Porträt Pablo Hagemeyer: Der Arzt hinter dem „Bergdoktor“

15.08.2018 | Themen


Durch einen Zufall kommt Pablo Hagemeyer schon während seines Studiums in den 1990er Jahren in Kontakt mit Autoren und Drehbüchern. Mittlerweile fungiert der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie permanent als medizinischer Berater bei Film- und Fernsehproduktionen – unter anderem auch bei der TV-Serie „Der Bergdoktor“.
Madeleine Rohac

Eine Geschichte medizinisch korrekt und gleichzeitig gut und spannend erzählen – das liebt Pablo Hagemeyer. Das Medizinstudium hat er in Bochum absolviert, keiner klassischen Universitätsstadt, aber mit einer stark wissenschaftlich orientierten medizinischen Fakultät, was dem an Zusammenhängen interessierten Hagemeyer entgegenkommt. Das Medium Fernsehen begleitet ihn schon von Kindheitstagen an. Die TV-Serie „Schwarzwaldklinik“ wird als klassische Familiensendung im Hause Hagemeyer gesehen. Anfang der 1990er Jahre sieht er US-amerikanische Arztserien wie Emergency Room, in denen medizinische Plots fachlich fundiert und spannend dargestellt werden. „Ich war fast erschüttert über den eklatanten Qualitätsunterschied zu damaligen deutschen Produktionen“, erinnert sich Hagemeyer. Die medizinischen Hintergründe erscheinen ihm dort platt, schlecht recherchiert und langweilig. Gerne würde er Fernsehproduzenten beraten, wie man medizinische Geschichten besser erzählen könnte.

Die Gelegenheit dazu ergibt sich in München, wo Hagemeyer mittlerweile die letzten Studiensemester an der Ludwig-Maximilians- Universität München und anschließend das praktische Jahr am Klinikum Großhadern absolviert. Er wohnt bei seinem Freund Oliver Simon, der 1994 die erste deutsche Vermarktungsagentur für Drehbücher gegründet hat. Von ihm erhält er Drehbücher – gute und weniger gute. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm Martin Suter, Schweizer Schriftsteller und Drehbuchautor, dessen kompakte Sprache und Gabe, auf den Punkt zu formulieren, ihm sehr imponieren. Dann der erste Beratungs-Auftrag: „Ein ganz schlechtes Drehbuch über Organhandel in Nordafrika, wo ich gerade noch verhindern konnte, dass es ganz absurd wurde“, berichtet Hagemeyer. 80 Mark hat er dafür bekommen und erste Bekanntheit im kleinen Kreis in einer Clique mit Schauspielern wie Francis Fulton Smith, Götz Otto und dem Drehbuchautor Sebastian Andrae. 1998 stellt er die Beratungstätigkeit auf professionelle Beine. Zusammen mit Arztkollegen, die wie er Kontakte in der Medienbranche haben, gründet er „The Dox“ – eine medizinische Consulting-Agentur für Film und Fernsehen, deren Inhaber und Geschäftsführer er heute noch ist.

Bergdoktor und Co

Die Kundenliste von „The Dox“ liest sich wie ein Auszug aus dem „Who is Who“ der deutschen Film-und Fernsehlandschaft: Fernsehsender wie ARD, ZDF, RTL, SAT.1 sind dabei ebenso zu finden wie Produktionsgesellschaften wie constantin entertainment. Grundlage für „The Dox“ waren in der Gründungsphase ein durchdachtes Firmenkonzept inklusive Business Plan mit klarer Definition von Angebot und Zielgruppe, gute Ideen und hin und wieder der glückliche Zufall. „Ich habe damals noch ganz old school eine lustige Postkarte entworfen mit einer Krankenschwester als Blickfang darauf und die an alle Filmproduzenten in Deutschland versendet. Ja und dann ging es los“, erzählt Hagemeyer. „Für alle Fälle: Stefanie“ und „Der Landarzt“ waren Serien, bei denen Florian Gekeler, ein Kollege der ersten Stunde von Hagemeyer bei „The Dox“ für die medizinische Drehbuchberatung verantwortlich zeichnete. Schon bald kam ein weiteres Geschäftsfeld dazu, die direkte Set-Beratung: die Bereitstellung von medizinischer Ausrüstung und Geräten und der Arzt am Filmset, der dafür sorgt, dass medizinische Handgriffe „richtig sitzen“. Bei der Serie „Bergdoktor“ macht das heute „Schwester Franzi“, Franziska Rambousek aus Kufstein, ebenfalls aus dem Team von „The Dox“. Sie ist bei Dreharbeiten am Set ständig mit dabei. Den österreichischen Schauspieler Hans Sigl, der die Hauptrolle des Bergdoktor verkörpert, „betreut“ Hagemeyer persönlich seit 2007. Vorher beriet er noch bei der Arztserie seiner Jugendtage, der „Schwarzwaldklinik“. Produzent Wolfgang Rademann ließ 2004/2005 zwei Revival-Specials drehen, bei denen Hagemeyer und sein Kollege Nikolaus Sarafoff medizinische Berater waren. Hagemeyer erinnert sich: „Regisseur Hans-Jürgen Tögel hat uns zu sich nach Hause eingeladen und erzählt, wie medizinische Szenen in den 1980er Jahren gefilmt wurden: nämlich entweder ganz aus der Ferne, damit keine Details zu erkennen waren oder bei Naheinstellungen zum Beispiel im Operationssaal sah man nur die Köpfe mit Mundschutz, aber nie, was mit den Händen gemacht wurde.“ Dass das heute anders ist, daran sind Hagemeyer und seine Kollegen entscheidend beteiligt.

