Por­trät Katha­rina Rind­ler: Offen sein für „Neben­er­geb­nisse“

25.05.2018 | Themen


Über ihren Zell­kul­tu­ren ver­gisst die Ent­wick­lungs­bio­lo­gin Katha­rina Rind­ler Raum und Zeit. Seit eini­gen Jah­ren ver­sucht sie zu ent­schlüs­seln, warum Tumor­zel­len migrie­ren und Meta­sta­sen bil­den. Für ihre aktu­elle For­schungs­ar­beit zum Pan­kre­as­kar­zi­nom erhielt sie das „For Women in Sci­ence“- Sti­pen­dium.

Ursula Jung­meier-Scholz

In der For­schung For­schung muss man offen sein für Neben­er­geb­nisse“, betont Katha­rina Rind­ler. Und einem der­ar­ti­gen Neben­er­geb­nis ver­dankt die junge Ent­wick­lungs­bio­lo­gin den Haupt­teil ihrer bis­he­ri­gen wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nisse: Zufäl­lig ent­deckte sie im Rah­men ihrer Mas­ter­ar­beit in der Arbeits­gruppe Mole­ku­lare Onko­lo­gie der Kli­ni­schen Abtei­lung für Gynä­ko­lo­gie der Med­Uni Wien einen Puz­zle­teil auf der Suche nach dem Geheim­nis der Ver­brei­tung von Tumo­ren im Kör­per. Zunächst forschte sie zum Ova­ri­al­kar­zi­nom, mitt­ler­weile wid­met sie sich mit dem­sel­ben Erkennt­nis-Inter­esse dem Pan­kre­as­kar­zi­nom. „Im Laufe die­ser Arbeit wurde mir bewusst, wie viel Metasta­sie­rung mit Ent­wick­lungs­bio­lo­gie zu tun hat.“ 

Erneute Zell­wan­de­rung

So wie sich im Zuge der Onto­ge­nese im Embryo jene Zel­len auf den Weg machen, die ein­mal die Zehen oder das Ohr bil­den sol­len, bege­ben sich auch Tumor­zel­len auf Wan­der­schaft. „Die Infor­ma­tion über das Wan­dern ist in der Zelle stets vor­han­den, aber im fer­tig aus­ge­bil­de­ten Orga­nis­mus inak­tiv“, erklärt Rind­ler. „Im Zuge der Krebs­er­kran­kung kommt es durch Muta­tio­nen zu einer Dedif­fe­ren­zie­rung der Zelle. Durch so aus­ge­schal­tete Schutz­me­cha­nis­men löst sich die Zelle aus dem Gewebs­ver­band und wird mobil.“ Wel­che Gene für die Tumor­zell-Migra­tion Aus­schlag gebend sind, ver­sucht sie nun in breit­flä­chi­gen Scree­nings her­aus­zu­fin­den. Dabei arbei­tet sie mit der Gen­schere CRISPR/​Cas9 und mani­pu­liert an Zell­kul­tu­ren eines Pan­kre­as­kar­zi­noms Gen um Gen, um her­aus­zu­fin­den, wel­che davon einen Bei­trag zur Migra­tion leisten. 

Seit 2016 arbei­tet Rind­ler am Wie­ner Insti­tut für Krebs­for­schung in der Arbeits­gruppe von Paola Mar­ti­nelli mit; auch zählt sie zur Pan­crea­tic Can­cer Unit des CCC der Med­Uni Wien. Dass die mitt­ler­weile pro­mo­vierte Ent­wick­lungs­bio­lo­gin Tag um Tag die­ser Grund­la­gen­for­schung nach­ge­hen kann, ermög­licht ihr unter ande­rem das mit 20.000 Euro dotierte „For Women in Sci­ence“- Sti­pen­dium von L’O­réal Öster­reich, das der Kos­me­tik­her­stel­ler in Koope­ra­tion mit der Öster­rei­chi­schen UNESCO-Kom­mis­sion und der Öster­rei­chi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten all­jähr­lich aus­lobt – kürz­lich zum elf­ten Mal. 

Posi­tive Grundeinstellung 

„Viel Lebens­freude“ brau­che man, betont Rind­ler, wenn man sich dem Bauch­spei­chel­drü­sen­krebs widme. Obwohl sie nicht im direk­ten Pati­en­ten­kon­takt steht, gehen ihr die Schick­sale nahe. Denn noch immer weist das Pan­kre­as­kar­zi­nom die nied­rigste Über­le­bens­rate unter allen onko­lo­gi­schen Erkran­kun­gen auf; ein neuer The­ra­pie­an­satz wäre drin­gend nötig. Auf der Suche danach arbei­tet die junge Ent­wick­lungs­bio­lo­gin eng mit den Ärz­tin­nen und Ärz­ten am Wie­ner AKH zusam­men – und schätzt die inter­dis­zi­pli­näre Zusam­men­ar­beit sehr. 

