Schmerztherapie: Standards notwendig

10.06.2018 | Themen


Rund 1,8 Millionen Menschen in Österreich leiden an chronischen Schmerzen, was direkte Kosten in der Höhe von bis zu 1,8 Milliarden Euro verursacht. Experten fordern, dass die moderne multimodale Schmerztherapie Versorgungsstandard wird.

Die Folgekosten der unzureichenden Schmerztherapie sind enorm: So betragen die jährlichen Kosten für Erkrankungen des Muskel- und Bewegungsapparates mehr als 5,5 Milliarden Euro, die Krankenstandstage wegen chronischer Rückenschmerzen rund 400 Millionen Euro. Die direkten Kosten infolge einer Schmerz-Chronifizierung schlagen sich mit 1,4 bis 1,8 Milliarden Euro zu Buche. Und die indirekten Kosten bekäme man im Sozialsystem präsentiert, weil „etwa die Hälfte der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen frühzeitig in Pension geht“, erklärte Univ. Prof. Rudolf Likar, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin am Klinikum Klagenfurt. Im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des 26. Kongresses der Österreichischen Schmerzgesellschaft Ende Mai in Wien machten Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG), die Palliativgesellschaft und die Österreichische Ärztekammer auf die Problematik aufmerksam. „Der Akutschmerz, der chronische Schmerz und die Schmerzkrankheit benötigen moderne Behandlungsstrategien. Hier hinkt Österreich noch immer hinten nach“, konstatierte ÖÄK-Präsident Univ. Prof. Thomas Szekeres.

Likar forderte, dass „die moderne, multimodale Schmerztherapie auch bei uns Versorgungsstandard werden muss“. Denn von einer flächendeckenden, Leitlinien-gerechten Versorgung aller Schmerzpatienten sei Österreich noch „meilenweit entfernt“, kritisierte Likar. Er berichtete von positiven Evaluierungsergebnissen aus dem Klagenfurter Schmerzzentrum, wonach die kombinierte Behandlung deutlich effektiver sei als jedes einzeln angewandte Schmerzverfahren. Ins gleiche Horn stößt die Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft Gabriele Grögl: „Es fehlt an Netzwerken und Kooperationsmöglichkeiten zwischen Allgemeinmedizinern, Fachärzten und nicht-ärztlichen Berufsgruppen. Die Konsequenz: oft wochenlange Wartezeiten für Patienten nach der Überweisung an Spezialisten.“ Die an der Krankenanstalt Rudolfstiftung tätige Anästhesistin, die dort die Schmerzambulanz leitet, übte an einem weiteren Punkt Kritik: „Schmerz-medizinische Leistungen scheinen kaum in den Honorarkatalogen auf und können daher nicht abgerechnet werden.“ Nicht nur das: So sind in den vergangenen Jahren jedenfalls zehn Schmerzambulanzen geschlossen worden – meist aus Personalmangel. Aktuell gibt es in Österreich 48 Schmerz-Ambulanzen, von denen jedoch nur einige täglich geöffnet haben. „Die Folge sind monatelange Wartezeiten auf einen Erst-Termin“, führte Grögl weiter aus; derzeit sind es rund drei bis vier Monate. Ihre Befürchtung: dass es in Zukunft eher weniger als mehr Schmerzambulanzen geben wird. Als „katastrophal“ bezeichnet die Anästhesistin die Versorgung beim Akutschmerz; eine solche Versorgung existiere nur in den wenigsten Krankenhäusern.

Künftig werde sich das Problem noch weiter verschärfen: 2030 wird in Österreich eine Million Menschen über 75 Jahre alt sein, machte Szekeres aufmerksam. „Das österreichische Gesundheitssystem muss sich auf diese Entwicklung einstellen und die schmerzmedizinische Versorgung deutlich aufwerten.“ Setze man hier rechtzeitig an, könnten Chronifizierung und in der Folge Leid, Arbeitsausfälle und Frühpensionierungen verhindert werden. Da die Zuständigkeiten derzeit „herumgeschoben“ würden, forderte Szekeres, dass „die Politik hier gegensteuern“ soll.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2018