Arzt im wirklichen Leben

Die Drehbuch-Beratung ist ein Austausch mit den Autoren. Hagemeyer entwirft gerne Exposés mit medizinischen Fällen, die dann bearbeitet werden oder aber die Autoren kommen mit einer Idee und die Geschichte wird zusammen konzipiert. Figuren zu entwickeln, spannende Charaktere zu zeichnen, das liegt Hagemeyer besonders. Dabei kommt ihm seine Fachausbildung zu Gute. Nach dem Studium hat er Hirnforschung am Max-Planck-Institut in München betrieben, in Garmisch-Partenkirchen dann aber die Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie absolviert und schließlich 2010 abgeschlossen. Seit 2011 ist er niedergelassener Facharzt mit eigener Praxis in Weilheim in Oberbayern. „Ich bin leidenschaftlicher Psychotherapeut und Psychiater und ich bin leidenschaftlicher Geschichtenerzähler“, beschreibt Hagemeyer seine berufliche Situation.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Arztpraxis die Haupteinkommensquelle, aus der Beratungstätigkeit lukriert er eher kleinere Beträge. „Das muss man Ärzten auch sagen, die sich vielleicht Gedanken machen, in diese Sparte einzusteigen“, betont Hagemeyer. „Da geht es mehr darum, dabei zu sein.“

Unbekannte, seltene, merkwürdige Erkrankungen eignen sich besonders gut für die dramaturgische Aufbereitung. Die Aufgabe von Hagemeyer ist es, zu prüfen, ob es eine Krankheit, einen ungewöhnlichen Verlauf so geben könnte und wenn ja, die Krankheit als eigene spannende, aber plausible Geschichte zu erzählen. So geschehen in einer Anfang dieses Jahres ausgestrahlten Folge des „Bergdoktor“ mit dem Titel: Finale Klarheit. Das in der Literatur exemplarisch berichtete Phänomen der unerwarteten Rückkehr geistiger Klarheit unmittelbar vor dem Tod von Patienten, die an schweren psychiatrischen und neurologischen Krankheiten leiden, war zu Beginn eine vage Idee des Autors. Hagemeyer hat „Terminal lucidity“ – so der Fachbegriff für dieses Phänomen – in eine Krankengeschichte verpackt und medizinisch plausibel über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse erklärt. Die Kunst der Dramaturgie lässt Hagemeyer immer wieder in seine psychotherapeutische Praxis einfließen. In seinem Buch „Fantasiereisen“ beschreibt er die Kunst des Geschichtenerzählens als Vehikel, um unbewusste Konflikte in Klienten aufzudecken und Lösungswege aufzuzeigen. Privat lebt Hagemeyer undramatisch bürgerlich mit seiner Frau, einer Rechtsanwältin und zwei Kindern in Oberbayern. Zu seinem Freundeskreis zählen kunstinteressierte Querdenker, Schauspieler, Drehbuchautoren, nur vereinzelt Ärzte. In dieser Atmosphäre hat sein Sohn schon „Blut geleckt“ und strebt den Schauspielberuf an. Hagemeyer selbst wechselt auch immer wieder gern – wenn auch nur für kurze Sequenzen – ins darstellerische Fach. Schon öfter war er als Assistenzarzt mit Maske im Operationssaal beim „Bergdoktor“ zu sehen. Aktuell wird der Thriller „Flucht durchs Höllental“ mit Hans Sigl in der Hauptrolle gedreht – mit einem rund zehn Sekunden langen Auftritt von Hagemeyer. In welcher Rolle? „Als bad doc“, wie er augenzwinkernd sagt. 

Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2018