Por­trät Iva Tolic: For­schung auf kleins­ter Ebene mit größ­tem Erfolg

25.06.2018 | Themen

Die kroa­ti­sche Zell­bio­lo­gin Iva Tolic erhielt für ihre For­schun­gen auf dem Gebiet der Zell­tei­lung den Ignaz L. Lie­ben-Preis, die älteste Aus­zeich­nung der Öster­rei­chi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten. Ursula Jungmeier-Scholz

Schau, eine Kern­spin­del!“, rief einer der klei­nen Söhne von Iva Tolic, als er zum ers­ten Mal ein Rie­sen­rad sah. Bunte Ani­ma­tio­nen über den Ablauf der Mitose, abge­spielt auf Mamas Lap­top, oder müt­ter­li­che Zeich­nun­gen von Kern­spin­deln gehö­ren ebenso zum All­tag der bei­den zwei- und vier­jäh­ri­gen Söhne der kroa­ti­schen Zell­bio­lo­gin wie Bil­der­bü­cher und die Rut­sche im Park. Auf diese Weise wurde auch der Wis­sens­durst von Tolic von klein auf geför­dert: „Von mei­nen Eltern, die beide Geis­tes­wis­sen­schaf­ter sind, habe ich die Liebe zur Erkennt­nis und zu den Büchern von frü­her Kind­heit an über­nom­men.“ Doch die Human­wis­sen­schaf­ten erschie­nen ihr zu vage; Iva Tolic bevor­zugt Prä­zi­sion. Schon zu Schul­zei­ten absol­vierte die gebür­tige Zagre­be­rin Mathe­ma­tik-Wett­be­werbe und plante ursprüng­lich, Mathe­ma­tik zu stu­die­ren. An der Schwelle zum Erwach­sen­wer­den waren es aber dann doch die Grund­fra­gen des Seins, die sie nicht los­lie­ßen: Was ist Leben und wie funk­tio­niert es? Damit beschäf­tigt sich die heute 44-Jäh­rige nun als For­schungs­grup­pen­lei­te­rin und Bio­lo­gie-Pro­fes­so­rin am Rud­jer Bos­ko­vic- Insti­tut in Zagreb. Auf kleins­ter Ebene – in der Zelle –, dafür mit größ­tem Erfolg. 

Har­mo­nie von Bio­lo­gie und Mathematik 

„In mei­nem Diplom­stu­dium der Mole­ku­lar­bio­lo­gie fand ich Gefal­len an den Pro­ble­men der Bio­lo­gie, ver­misste aber die prä­zise und ele­gante Spra­che der Mathe­ma­tik“ – erzählt Iva Tolic von den Anfän­gen ihrer aka­de­mi­schen Kar­riere. Als Toch­ter einer Lite­ra­tur­theo­re­ti­ke­rin sowie eines Jour­na­lis­ten und Phi­lo­so­phen ver­fügt sie wohl über ein tie­fe­res Ver­ständ­nis der Prä­zi­sion von Spra­che. Getrie­ben von unstill­ba­rem Wis­sens­durst, besuchte sie vor dem Ende ihres Stu­di­ums zahl­rei­che Kon­fe­ren­zen und Sum­mer Schools – neben­bei eine leist­bare Mög­lich­keit, um mehr von der Welt zu sehen. Ein nicht unwe­sent­li­cher Aspekt für die lebens­lus­tige junge Frau, die ihre inten­si­ven Arbeits­tage schon von jeher gerne in Bars und Clubs aus­klin­gen ließ. 

In Argen­ti­nien stieß sie bei einem Mee­ting schließ­lich auf die ersehnte Kom­bi­na­tion von Bio­lo­gie und Mathe­ma­tik – Bio­ma­the­ma­tik – und suchte sich eine ent­spre­chende Dis­ser­ta­ti­ons­mög­lich­keit in der For­schungs­gruppe des theo­re­ti­schen Che­mi­kers Nenad Tri­na­j­stic am Rud­jer Bos­ko­vic-Insti­tut. Ihr Dok­tor­va­ter ermun­terte sie dann, sich doch der theo­re­ti­schen Bio­lo­gie zuzu­wen­den. Die Eltern von Tolic leb­ten damals in Zürich, wo in der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek – im Gegen­satz zu Zagreb – „The Jour­nal of Theo­re­ti­cal Bio­logy“ zu fin­den war. Darin ver­tiefte sich Toch­ter Iva bei ihren Besu­chen und stieß dabei auf das Modell des Zell­ske­letts als „tensegritiy“-Struktur, einer Wort­schöp­fung des US-Uni­ver­sal­ge­nies Buck­mins­ter Ful­ler und des US-Archi­tek­ten Ken­neth Snel­son, aus „ten­sio­nal“ und „inte­grity“. Dazu wollte Tolic unbe­dingt selbst for­schen und wandte sich an Ning Wang von der Har­vard School of Public Health in Bos­ton mit der Bitte, in sei­ner Gruppe mit­ar­bei­ten zu dürfen. 

