Deklaration von Genf: Hippokrates und das ärztliche Gelöbnis

10.03.2018 | Politik


Die kürzlich vom Weltärztebund revidierte Fassung der Deklaration von Genf gilt als moderne Fassung des Hippokratischen Eides. Der Stellenwert der Arzt-Patienten-Beziehung, die Selbstbestimmung des Patienten, die Verpflichtung der Ärzte, auf die eigene Gesundheit zu achten, sind die wichtigsten Neuerungen.
Von Madeleine Rohac

Ich gelobe dies feierlich, aus freien Stücken und bei meiner Ehre“ – so schließt die offizielle deutsche Übersetzung des ärztlichen Gelöbnisses in seiner aktuellen Fassung, die von der 68. Generalversammlung des Weltärztebundes in Chicago am 14. Oktober 2017 veröffentlicht wurde. Entgegen der weitläufig vorhandenen Meinung, wonach Ärzte auf den Hippokratischen Eid als Grundlage ethischen Handelns schwören, ist dem nicht so.

Elemente aus dem Hippokratischen Eid sind in der Genfer Deklaration enthalten. Dabei handelt es sich um eine Zusammenstellung von ethischen ärztlichen Berufspflichten, die erstmals 1948 in Genf vom Weltärztebund beschlossen und seither mehrmals überarbeitet wurde. Die neueste Fassung vom Oktober 2017 beschreibt in klaren Worten und moderner Sprache die Grundsätze des ärztlichen Berufes. „Es war nicht leicht, alle Aspekte unter einen Hut zu bringen, speziell die interkulturelle Sicht der Vertreter aller Länder“, betont ÖÄK-Vizepräsident Herwig Lindner, der Österreich bei der Generalversammlung des Weltärztebundes in Chicago vertreten hat.

Zwei Jahre Arbeit in einer internationalen Arbeitsgruppe sind dem vorliegenden Text vorangegangen. Bis zuletzt wurde intensiv diskutiert. „Der abschließende Feinschliff erfolgte noch direkt bei der Generalversammlung“, berichtet Lindner. Die Selbstbestimmung des Patienten war bisher im ärztlichen Gelöbnis nicht verankert. Der Patient-Arzt-Beziehung den richtigen Stellenwert zu geben, ist demnach eine der wichtigsten Neuerungen. Dies erfolgt einerseits insofern, als der Res-pekt vor der Autonomie und Würde des Patienten ausformuliert wurden; andererseits durch die Reihung der Sätze, die Patientenrechte betreffen, an den Anfang des Dokuments. „Die vertrauensvolle Patient-Arzt-Beziehung ist der zentrale Angelpunkt des therapeutischen Verlaufes“, unterstreicht Lindner. „Aktuelle Umfragen zeigen uns immer wieder, dass es das ist, was auch die Patienten wollen.“ Trotz aller Technisierung in der Medizin müsse der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient sowie die Möglichkeit des Arztes, den Patienten in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, erhalten bleiben. Lindner dazu: „Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich das nun im Genfer Gelöbnis widerspiegelt.“

Für den Arztberuf brennen, aber nicht ausbrennen – das ist erstmals ein Thema des ärztlichen Gelöbnisses. Ärzte sind nach den neuen Grundsätzen verpflichtet, auf die eigene Gesundheit und das eigene Wohlergehen zu achten. Nur dann ist eine optimale Patienten-Betreuung möglich. „Angesichts der immer wieder kehrenden Diskussionen über Arbeitsbelastungen für Ärzte und Arbeitszeitgesetz kann man die Wichtigkeit dieses Punktes gar nicht genug betonen“, hält Lindner fest.

Die Berufsethik als höchstes Gut über jede Form äußerer Bedrohung zu stellen, ist ebenfalls ein Kernsatz des ärztlichen Gelöbnisses. Dies sei besonders den Vertretern aus afrikanischen Ländern und auch der Türkei ein Anliegen gewesen, erzählt Lindner vom internen Diskussionsprozess.

Die Überarbeitung der Genfer Deklaration fand unter der Patronanz der deutschen Bundesärztekammer statt. In Deutschland ist das Gelöbnis in der Präambel der ärztlichen Berufsordnung verankert und wird an zahlreichen medizinischen Universitäten im Rahmen von Studienabschlussfeiern öffentlich gesprochen. „Da sind uns die deutschen Kollegen etwas voraus“, merkt Lindner mit einem durchaus kritischen Blick auf die Situation in Österreich an. Aber auch hier soll das Genfer Gelöbnis als bedeutende Weiterentwicklung des Hippokratischen Eides und vor allem als wirkliches Gelöbnis im Bewusstsein der Ärzteschaft verankert werden. „In der Ärztekammer Steiermark sprechen wir es im Rahmen der feierlichen Diplomverleihung an unsere frisch ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen.“ Lindner weiter: „Dabei beeindruckt, mit welcher Freude auch die schon länger im Berufsleben befindlichen Kollegen dabei sind.“

Das ärztliche Gelöbnis

Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.

Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten wird mein oberstes Anliegen sein.

Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.

Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.

Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung, soziale Stellung oder jegliche andere Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.

Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus wahren.

Ich werde meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben.

Ich werde die Ehre und die edlen Traditionen des ärztlichen Berufes fördern.

Ich werde meinen Lehrerinnen und Lehrern, meinen Kolleginnen und Kollegen und meinen Schülerinnen und Schülern die ihnen gebührende Achtung und Dankbarkeit erweisen.

Ich werde mein medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin oder des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen.

Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.

Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.

Ich gelobe dies feierlich, aus freien Stücken und bei meiner Ehre.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2018