Ärztliche Hausapotheken: Patientenwohl vor Profit

10.11.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die Bundeswettbewerbsbehörde möchte die Mindestentfernungen von Hausapotheken zu öffentlichen Apotheken ersatzlos streichen und bestätigt damit die ÖÄK-Forderung.

Sophie Niedenzu

Insgesamt sind es 155 öffentliche Apotheken, die zwischen 2009 und 2018 in Österreich neu eröffnet wurden, vorzugsweise in wachsenden Gemeinden. Das ist auch dem aktuellen Teilbericht 2 der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ zu entnehmen. Laut BWB hätten Neueröffnungen in Gemeinden mit 1000 bis 5000 Einwohnern dazu geführt, dass bestehende Hausapotheken verdrängt wurden. Auch vor dem Hintergrund einer partiellen Verschlechterung der medizinischen Grundversorgung in ländlichen Regionen durch einen zunehmenden Landärztemangel hätten sich „für die BWB schnell gezeigt, dass der Betrieb einer ärztlichen Hausapotheke ein wesentlicher Aspekt für die Attraktivität einer Kassenordination eines Landarztes sein kann.“ Es könne festgehalten werden, „dass die wettbewerbsrechtlich unterschiedliche Behandlung von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken weder zur Verbesserung der Versorgungssicherheit noch zur Sicherstellung eines Qualitätsniveaus bei der Verabreichung von Medikamenten erforderlich ist.“ Daher fordere die BWB die ersatzlose Streichung der Mindestentfernung bei Bewilligung einer ärztlichen Hausapotheke in Gemeinden ohne öffentliche Apotheke sowie die Streichung der Sonderregelung bezüglich der Mindestentfernung für ärztliche Hausapotheken zu öffentlichen Apotheken in Gemeinden mit nur einer kassenärztlichen Vertragsstelle und einer vorliegenden Konzession für eine öffentliche Apotheke.

Vorbild Schweiz

„Wir brauchen ein neues, rundum überarbeitetes Apothekengesetz, dass den neuen Strukturen gerecht wird. In ländlichen Gebieten bedeutet das ein Neben- und Miteinander von ärztlichen Hausapotheken und öffentlichen Apotheken“, sagt der Hausapotheken-Referent der ÖÄK, Silvester Hutgrabner. „Ein Vorbild ist hier die Schweiz, dort haben Ärztinnen und Ärzte in fast allen Kantonen ein volles Dispensierrecht.“ Neben der Schweiz gibt es in Europa auch in Liechtenstein, in den Niederlanden, im Vereinigten Königreich, in Ungarn und vereinzelt in Griechenland, Frankreich, Spanien und in Belgien ärztliche Hausapotheken.

In Österreich sind jedenfalls in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 100 ärztliche Hausapotheken verloren gegangen, derzeit gibt es noch rund 840. Eine Situation, die langfristig auf Kosten der ländlichen Bevölkerung geht. Der Umstand, dass sich öffentliche Apotheken vorzugsweise in vergleichsweise dicht besiedelten und potentiell profitablen Standorten niederlassen, betrifft vor allem ältere und kranke Menschen, die weniger mobil sind. „Hier können ärztliche Hausapotheken die Versorgungslücken am besten füllen. Gemeinden mit 100 bis 4500 Bewohnern sind das Haupteinsatzgebiet für Hausapotheken“, sagt Hutgrabner. Hausapotheken seien daher „eine kostengünstige, effektive und außerdem ökologische Lösung, denn in Österreich würde man sich jedes Jahr mehrere Millionen Kilometer auf dem Weg zu einer Apotheke ersparen.“ In den vergangenen Jahren sei die Apothekerbranche rasch gewaschen. Aufgrund zahlreicher neuer Apotheken auch an weniger profitablen, ländlichen Standorten gerate die Branche zunehmend in Bedrängnis. Sie wehre sich mit Vehemenz gegen die „absolut gerechtfertigte und sinnvolle Forderung der BWB nach einer Liberalisierung des Apothekenmarktes“, sagt Hutgrabner.

Der Patient im Mittelpunkt

Die Apothekerkammer indes befürchtet ein „großflächiges Apothekensterben in Österreich“, sollten die Forderungen umgesetzt werden. „Es geht offenbar nicht um die bestmögliche Patientenversorgung, denn der Mindestentfernungspassus im Apothekengesetz steht einer bestmöglichen medizinischen Versorgung diametral entgegen“, kritisiert Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte. Im Mittelpunkt müsse immer die Versorgung der Patienten stehen: „Dazu gehören ein Hausarzt und eine Apotheke, die zurecht in kleineren Gemeinden beim Arzt angesiedelt ist, um alten und kranken Menschen lange Anfahrtswege zur nächsten Apotheke zu ersparen“, sagt Steinhart. Er erwarte sich daher von der Politik, im Interesse der Patienten den BWB-Empfehlungen „raschest nachzukommen“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2019