Porträt Andreas Villunger: Dem Geheimnis der Tetraploidie auf der Spur  

10.09.2018 | Themen


Der Innsbrucker Immunologe Univ. Prof. Andreas Villunger kann durch einen European Research Council-Grant daran forschen, mithilfe welcher Mechanismen Zellen ihre Chromosomenzahl regulieren und stabil halten. Die ÖÄZ geht auch der Frage nach, warum Tetraploidie im Herzmuskel normal ist – bei Tumorerkrankungen jedoch eine Gefahr darstellt.
Ursula Jungmeier-Scholz

Wenn ich heute noch einmal die Wahl hätte, würde ich Medizin studieren“, erklärt der studierte Mikrobiologe Univ. Prof. Andreas Villunger, Abteilungsleiter der Entwicklungsimmunologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. „Das wäre näher dran an dem, was ich heute mache.“ Mit seiner Forschung zur Apoptose und zur Regulierung der Chromosomenzahl in Leber-, Herz- und Tumorzellen zählt der 51-Jährige heute – obwohl er von einer anderen Fachrichtung kommt – zu den Größen der aktuellen medizinischen Forschung: Vor kurzem wurde ihm und seinem Team einer der sieben an Österreicher vergebenen „Grants“ des Europäischen Forschungsrates ERC zugesprochen – immerhin knapp 2,5 Millionen Euro. Diesen Erfolg verdankt er neben seiner spannenden Forschungsfrage auch seinem unglaublichen Durchhaltevermögen. Vor ein paar Jahren war er noch kurz davor, aufzugeben, Gelder für seine Projektidee zu lukrieren. „Zweimal hatten wir das Projekt zur Förderung beim FWF eingereicht und zwei Ablehnungen erhalten. Aber wir haben es nochmals versucht.“ Und plötzlich flossen die ersehnten Forschungsgelder und der Grundstein für den ERC-Grant war gelegt.

Tetraploidie: Freund oder Feind?

Nun kann er sich in den nächsten fünf Jahren der Frage widmen, mithilfe welcher Mechanismen Zellen ihre Chromosomenzahl (Ploidie) regulieren und stabil halten. Im Fokus der Forschung von Villunger steht ein Proteinkomplex, die sogenannten PIDDosome, der sobald Zellen ihre Ploidie erhöhen, den wichtigen Tumorsuppressor p53 aktiviert. Damit erhält die Zelle im Idealfall das Signal, nicht mehr weiterzuwachsen. In Tumoren funktioniert dieser Regulationsmechanismus oft nicht mehr; die Zelle behält nach der Teilung alle vier Chromosomensätze und ist plötzlich nicht mehr diploid, sondern tetraploid.

„Bei rund 70 Prozent aller Tumorerkrankungen sind tetraploide Zellen im Laufe der Tumorentwicklung nachweisbar und stellen somit eine Gefahr dar“, so Villunger. Gleichzeitig finden sie sich auch in jeder gesunden menschlichen Leber. Trotzdem ist Leberkrebs ohne vorangegangenen Virenbefall (Hepatitis) oder chronischen Alkoholabusus eher selten. „Es muss also in der Leber einen Kompromiss geben, warum Tetraploidie gut für den Stoffwechsel ist und möglicherweise sogar vor Tumoren schützt“, betont Villunger.

Auch im Herzmuskel ist Tetraploidie normal: „Da kann man wie in der Leber in der frühen Entwicklung nach der Geburt die Uhr danach stellen, wann sie erstmals auftritt.“ Ausschließlich von Vorteil ist das Phänomen im Herzen allerdings nicht. Möglicherweise, so Villunger, resultiere nämlich die mangelnde Regenerationsfähigkeit von Herzmuskelzellen gerade aus diesem besonders großen Chromosomenspeicher. „Ein Fischherz oder das eines Salamanders enthält ausschließlich diploide Zellen und regeneriert vollständig nach einem Herzinfarkt.“ Werden die Fischherzzellen jedoch so manipuliert, dass sie wie beim Menschen vier Chromosomensätze aufweisen, geht diese Heilungsfähigkeit schlagartig verloren. Grund genug, um dem Geheimnis der Tetraploidie, ihrer Funktion und ihren vielfältigen Auswirkungen, auf den Grund zu gehen.

