Porträt Christoph Faschinger: Von Graz bis Rundu 

25.09.2018 | Themen


In einem Land konzentriert arbeiten, bis dort Unterstützung nicht mehr nötig ist – so versteht der Grazer Ophthalmologe Univ. Prof. Christoph Faschinger seine Tätigkeit. Mit seinem Team war er bislang unter anderem in Zimbabwe, Nepal, Tansania und Nigeria im Einsatz. Das Praktische an seinem Fach: Das OP-Besteck passt ins Handgepäck.
Ursula Jungmeier-Scholz

Vor Jahrzehnten haben die Eltern von Univ. Prof. Christoph Faschinger eine Wette über die Zukunft ihrer Söhne abgeschlossen. Der Jüngere, Christoph, so der Vater, würde wie er Diplomingenieur werden, der Ältere in die Fußstapfen der Mutter treten und Medizin studieren.

Es hat ihn – den Vater – einen teuren Jahrgangswein gekostet, denn die Söhne haben es genau umgekehrt gehalten. Aus einer gewissen Perspektive betrachtet hat der Vater aber auch Recht behalten: Was beim kleinen Christoph mit einer Leidenschaft für Matador und Märklin begonnen hat, findet noch heute seine Fortsetzung in der Chirurgie des vorderen Auges: Ohne das technisch-handwerkliche Geschick wäre sein beruflicher Werdegang – von Graz bis Rundu, einer Stadt im Nordwesten von Namibia – undenkbar gewesen. So ist er zu einer Art „Diplomingenieur des Auges“ geworden.

Sehen ohne Grenzen

„Es muss mich etwas infiziert haben, denn ich wollte immer schon Tropenarzt werden“, erklärt Faschinger rückblickend. Der Weg dorthin verlief in Mäandern; erst mit 43 Jahren brach er nach Papua-Neuguinea auf, um mit einem Freund zusammen unter rudimentären Bedingungen Katarakte zu operieren. „Da haben wir gelernt, welche Mindestausrüstung es dazu braucht.“ Die organisatorischen Mängel der Expedition – es gab nicht einmal ausreichend Spritzen, um die Augen zu spülen – haben ihn letztlich dazu veranlasst, mit seinem Reisekompagnon, dem Grazer Augenarzt Martin Eckhardt und ein paar anderen Fachkollegen, im Jahr 2000 den Verein „Sehen ohne Grenzen“ zu gründen. Tausende Menschen in Afrika und Asien verdanken mittlerweile ihr Augenlicht dieser Initiative; finanziert werden die Katarakt-Operationen durch Spenden. Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte – darunter auch Faschingers Tochter Eva –, aber auch OP-Schwestern und Helfer, arbeiten dort ehrenamtlich in ihrem Urlaub. Eine Woche operieren, drei Tage Urlaub anhängen, so lautet Faschingers üblicher Rhythmus.

Gerade eben ist er wieder aus Namibia zurückgekehrt, vom 21. dortigen Eye Camp. „Wir operieren in Orten, wo es zumindest ein kleines Spital gibt.“ An neun verschiedenen Destinationen Namibias war Faschingers Team schon im Einsatz – von Grootfontein bis Onandjokwe, außerdem in Zimbabwe, Nepal, Tansania, Nigeria und Zambia. „Ich mache aber keinen ,Augenchirurgie-Tourismus ´, sondern ich arbeite lieber in einem Land konzentriert, bis wir dort nicht mehr benötigt werden. In Zambia war das nach neun Camps der Fall. Nun schicken wir dorthin nur mehr Verbrauchsmaterial“, betont er.

Im Jahr 1978 hat Faschinger gleich nach seiner Promotion mit der Ausbildung zum Augenfacharzt begonnen, weil er die Vielfalt gesucht hat. „In der Augenheilkunde arbeitet man vom Neugeborenen bis zur Hochaltrigen mit allen Altersstufen, mit beiden Geschlechtern, konservativ wie operativ und, was sehr motivierend ist, ein überwiegender Teil der Operationen verläuft erfolgreich.“ Fast wäre er im Gegenfach auf der Internen „umgefallen“, denn einige Aspekte werden ja auch von der Inneren Medizin abgedeckt … Ganz wichtig war ihm aber auch die Möglichkeit, mit seiner Expertise in Entwicklungsländern tätig sein zu können. „Das Praktische an meinem Fach ist: Mein OP-Besteck passt ins Handgepäck.“ Dass er so schnell einen Ausbildungsplatz in seinem favorisierten Fach gefunden hat, erklärt er heute scherzhaft mit dem Duft frischen Gebäcks, der an ihm haftete. „Der damalige Vorstand der Augenklinik, Hans Hofmann, kam wie ich aus Linz und war Kunde in der Bäckerei meiner Großeltern.“ Somit umwehte Faschinger im übertragenen Sinn eine Aura von frischem Brot – ebenso wie von Vertrauenswürdigkeit, der er sich als wert erwiesen hat.

