Ärzte im neuen Nationalrat: Vorstellungen und Pläne

25.02.2018 | Politik


Im neuen Nationalrat sitzen drei Ärztinnen und ein Arzt aus den Fraktionen von SPÖ, ÖVP und FPÖ. Was in nächster Zukunft zu tun ist, darüber scheiden sich sprichwörtlich die Geister von Pamela Rendi-Wagner, Dagmar Belakowitsch, Brigitte Povysil und Josef Smolle. Von Wolfgang Wagner

Ist es ein Manko, dass im neuen Nationalrat so wenige Ärzte vertreten sind, wo doch auf die Gesundheitspolitik erhebliche Herausforderungen zukommen? Pamela Rendi-Wagner sieht die Sache in einem größeren Rahmen: „Gesundheitspolitik beschränkt sich nicht auf einzelne Personen oder Gruppen,sondern sie muss in allen Politikfeldern  mitgedacht werden. Aus diesem Grund gibt es auch die Rahmengesundheitsziele, die dem Grundsatz ‚Health in all Policies‘ (Gesundheit in allen Politikbereichen; Anm.) Rechnung tragen. Die Gesundheitspolitik muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen – die Gesunden, die Kranken und jene, die im System arbeiten.“ Ihre künftige Rolle beschreibt sie folgendermaßen: „Es ist mir wichtig eine starke und aktive Oppositionspolitik zu machen. Wir wollen ein faires Gesundheitssystem – unabhängig von Herkunft, Bildung, Geschlecht oder Einkommen.“

FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch – sie war im letzten Nationalrat Vorsitzende des Gesundheitsausschusses – würde es begrüßen, wenn mehr Expertise aus dem Gesundheitswesen im Parlament vertreten wäre: „Es geht auch um die Sicht der von der Gesundheitspolitik Betroffenen. Sie haben einen anderen Zugang zu den Themen. Es wäre schon wichtig, wenn zumindest in den großen Fraktionen auch die Ärzteschaft vertreten wäre. Wir haben im Nationalrat bekanntermaßen sehr viele Lehrer und Juristen.“ Neben ihr und Primaria Brigitte Povysil ist in der FP Fraktion nunmehr auch ein Apotheker, Gerhard Kaniak.

Völlig unterschiedlich sind die Stellungnahmen zu der Frage, was in der jüngeren Vergangenheit im Gesundheitswesen erreicht worden ist. Während Rendi-Wagner „stolz darauf ist, in den vergangenen Monaten und Jahren eine  ganze Reihe von Weichen gestellt haben, um unser Gesundheitssystem zukunftsfit zu machen und nachhaltig abzusichern“, sieht Belakowitsch das völlig anders: „Im Grunde ist im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren wenig geschehen.“ Als eines der größten Probleme bezeichnet sie die notwendige Förderung der Allgemeinmedizin und der Hausärzte. Es müsse viel geschehen, um Allgemeinmedizin und Hausärzte zu unterstützen und deren Arbeit attraktiv zu machen, betont sie.

Bei den notwendigen strukturellen Änderungen im Gesundheitswesen werden ebenfalls deutliche Unterschiede erkennbar. „Wir haben EU-weit weiterhin die höchste Zahl an Akutbetten in Spitälern. Wir haben weiterhin viele Pflegepatienten in Akutspitälern. Es gibt es Problem der Zersplitterung der Kompetenzen. Das ist schon bei den Bundesländern erkennbar, zum Beispiel, wenn Patienten aus Niederösterreich nicht in einem Wiener Spital untergebracht werden können“, kritisiert Belakowitsch. Hier gebe es irrationale Grenzziehungen zwischen den einzelnen Bundesländern. Und schließlich: „Das gleiche gilt für die Finanzierungsströme von Bundesländern und Sozialversicherung. Da versucht jeder, dem anderen die Kosten zuzuschieben.“

Das österreichische Gesundheitswesen sei durchaus reformierbar, verbesserbar, erklärt Povysil: „Ich war ja im oberösterreichischen Landtag tätig. Und da haben wir in den vergangenen Jahren zwei Spitalsreformen zustande gebracht und die Medizinische Universität geschaffen. Es ist prinzipiell möglich, Leistungen von Spitälern zu bündeln oder neu zu ordnen. Wir haben in Oberösterreich auch drei Pilotprojekte zur Primärversorgung etabliert. Und schließlich haben wir in Oberösterreich die Finanzierung der Lehrpraxen geschafft.“