Steile Lernkurve

Der Ausflug in die Besonderheiten von Herz- und Leberzellen bedeutet für Villunger, wissenschaftliches Neuland zu betreten – etwas, das ihn von Beginn seiner Karriere an gereizt hat und das auch seiner bevorzugten Arbeitsweise entspricht. Geradlinige Karriereplanung und strukturiertes Arbeiten, so Villunger, lägen ihm nicht so. Vielmehr lässt er sich intuitiv durch sein Erkenntnisinteresse leiten und vertieft sich dann in die ausgewählte Forschungsfrage. „In der Wissenschaft muss man ein Nerd sein – auf die eine oder andere Weise.“

Inspiriert durch einen faszinierenden Biologielehrer, der schon Mitte der 1980er-Jahre die künftige Bedeutung von Genetik und Molekularbiologie erkannt hat, studierte der Tiroler Villunger in Salzburg Biologie und, nach Innsbruck heimgekehrt, Mikrobiologie. In seiner Diplomarbeit widmete er sich der Regulation von Genen in der Brustdrüse. Im Zuge seiner Dissertation kam er erstmals mit Tumorbiologie – insbesondere der Apoptose – und dem klinischen Umfeld in Berührung. „Darauf war ich nicht optimal vorbereitet. Umso steiler verlief dafür dann meine Lernkurve.“ Seine Venia docendi im Jahr 2004 wurde schließlich als jahresbeste geehrt. „Sie war ein Potpourri meiner bis dorthin veröffentlichten Arbeiten über die Rolle des Zelltodes in der Entwicklung des Immunsystems und bei der Krebstherapie“, erklärt Villunger ganz unprätentiös.

Zwischen seinem Studienabschluss und der preisgekrönten Venia lagen vier unverzichtbare Forschungsjahre, die er am Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research (WEHI) in Melbourne, dem ältesten medizinischen Forschungsinstitut von Australien verbracht hat. „Am Ende meiner Dissertationszeit hatte die Apoptose-Welle auch Innsbruck erfasst und in Melbourne gab es erstklassige Wissenschaft auf diesem Gebiet.“ Aber nicht nur die Forschungsbedingungen und Forschungsförderungen in Australien waren attraktiv; Strand, Wind und Wellen erschienen dem Liebhaber des Meeres ebenso verlockend. Schließlich war er drauf und dran, in Down Under zu bleiben. Aber seine Frau, deren Unterstützung immerhin so weit gegangen war, dass sie sich bereit erklärt hatte, mit zwei Kleinkindern nach Australien auszuwandern (ein drittes wurde während des Aufenthaltes geboren), zog es stark in die Berge zurück.

Auch wenn ihrem Mann die Wellen lieber sind: Ohne die Tiroler Natur hätte er es auch nicht wirklich ausgehalten. Denn dort findet er beim Skifahren, Snowboarden und Wandern den Ausgleich zu seinen intensiven Arbeitstagen. Und in seiner Familie. „Ich versuche, mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, die eigentlich schon erwachsen sind.“ Der Zweitgeborene tritt in die Fußstapfen des Vaters und studiert in Innsbruck Molekulare Medizin. Vater Villunger bewundert sein Engagement, sorgt sich aber um seine Zukunftsaussichten. „In Tirol wird es nicht leicht sein, einen Job zu finden. Heute müssen die Jungen schon europäisch oder noch weiter denken, um auf ihrem Spezialgebiet arbeiten zu können. Aber die Internationalität und Mobilität in der Wissenschaft ist auch Teil ihres Reizes.“

Glück und Zweifel

Den Nährboden für die eigene Karriere sieht Villunger einerseits in glücklichen Fügungen. „Es ist beileibe kein Versagen, wenn auch engagierte Forscher keine dauerhafte akademische Karriere machen können. Denn die Wissenschaft ist ein beinhartes Business. Fördergeber und Sponsoren müssen überzeugt werden, und die Fördermittel sind zu knapp, Sponsoren in der Wissenschaft rar.“ Andererseits führt er seine Erfolge aber auch auf seine unermüdliche Neugier zurück und auf sein Prinzip, nichts als endgültige Antwort zu akzeptieren und veröffentlichte Daten immer zu hinterfragen. Selbst den eigenen Erkenntnissen misstraut er von Grund auf. Schließlich, so meint er heute rückblickend, seien auch mindestens 50 Prozent jener Hypothesen, die er in seinem Projektantrag aufgestellt hat, falsch gewesen. Bloß habe das damals noch keiner wissen können, das habe sich erst im Laufe der Forschungsarbeit herauskristallisiert. Nun arbeitet er mit seinem Team an weiteren Hypothesen und Fragen, in der Hoffnung, neue Grundlagen für die Therapie von Tumorpatienten und für die regenerative Medizin zu finden. 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2018