Vater und Tochter im Doppelpack

Nach einem Express-Studium in elf Semestern – „ich wollte ganz schnell finanziell auf eigenen Beinen stehen, um von meinen strengen Eltern unabhängig zu werden“ – machte Faschinger 1984 sein Facharztdiplom, habilitierte 1988 und erhielt nach elf Jahren als außerordentlicher Professor im Jahr 2005 den Berufstitel Universitätsprofessor. Seit 19 Jahren ist er stellvertretender Klinikvorstand, unterbrochen von zwei Jahren in denen er interimistischer Klinikvorstand war. Da damals jedoch keine „Hausbestellungen“ vorgenommen wurden, konnte Faschinger sich nicht um die Klinikleitung bewerben. Das ist es aber nicht, was er als seine größte berufliche Enttäuschung ansieht. „Ich hätte so gerne meine eigene Tochter ausgebildet. Ich wollte sie zumindest ein Jahr bei mir auf der Klinik haben, um ihr die letzten Geheimnisse des Faches beizubringen.“ Doch das erlaubte ihm die damalige Klinikleitung nicht. Die Tätigkeit im Verein „Sehen ohne Grenzen“ ermöglicht Vater und Tochter nun eine Variante der ersehnten Wissensweitergabe. „Wenn sich bei einer OP im Augencamp eine unerwartete Schwierigkeit auftut, sagt sie einfach: ,Papa, komm!´“, erzählt er mit einem Lächeln.

Würde geben

Freude bereitet ihm auch, den Menschen ihre Würde zurückzugeben. „Wenn ein Afrikaner blind ist, muss er gefüttert und aufs Klo begleitet werden und kann keine Ziege mehr hüten. Dann fällt er der Gemeinschaft zur Last. Aber auch ein 102-Jähriger bekommt seine Würde zurück, wenn er wieder sehen kann.“ Am anderen Ende des emotionalen Spektrums finden sich Erlebnisse, bei denen Faschinger an die Grenze seiner ärztlichen Heilkunst gelangt. Wenn beispielsweise afrikanische Mütter ihre Kinder mit einem Retinoblastom im Endstadium zu ihm bringen – in der Hoffnung, der weiße Arzt werde das schon wieder in Ordnung bringen. „Diese Ausweglosigkeit erlebe ich als Augenarzt nur selten. Umso schwerer ist es für mich, sie zu verarbeiten.“

„Demütig und dankbar, zur richtigen Zeit an diesem Ort geboren worden zu sein“, haben Faschinger seine Erfahrungen in Entwicklungsländern gemacht. „Ich hätte in einem komplett anderen Sozial-, Rechts- und Gesundheitssystem aufwachsen können.“ Aber auch die unberührte Schönheit Afrikas verzaubert ihn immer wieder: „Die Weite, die ein völlig entspanntes Sehen ermöglicht. Die Ruhe, in der man das Pulsieren der Arterien im Ohr hört. Und die vollkommene Dunkelheit, erhellt nur von Sternen, in der die unermessliche Größe des Universums erfahrbar wird.“

Pure Geduld

Ob Afrika seine Persönlichkeit verändert hat, mögen die anderen beurteilen, meint Faschinger. Einen neuen Zugang hat er jedenfalls zur Geduld entwickelt. „Die Menschen warten dort tagelang – ob auf einen Verwandten oder auf den Bus – und keiner weiß, ob der wirklich jemals kommt.“

Ganz so offen steht er selbst seiner Zukunft nicht gegenüber. Mit 65 Jahren muss er in den Ruhestand treten – davor bleibt dem 1954 Geborenen nicht mehr viel Zeit. „Danach kann ich auch nicht mehr in den Augencamps operieren, denn dafür benötigt man die ununterbrochene Übung.“ Als Organisator möchte er aber jedenfalls dabei bleiben. Und auch sonst ist sein Kopf voller Pläne, die sich von einer Reise ins Burgund über Radtouren auf selten befahrenen Pass-Straßen bis hin zu seiner großen Forscherleidenschaft, der vergleichenden Anatomie des Auges, erstrecken. Egal ob Stubenfliege oder Hund: Faschinger versucht nachzuvollziehen, wie das Leben aus deren Perspektive im wahrsten Sinne des Wortes „aus-sieht“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2018