Zwi­schen Pizza und Meeresfrüchten 

Sie durfte – in den ers­ten Mona­ten aller­dings noch unbe­zahlt – und begann gleich mit einer theo­re­ti­schen Arbeit zum ten­se­gri­tiy- Modell. „Ich besuchte zahl­rei­che Lunch- und Din­ner-Semi­nare, bei denen gra­tis Pizza inklu­diert war, weil ich zunächst nichts ver­dient habe.“ Es folg­ten Jahre des Rei­sens: Im Anschluss an Bos­ton arbei­tete Tolic am Niels Bohr-Insti­tut in Kopen­ha­gen und am Euro­päi­schen Labor für nicht­li­neare Spek­tro­sko­pie in Flo­renz, wo sie mit­tels Laser-Abla­tion Cyto­ske­lett- Fasern und inn­er­zel­lu­läre Vor­gänge unter­suchte. Die nächste Sprosse auf der Kar­rie­re­lei­ter führte sie nach Dres­den an das Max Planck-Insti­tut für Mole­ku­lar- und Zell­bio­lo­gie und Gene­tik – mitt­ler­weile als For­schungs­grup­pen­lei­te­rin. „Ich war stets Teil einer inter­na­tio­na­len For­scher­ge­mein­schaft , die es mir ermög­lichte, mich über­all zu Hause zu füh­len. Aber ich wusste in all den Jah­ren, dass ich eines Tages nach Zagreb heim­keh­ren würde.“ Tolic liebt die medi­ter­rane Lebens­weise, das abend­li­che Trei­ben auf den Gas­sen und in den Clubs, das Meer und nicht zuletzt die dar­aus gewon­ne­nen kuli­na­ri­schen Freu­den. So hat sie sich unter all ihren Gast-Städ­ten in Flo­renz am wohls­ten gefühlt. „Ich mag den Humor der Men­schen dort, ihre Ver­spielt­heit und ihre Gabe, das Leben zu genießen.“ 

Geheim­nisse der Mitose 

Tolic selbst ist eine Brü­cken­baue­rin – nicht nur zwi­schen inter­na­tio­na­len For­scher-Com­mu­ni­ties, son­dern auch zwi­schen wis­sen­schaft­li­chen Fach­rich­tun­gen. In ihrer Arbeit am Rud­jer Bos­ko­vic-Insti­tut, an das sie im Jahr 2014 wech­selte – mitt­ler­weile mit einem kroa­ti­schen IT-Unter­neh­mer ver­hei­ra­tet – lei­tet sie ein mul­ti­pro­fes­sio­nel­les Team, das sich mit Zell- und Mole­ku­lar­bio­lo­gie, mole­ku­la­rer Gene­tik, Bio­phy­sik, Laser-Mikro­chir­ur­gie, opti­schen Ver­fah­ren, Infor­ma­tik und theo­re­ti­scher Phy­sik beschäf­tigt. Gemein­sam wird an den Geheim­nis­sen der Mitose geforscht, den Mikro­tu­buli sowie den Motor­pro­te­inen, die wäh­rend der Zell­tei­lung Bewe­gung initi­ie­ren. Eine ihrer Ent­de­ckun­gen sind die „Brü­cken-Mikro­tu­buli“: jene Fasern, die sich zwi­schen benach­bar­ten Schwes­ter-Kine­tocho­ren im Zen­trum des Spin­del­ap­pa­rats aus­bil­den und die dort die Span­nung zwi­schen den Kine­tocho­ren regu­lie­ren. „Ich mag For­schung, die aus rei­nem Wis­sens­durst ent­steht“, betont Tolic. In ihrer Gruppe wid­met sich zwar jeder einer defi­nier­ten Frage – mit wel­chen Metho­den, bleibt jedoch jedem selbst über­las­sen. Frei­heit, so Tolic, sei beim For­schen essen­ti­ell – nur dann beob­achte man Uner­war­te­tes und ent­wickle neue Her­an­ge­hens­wei­sen. Ein wei­te­rer wich­ti­ger Fak­tor in ihrem Team: der täg­li­che inter­dis­zi­pli­näre Austausch. 

Ältes­ter ÖAW-Preis 

Für ihre außer­ge­wöhn­li­chen Erkennt­nisse zu den Vor­gän­gen wäh­rend der Mitose hat Iva Tolic kürz­lich den Ignaz L. Lie­ben- Preis erhal­ten: die älteste und mit 36.000 Dol­lar am höchs­ten dotierte Aus­zeich­nung der Öster­rei­chi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten. Der für her­aus­ra­gende Arbei­ten auf den Gebie­ten der Mole­ku­lar­bio­lo­gie, Che­mie und Phy­sik vor­ge­se­hene Preis wurde ursprüng­lich 1863 gestif­tet und nach dem Grün­der des Bank­hau­ses Lie­ben benannt. Vor Iva Tolic erhiel­ten ihn bei­spiels­weise der Nobel­preis­trä­ger und Erfor­scher der kos­mi­schen Strah­lung, Vic­tor Franz Hess, sowie die Kern­phy­si­ke­rin Lise Meit­ner. 1938 war er ein­ge­stellt wor­den, als das Stif­ter­ehe­paar von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­folgt wurde, doch seit dem Jahr 2004 wird der Lie­ben-Preis wie­der regel­mä­ßig ver­ge­ben. „Als ich erfah­ren habe, dass ich aus­ge­wählt wor­den war, war ich so glück­lich!“, erzählt Tolic. „Es ist eine sehr Pres­ti­ge­träch­tige Aus­zeich­nung. Und ich habe mich auf die herr­li­che Zere­mo­nie in Wien gefreut.“ 

Auch nach Wien hat Tolic längst eine Brü­cke gebaut – im Rah­men eines Human Fron­tier Sci­ence Pro­gram (HFSP)-Projekts mit Juro Gre­gan von den Max F. Perutz-Labo­ra­to­ries. Im Zen­trum der gemein­sa­men Arbeit: ein bio­phy­si­ka­li­scher Zugang zur Kern­spin­del. Zu jenem Bau­stein des Lebens, um den sich die gesamte For­schungs­ar­beit von Iva Tolic dreht wie die Kabi­nen um ein Riesenrad.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2018