig von den tatsächlich realisierten Einsparungen oder Mehrkosten durch die Schaffung der Österreichischen Gesundheitskasse muss daher jedenfalls eine Patientenmilliarde in die Gesundheitsversorgung für die österreichische Bevölkerung fließen“, sagt Szekeres. Zudem fordert die ÖÄK, bei der GKK-Fusion darauf zu achten, das Büro der ÖGK schlank zu halten. „Entscheidungen, die eine lokale Expertise erfordern, müssten weiterhin vor Ort getroffen werden, wie etwa über den Stellenplan, über die Vergabe von Kassenstellen sowie über ein dem regionalen Bedarf angepasstes Leistungsspektrum der Kassenärzte“, sagt Steinhart.

Ordination vor Spital

Erklärtes Ziel der ÖÄK ist es, Spitäler zu entlasten. „Die Belastung in den Krankenanstalten ist in den vergangenen Jahren in unerträglichem Maße gewachsen“, kritisiert Mayer. Die ÖÄK fordert daher, dass bei einem notwendigen Arztbesuch der erste Weg zum niedergelassenen Allgemeinmediziner, oder, falls erforderlich, zum Facharzt führt. Nur eine gezielte Patientensteuerung würde die Spitalsambulanzen entlasten. Denn Spitalsambulanzen sollten nur in Notfällen und nur dann aufgesucht werden, wenn die Versorgung nicht durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte erfolgen kann, so wie es auch im Krankenanstaltenrecht (KAKuG) festgehalten ist. „Spitalärzte benötigen zur Umsetzung dieser Versorgungspyramide weitere rechtliche Unterstützung“, fordert Mayer. Außerdem sollen Spitäler mit Hilfe von freiberuflichen Strukturen in oder in der Nähe der Spitäler entlastet werden. „Das Personal muss außerdem im ärztlichen Bereich aufgestockt werden, damit die Spitäler österreichweit ohne Opt-out auskommen“, sagt Mayer.

Gewaltstopp, ELGA, Impfpflicht

Auch beim Thema Gewalt muss dringend gehandelt werden. Sowohl im niedergelassenen Bereich als auch bei angestellten Ärzten wird diese zu einem zunehmenden Problem. Ärztinnen und Ärzte, sowie die Angehörigen anderer Gesundheitsberufe müssen vor Gewalt durch technische beziehungsweise bauliche Maßnahmen, Aufklärung, Schulungen und stärkeren strafrechtlichen Schutz bewahrt werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt des ÖÄK-Forderungskatalogs ist ELGA. „Es kann nicht sein, dass mit sensiblen Patientendaten experimentiert wird. ELGA muss neu konzipiert werden“, fordert Steinhart. Statt Einzelprojekten will die ÖÄK eine gemeinsame österreichische e-Health-Digitalisierungssteuerung. Die beteiligten IT-Unternehmen (ELGA GmbH, SVC und ITSV) sollten vereinheitlicht werden. „Zudem brauchen Ärztinnen und Ärzte ein garantiertes Mitspracherecht bei EDV-Entscheidungen, von denen sie betroffen sind“, sagt Steinhart. Ganz wichtig sei zudem: Finanzierung und Usability müssen schon vor dem Einsatz neuer Digitalisierungsprojekte sichergestellt sein. „Wir benötigen für eine rasche Übersicht keine pdf-Müllhalde, sondern übersichtlich strukturierte Patientendaten“, kritisiert auch Mayer.

Darüber hinaus erhebt die Österreichische Ärztekammer auch sozialpolitische Forderungen: „Die ÖÄK ist sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung, die mit ihrer medizinischen Kompetenz und Vorbildwirkung einhergeht, bewusst“, sagt Szekeres. Aus diesem Grund sehe man es als Auftrag an, im Sinne der Volksgesundheit Vorschläge zu machen, damit Österreich gesünder wird. „Wir werden hier im Namen der Ärzteschaft weiter unsere Stimme erheben, sei es bei der notwendigen Impfpflicht, dem Nichtraucherschutz, den Auswirkungen der Klimakrise oder beim Umgang mit modernen Technologien“, sagt der ÖÄK-Präsident.

Hinweis: Den gesamten Forderungskatalog im konkreten Wortlaut finden Sie auf www.aerztekammer.at/forderungskatalog

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2019