Porträt Kikuë Tachibana: Hoffnungsträgerin für späte Mütter

15.12.2018 | Themen


Die austro-japanische Genetikerin Kikuë Tachibana will das Geheimnis um die Totipotenz von befruchteten Eizellen lüften. Nur diese sind in der Lage, alle Zelltypen eines Organismus zu bilden. Auch will sie mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit dazu beitragen, späte Schwangerschaften genetisch weniger risikoreich zu machen.
Ursula Jungmeier-Scholz

Kikuë Tachibana lebt in zwei Zeitzonen: In der Welt der Wissenschaft legt die Genetikerin ein extrem hohes Tempo vor. Noch vor ihrem 40. Geburtstag wurde sie dieses Jahr Vollmitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO), nachdem sie bereits zwei Jahre zuvor als Young Investigator in diesen illustren Kreis aufgenommen worden war. Eine Ehre, die sie sehr zu schätzen weiß: „Diese Mitgliedschaft bietet eine wunderbare Möglichkeit, sich mit der Crème de la crème der Wissenschaft zu vernetzen.“ Privat ticken die Uhren der Genetikerin, die derzeit als Gruppenleiterin am IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie) in Wien tätig ist, langsamer: Ihre beiden Kinder sind erst kürzlich zur Welt gekommen. Keine ungewöhnliche Lebensplanung für eine erfolgreiche Forscherin; und doch hängen diese beiden Lebensbereiche auf eine sehr spezielle Art zusammen: Tachibana ist Expertin für den Alterungsprozess von Eizellen und dessen mögliche Folgen. „Ich war mir der Risken sehr bewusst und habe mir wissenschaftlich und persönlich viele Gedanken gemacht. Interessant ist, dass ich beim zweiten Kind zwar deutlich älter war, aber trotzdem pragmatischer“, erzählt sie. Ab 33 Jahren nimmt bei einer Schwangerschaft die Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie stetig zu; mit 40 ist statistisch gesehen jede dritte befruchtete Eizelle betroffen. In Tachibana haben späte Mütter eine verständnisvolle Forscherin gefunden, deren Fazit nicht einfach in der Formulierung besteht „hätten sie sich halt früher für ein Kind entschieden …“. Mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit will sie dazu beitragen, späte Schwangerschaften genetisch weniger risikoreich zu machen. Es gebe Hinweise, so Tachibana, dass Vitamin C hilfreich sein könne; ebenso das Minimieren von Noxen wie Bisphenol A oder Tabakrauch. Mit ihrem Team steht sie kurz vor dem Durchbruch zur Erkenntnis, wie der Alterungsprozess von Eizellen verzögert werden könnte. „Ich darf nur sagen: Es gibt eine Hoffnung.“ Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt liegt allerdings auf dem Einzell-Embryo und den darin stattfindenden Umbauprozessen der DNA. Dabei hat sich eine unerwartete Dominanz des weiblichen Genoms offenbart: „Die Eizelle beobachtet, dirigiert und manipuliert den Umprogrammierungsprozess der Samenzelle und kann ihn auch stoppen, sobald ein Fehler auftritt.“ Gleich nach der Verschmelzung beginnen die Enzyme der Eizelle, die männliche DNA zu demethylieren und können sie sogar durchschneiden. „Ich war erstaunt, dass ein so gefährlicher und sensibler Prozess bereits im Einzell-Stadium stattfindet“, bekennt Tachibana.

Von der Eizelle erhält das männliche Genom auch den Impuls zur Restrukturierung, wobei die DNA sich in Schleifen von drei Levels reorganisiert. Der dritte Level wird im Einzell-Embryo nur vom männlichen Genom erreicht, denn das weibliche lässt ihm den Vortritt und kontrolliert den Prozess, bevor es ihn selbst durchlebt. Demonstrieren lassen sich diese Vorgänge mittels Lebendzell-Mikroskopie, aber auch in statischen Aufnahmen von fixierten Zellen und mittels DNA-Sequenzierungsmethoden. „Es ist eine wunderbare Zeit für die Forschung“, so Tachibana. „Durch technologische Revolutionen wie das Next Generation Sequencing ist es in den letzten paar Jahren technisch und finanziell überhaupt erst möglich geworden, Einzell-Studien in diesen Details durchzuführen.“ Sie sieht sich in der Tradition von Sir John Gurdons Forschung an der Froschei-Zelle. „Er ist mein großer Hero.“ Dass Tachibana immer wieder ein englisches Wort in ihre Ausführungen einflicht, resultiert daraus, dass sie ihre Studienzeit und die ersten Jahre ihres Berufslebens in England verbracht hat.

