Kassenreform: Aus 21 werden 5

10.11.2018 | Themen


Anstelle der bislang 21 Sozialversicherungsträger soll es künftig nur noch fünf geben. Die Arbeitgeber verlieren an Einfluss, Selbstständige und Beamte bleiben in ihren Kassen unter sich. Ziel ist es u.a., rund eine Milliarde Euro einzusparen. Anfang Dezember soll der Beschluss im Parlament erfolgen.

Die künftige Struktur sieht wie folgt aus: Die neun Gebietskrankenkassen werden in einem einzigen Träger, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖKG) zusammengefasst (siehe Grafik). Weiters wird es die Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS – inklusive Bauern) sowie eine für den öffentlichen Dienst, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB) geben. So wie bisher bestehen bleiben die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) sowie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Der Hauptverband selbst wird de facto aufgelöst und zu einem Dachverband, der künftig nur noch koordinierende Aufgaben für die Sozialversicherungen übernehmen soll. Geplant ist auch eine halbjährliche Rotation unter den Obleuten der künftig fünf Sozialversicherungsträger.

In den Gremien von Krankenkasse und Pensionsversicherung verlieren die Arbeitnehmer ihre 4/5-Mehrheit; hier soll künftig eine Parität mit den Dienstgebern bestehen. Auch wird die Beitragsprüfung künftig durch die Finanz erfolgen. Kassenfunktionäre müssen künftig Eignungstests ablegen. Rund zehn Prozent der 19.000 Jobs in der Verwaltung will die Regierung innerhalb von drei Jahren einsparen; innerhalb von zehn Jahren sollen es 30 Prozent sein. Insgesamt sollen durch die Umstrukturierung bis 2023 Einsparungen in der Höhe von rund einer Milliarde Euro erzielt werden.

Und hier setzt auch die Kritik des Rechnungshofes an. Präsidentin Margit Kraker kritisierte, dass der Nachweis der von der Regierung behaupteten Einsparung in der Höhe von einer Milliarde Euro fehle. Und bei den in den Erläuterungen angeführten 33 Millionen Euro bis 2023 sei nicht klar, wie man dazu komme. „Die Grundlage ist nicht nachvollziehbar“, so Kraker. Weitere Kritikpunkte des Rechnungshofs: So sind etwa die Fusionskosten (Neuanmietung von Büros, EDV-Umstellungen, Beratungskosten etc.) nicht bewertet. Auch sieht der Rechnungshof die Ziele der Effizienzsteigerung und Vereinheitlichung von Leistungen teilweise nicht erreicht. Beispielsweise würden die Versicherungsträger der Bauern und der gewerblichen Wirtschaft zusammengelegt; ihr jeweiliges Beitragsund Leistungsrecht bleibe jedoch unverändert, stellt der Rechnungshof fest. Auch werde die Zahl der Sozialversicherungsträger nur „nominell“ auf fünf reduziert; faktisch bestünden jedoch weiterhin zehn Träger. Bei der ÖGK wiederum erfolge keine „unmittelbare materielle Vereinheitlichung des Leistungsrechts“, weil regionale Differenzierungen zu den Gesamtverträgen verhandelt werden sollen. Ebenso würden inhaltliche Vorgaben der Gesundheitsreform durch diesen Entwurf nicht umgesetzt, so die Prüfer des Rechnungshofs.

Stellungnahme des Hauptverbandes

Auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat Mitte Oktober eine 62 Seiten umfassende Stellungnahme zur geplanten Reform veröffentlicht. Darin heißt es u.a.: „Die Reduktion der dem öffentlichen Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Geldmittel, die Reduktion der Aufgaben des Dachverbandes, die Dezimierung der hoch qualifizierten und engagierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie die ständig wechselnde Leitung des Hauptverbands durch das Rotationsprinzip führen zu einer maßgeblichen Schwächung des Gesamtsystems der sozialen Sicherheit. Die vorgesehene übermäßige Staatsaufsicht ist ein verfassungswidriger Eingriff in die Selbstverwaltung.“ Das Rotationsprinzip wird als organisatorisch, manageriell und wirtschaftlich „dysfunktional“ bezeichnet.

In der Übertragung der Beitragsprüfung zur Finanz sieht der Hauptverband nicht nur einen Widerspruch zum verfassungsmäßig verankerten Selbstverwaltungsprinzip, sondern bezeichnet diese auch als „ineffizient“ und „überbürokratisch“. Ein weiterer Kritikpunkt: „Auf Länderebene gibt es keine Budget- oder Vertragskompetenz. Damit wird verhindert, auf regionale Bedürfnisse eingehen zu können“.

Des Weiteren ortet der Hauptverband eine Reihe von verfassungsrechtlich bedenklichen Bestimmungen. „Zentraler Kritikpunkt ist die paritätische Beschickung der Selbstverwaltungskörper bei der ÖGK und der PVA. Damit wird der Interessengemeinschaft der Arbeitnehmer die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt zu gestalten.“ Konkret werden 15 Punkte genannt: u. a. die Mehrheitsverhältnisse im Dachverband, die Beitragsprüfung, die Ausweitung der ministeriellen Aufsichtsbefugnisse und Eingriffsmöglichkeiten, der „Fit & Proper- Test“ für Versicherungsvertreter, die Überleitungsbestimmungen samt kommissarischer Leitung und auch die Auflösung der Betriebskrankenkassen.