Die ange­spro­chene erfor­der­li­che posi­tive Grund­ein­stel­lung bringt Rind­ler mit, aber auch eine uner­schöpf­li­che Begeis­te­rung für ihre For­schung und die nötige Kon­se­quenz für die hoch­prä­zise Arbeits­weise. „Diese Genau­ig­keit habe ich erst an der Uni gelernt“, gibt sie zu. Was sie jedoch von Kin­des­bei­nen an mit­bringt, ist die Gabe, sich voll­kom­men in eine Mate­rie zu ver­tie­fen. Auf schu­li­schen Lehr­aus­gän­gen in den Wald ist es vor­ge­kom­men, dass die ande­ren schon wei­ter­ge­gan­gen waren, wäh­rend sie noch mit Stau­nen beschäf­tigt war. Diese Fähig­keit zur abso­lu­ten Fokus­sie­rung hat zur Folge, dass sie nicht sel­ten – „gedopt“ mit dem Stu­den­ten­fut­ter aus ihrer Nasch-Lade – erst von ihrer Arbeit auf­sieht, wenn es drau­ßen bereits dun­kel ist. Und zwar auch im Som­mer. Oft ist es ihr Ehe­mann Rolf Rind­ler, ein Kul­tur­tech­ni­ker an der Uni­ver­si­tät für Boden­kul­tur, der sie an die Ver­ab­re­dung zum Kino erin­nern muss, weil sie sonst ein­fach durch­ar­bei­ten würde. „Für mich ist es wirk­lich gut, mit einem Mann ver­hei­ra­tet zu sein, der selbst forscht und diese Fas­zi­na­tion für die Arbeit ver­steht“, betont Rindler. 

Den nöti­gen Aus­gleich zum Laborall­tag fin­det Katha­rina Rind­ler auch in Sport­ar­ten, die so rich­tig kör­per­lich aus­po­wern: Im Win­ter fährt sie wochen­ends heim nach Kärn­ten zum Snow­boar­den. Rind­ler ist in Len­dorf unweit des Mill­stät­ter Sees auf­ge­wach­sen, ihre Eltern leben in Spit­tal an der Drau. Ver­schneite Berge gibt es also quasi vor der Haus­tür. Im Som­mer gönnt sie sich min­des­tens eine Urlaubs­wo­che am See. „Dazwi­schen, im Früh­jahr und im Herbst, gefällt es mir aller­dings in Wien bes­ser.“ Im urba­nen Umfeld geht sie dann „nur“ Lau­fen oder seit Kur­zem zum Tae Bo, einer Fit­ness-Sport­art mit Wur­zeln in der asia­ti­schen Kampfkunst. 

Dass sie ein­mal Bio­lo­gie stu­die­ren würde, war für Rind­ler, Zweit­ge­bo­rene von vier Schwes­tern, von klein auf klar. „Mein Vater ist Bio­lo­gie­leh­rer und er hat mir schon sehr früh ein Mikro­skop geschenkt, weil mich die Bio­lo­gie so fas­zi­niert hat.“ Nur kurz – so mit 14 oder 15 – erwog sie zeit­weise, Jour­na­lis­tin zu wer­den; sich also auf die Spu­ren der Mut­ter zu bege­ben, die an der­sel­ben Schule wie der Vater Deutsch und Sport unter­rich­tet. Dass sie aus dem brei­ten Spek­trum der Bio­lo­gie dann aus­ge­rech­net Gene­tik und Ent­wick­lungs­bio­lo­gie gewählt hat, führt sie auf die Vor­le­sung des Gene­tik-Pro­fes­sors Rudolf Schweyen an der Wie­ner Uni­ver­si­tät zurück. Zur Krebs­for­schung kam sie – ohne per­sön­li­chen Anlass­fall – im Laufe ihres Stu­di­ums. Ihr Spe­zi­al­wis­sen über die Fal­tung der RNS, das sie im Zuge der Bache­lor­ar­beit erwor­ben hatte, konnte sie gleich an der Med­Uni in einer onko­lo­gi­schen For­schungs­gruppe ein­set­zen. Rind­ler blieb beim Thema – und ihr wich­tigs­tes beruf­li­ches Ziel ist heute, wei­ter in der For­schung tätig sein zu können. 

Rind­lers Vater ver­folgt den beruf­li­chen Wer­de­gang der erfolg­rei­chen Toch­ter voll Stolz und Inter­esse. Im Zuge der Dok­tor­ar­beit kam es irgend­wann zum „Tur­n­around“. „Heute bin ich es, die seine Fra­gen beant­wor­tet.“

Fokus auf Details 

Aus dem ver­träum­ten Kind von einst hat sich eine junge Frau ent­wi­ckelt, die sich unter ande­rem vor­ge­nom­men hat, ande­ren Men­schen ganz genau zuzu­hö­ren – um ja kei­nen Teil der Bot­schaft zu ver­pas­sen. Details zäh­len für sie auch bei einer ihrer pri­va­ten Lei­den­schaf­ten, dem Lesen von Kri­mi­nal­ro­ma­nen. Es macht ihr Spaß „ana­ly­tisch mit den Detek­ti­ven mit­zu­den­ken“ und jedes Indiz zu erfas­sen. „Als Kind habe ich Sher­lock Hol­mes ver­schlun­gen. Heute mag ich Jo Nesbø.“ 

Beruf­lich trägt sie ebenso akri­bisch Fakt um Fakt zusam­men, um dem gro­ßen Geheim­nis der Tumor­zell-Migra­tion auf die Spur zu kom­men. „Erb­sen­zäh­le­rin“ ist sie trotz­dem keine: Auf ihrer Hoch­zeits­reise, gleich nach den vie­len durch­ge­ar­bei­te­ten Näch­ten beim Schrei­ben der Dis­ser­ta­tion, mie­tete sie mit ihrem Mann auf Sizi­lien ein Auto, um sich dann ein­fach spon­tan zu ent­schei­den, wohin die Reise führt. Rind­lers wei­te­rer Berufs­weg hin­ge­gen wird davon abhän­gen, wo sich genü­gend Gel­der für ihre For­schungs­vor­ha­ben fin­den lassen. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2018