Graz – Kobe – Cambridge

Geboren wurde Tachibana 1978 in Graz als Tochter einer Steirerin und eines japanischen Diplomaten. Die ersten Lebensjahre verbrachte sie in der Nähe von Pöls bei Judenburg, danach übersiedelte die Familie zunächst nach Wien und nach ihrem ersten Gymnasialjahr in die japanische Hafenstadt Kobe. Bereits mit 16 Jahren wollte Tachibana Entdeckerin werden. Auf die Genetik stieß sie in der Oberstufe durch ihren hervorragenden Biologielehrer, der seine Schüler nicht nur in Gelelektrophorese unterwies und sie dazu anleitete, Fruchtfliegen zu kreuzen, sondern auch gewissenhaftes Literaturstudium einmahnte. Tachibana hatte es sich in den Kopf gesetzt, in Cambridge zu studieren, „wo James Watson und Francis Crick die Doppelhelix entdeckt haben“. Und was sie anstrebt, erreicht sie auch. Ron Laskey vom dortigen Krebszelleninstitut wurde ihr Doktorvater. Auch hat sie zusammen mit David Adams vom naheliegenden Wellcome Sanger Institute zusammengearbeitet. „Er hat mich gelehrt, meine erste genetisch modifizierte Maus zu machen.“ In ihrer postgradualen Forschung in Oxford arbeitete sie mit Kim Nasmyth zusammen, der sich auf den Mechanismus der Zellteilung spezialisiert hatte und vergangenes Jahr dafür den Breakthrough Prize, den „Oskar der Wissenschaft“ erhalten hat. Tachibana fokussierte sich darauf, das Geheimnis des Alterungsprozesses der Eizelle zu lüften.

Von allem das Beste

Erst auf der Suche nach einer weiteren Sprosse auf der Karriereleiter – einer Gruppenleiterposition – kam Tachibana im Jahr 2011 wieder nach Österreich zurück. Sämtliche Stationen ihres Lebens haben Spuren in ihrer Persönlichkeit hinterlassen: Vom Landleben als Kind bewahrt sie sich Faszination für Fauna und Flora auf Wiesen und Waldwegen. An Japan schätzt sie die zurückhaltende Mentalität der Menschen, die spezielle Kultur der Höflichkeit. In der britischen Gesellschaft sieht sie viele Parallelen zur japanischen: das understatement ebenso wie den Respekt vor akademischen Traditionen. An der österreichischen Lebensweise mag sie die Art, wie wissenschaftliches und kulturelles Leben miteinander verschmelzen. Am Abend geht sie gern ins Theater in der Josefstadt ums Eck, parallel dazu fliegt sie aber auch noch manchmal nach London, um The Royal Shakespeare Company zu sehen. „Ich bin ein großer Anhänger von Shakespeare“, bekennt Tachibana. Derzeit dezimiert das Familienleben ihr kulturelles ein wenig, da der fünfjährige Sohn und die heuer im Mai geborene Tochter nahezu ihre gesamte Freizeit absorbieren. „Aber auf unvorhergesehene Weise habe ich meine Entspannung bei den Kindern gefunden“, erzählt sie. „Wenn ich sie zu Bett bringe, beruhigt das auch mich.“

Totipotenz entschlüsseln

Beruflich ist von Ausruhen keine Rede, denn ihre Anstellung am IMBA wird in zwei Jahren enden. Gerne würde sie bleiben, aber es besteht keine Aussicht auf Beförderung zum Senior Researcher an diesem Institut. „Aber Forschungseinrichtungen in anderen Ländern haben großes Interesse an meiner Arbeit gezeigt, sodass ich möglicherweise eine Führungsposition im Ausland übernehmen werde“. Ob es Boston oder doch in Europa sein wird, steht noch in den Sternen. Klar ist für Tachibana allerdings die Richtung ihres wissenschaftlichen Interesses: „Ich möchte den Mechanismus der Totipotenz von Zellen entschlüsseln.“ Entdecken, welche Faktoren außer der Demethylierung einer Zelle dieses umfassende Potential verleihen können, einen gesamten Organismus zu bilden. Dass sie sich mit ihrem Vorhaben im weltweiten unerbittlichen Wettlauf mit anderen Forscherinnen und Forschern befindet, ist ihr deutlich bewusst. Beruflich wird sie ihr bisheriges Tempo daher beibehalten, um ihr Lebensziel zu erreichen. Erst kürzlich erhielt Tachibana für ihre herausragenden Forschungen einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC), der mit knapp zwei Millionen Euro dotiert ist.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2018