Kritik der Opposition

Die Regierung sieht mit der Kassenreform eines ihrer zentralen Vorhaben auf den Weg gebracht – „es ist gelungen“, meint etwa Gesundheitsministerin Beate Hartinger (FPÖ). Kritik kommt von der Opposition: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner meint, dass die Reform die Situation der Menschen in diesem Land nicht verbessere. Beate Meinl-Reisinger von den NEOS wiederum bezeichnete die von der Regierung im Zuge mit der Sozialversicherungsreform versprochene Einsparung von einer Milliarde Euro als „Hokuspokus“. Daniela Holzinger von der Liste Pilz spricht von einer „Entmachtung der Versicherten“.

Das weitere Procedere: Nach dem Beschluss im Ministerrat Ende Oktober soll die Regierungsvorlage am 14. November im Sozialausschuss behandelt werden. Erfolgt im Dezember wie geplant die Beschlussfassung im Nationalrat und Bundesrat, kann das Gesetz mit 1. Jänner 2019 in Kraft treten. Mit 1. April 2019 werden in den jeweiligen Trägern Übergangsgremien eingesetzt, die den Fusionsprozess vorbereiten sollen. Mit 1. Jänner 2020 soll die neue Kassenstruktur dann gültig sein. (red)

Die Proteste

Schon im Vorfeld der Beschlussfassung hat es österreichweit Proteste und massive Kritik an der geplanten Kassenreform gegeben. In Vorarlberg beispielweise haben sich Gewerkschafter, Versicherte und Krankenkassenangestellte zusammen mit Vertretern der Ärztekammer in einer Trauerkundgebung von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK) verabschiedet. Vor rund 2.600 Anwesenden wurde Trauermusik gespielt, Grablichter wurden entzündet, schwarze Schleifen verteilt und das Logo der VGKK mit einem schwarzen Tuch verhüllt. „Hände weg von unserer GKK“ war auf Bannern am Eingang des Gebäudes der Vorarlberger GKK zu lesen. Die Redner prangerten das Vorgehen der Regierung an: Sie fürchten einen Leistungsabbau sowie die Verschiebung der Gesundheitsversorgung vom öffentlichen in den privaten Sektor. Die Vorarlberger National- und Bundesräte wurden aufgefordert, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Michael Jonas, Präsident der Ärztekammer Vorarlberg, erklärte, dass die „vom Bund verursachte Erkrankung“ der VGKK durch stärkeres politisches Engagement zu verhindern gewesen wäre.

Einen „Anschlag auf die Bundesländer“ sieht der Tiroler Arbeiterkammerpräsident Erwin Zangerl in der Strukturreform. Darüber hinaus käme es durch die Reform zu einer Schwächung der Arbeitnehmervertretungen und der Versicherten.

In Linz haben mehr als 1.200 Menschen gegen die „Zerstörung der Sozialversicherung“ und für den Erhalt der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK) demonstriert. ÖGB-Präsident Johann Kalliauer erklärte, dass mit der Reform die Selbstverwaltung außer Kraft gesetzt werde. Auch befürchtet er zusätzliche Kosten für die Versicherten sowie den Verlust von einer halben Milliarde Euro an Aufträgen für die oberösterreichische Wirtschaft. Albert Maringer, Obmann der oberösterreichischen GKK, sieht in der Verwirklichung der Fusions-Pläne ein „wirtschaftliches Desaster“ und eine „gesundheitspolitische Bankrotterklärung“. Die Regierung entmündige 1,2 Millionen Versicherte in Oberösterreich und stehle ihre Beiträge und Rücklagen in der Höhe von 500 Millionen Euro.

Mit Trillerpfeifen haben einige hundert Menschen in Graz gegen die geplante Reform protestiert. Eine Betriebsversammlung wurde auf die Straße verlegt, dann eine Menschenkette um das Gebäude der steirischen Gebietskrankenkasse gebildet. Die ehemalige Obfrau der steirischen GKK und jetzige SPÖ-Abgeordnete Verena Nussbaum bezeichnet die Kassenreform als „größten Diebstahl der Zweiten Republik“, da sie den steirischen Beitragszahlern ihre Krankenkasse nähme.

Im Rahmen einer Protestaktion der Gewerkschaft nahm auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) vor dutzenden Demonstranten vor dem Eisenstädter Landhaus Stellung. Wenn man die Selbstverwaltung in Frage stelle, „dann wird das in diese Richtung gehen, dass Teile der Gesundheitsversorgung sozusagen als nächster Schritt auch privatisiert werden“. Dann sei die Gesundheit eine „Frage des Geldbörsels“.

Ähnlich argumentiert auch der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ). Er fürchtet, dass „diese als Reform getarnte Umverteilung von Arbeitnehmern hin zu Arbeitgebern letzten Endes mit schmerzhaften Verschlechterungen der Gesundheitsversorgung für kleinere und mittlere Einkommen einhergeht“.

Der Obmann der Salzburger GKK, Andreas Huss, spricht von einer „Verstaatlichung des Gesundheitswesens“. Außerdem warnt er eindringlich vor einer Drei-Klassen-Medizin, die mit der Kassenreform gefördert werde.

„Entscheidungen für Niederösterreich fallen künftig in Wien und nicht in diesem Bundesland“, kritisiert Gerhard Hutter, Obmann der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse. Und Jan Pazourek, Generaldirektor der niederösterreichischen GKK, warnt eindringlich vor einer Verknappung der finanziellen Mittel, denn dadurch werde es „schwierig, das Leistungsniveau aufrecht zu erhalten“. (red) 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2018