Allgemein sollte – so die Radiologin – in der Gesundheitspolitik rationales und zukunftsorientiertes Handeln angesagt sein: „Was uns wirklich fehlt, ist eine vorausschauende und zeitgerechte Planung. Die Frage des Ärzte-Arbeitszeitgesetzes war ja absehbar. Das war ja kein plötzlich herein brechender ‚Tsunami‘. Es gibt im Gesundheitswesen rund 60 verschiedene Finanzströme. Wichtig wäre auch eine Reform des Sozialversicherungswesens, damit das, was wir haben– und das ist ja nicht wenig an Finanzmitteln – dorthin bringen, wo es Bedarf gibt.“ Rendi-Wagner ergänzt im Hinblick auf Primärversorgungszentren: „Wir brauchen starke ambulante Strukturen, mit umfassenden Leistungen und attraktiven Öffnungszeiten – damit die Menschen nicht sofort in die Spitalsambulanz gehen und lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Die multiprofessionelle Zusammenarbeit und Vernetzung die es in den regionalen Gesundheitszentren gibt, soll nicht auf die hausärztliche Versorgung beschränkt bleiben, sondern auchauf den fachärztlichen Bereich ausgedehnt werden.“ Die SPÖ-Politikerin fügte hinzu: „Im Verhältnis zum fachärztlichen Bereich muss auch die Allgemeinmedizin eine Aufwertung erfahren. Das beginnt beim Studium und in der Ausbildung und ist natürlich auch eine Frage der Arbeitsbedingungen und der fairen Honorierung. Im Fokus stehen für uns die Wünsche und Bedürfnisse der Ärztinnen und Ärzte. Diese wollen heute andere Formen der Zusammenarbeit, multiprofessionelles Teamwork oder eine bessere Work-Life-Balance. Dem muss Rechnung getragen werden.“

Belakowitsch sieht die Situation naturgemäß anders: „Jetzt haben wir diese Primärversorgungszentren. Aber zuerst bräuchten wir die Ärzte dafür. In ländlichen Regionen wird das nichts bringen,weil diese Primärversorgungszentren würden wohl vor allem in den Bezirkshauptstädten etabliert werden. Aber die Menschen benötigen eine wohnortnahe Versorgung in ihren Gemeinden. In den Ballungszentren sind diese Zentren wohl eher kleine Ambulanzen, die auch noch mit viel Geld unterstützt werden. Was wir brauche, ist die Möglichkeit der Anstellung von Ärzten durch Ärzte und sinnvolle Ärzte GmbHs.“
 
Povysil will darüber hinaus sowohl mehr Studienplätze und Maßnahmen, um die Abwanderung von Medizinabsolventen zu stoppen: „Wir brauchen in Österreich mehr Studienplätze und wir müssen die Abwanderung stoppen. Wir haben pro Jahr rund 1.500 Studienanfänger in Medizin und 1.300 Absolventen. Ein Drittel davon geht verloren. Man könnte bindende Stipendienmodelle schaffen.“ Wer sich für die Zeit nach dem Studium drei bis fünf Jahre zur Arbeit in Österreich verpflichte, sollte spezielle finanzielle Unterstützung erhalten.

Mehr tun für Hausärzte

Für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – speziell die Hausärzte – müsse mehr getan werden, betont die Radiologin: „Wir bekennen uns ganz klar zum Arzt in der niedergelassenen Praxis als erstem Ansprechpartner. Wenn sich ein Allgemeinmediziner in der Praxis mit einer Einzelordination niederlassen will, soll er das tun können. Ärzte sollen in der niedergelassenen Praxis aber in den verschiedensten Formen arbeiten können. Dazu benötigen wir auch flexiblere Arbeitsteilzeit- Modelle.“ Die Frage der verschiedenen Organisationsstrukturen zwischen Einzelordinationen, Gruppenpraxen, Primärversorgungs- oder Facharztzentren sollte jeweils passend für die Bedürfnisse in der jeweiligen Region geklärt werden. Und schließlich: „Ich wünsche mir eine Stärkung von Forschung und Entwicklung in Österreich, auch als Standort. Darüber hinaus müssen wir bei den Arzneimitteln eine klare Form finden, wie wir jene Arzneimittel, die jetzt entwickelt werden, den Patienten in Zukunft auch wirklich zur Verfügung gestellt werden können.“

FPÖ-Gesundheitssprecherin Belakowitsch will die Ärzte durch neue Technologien unterstützt und nicht behindert sehen. Für sie ist ELGA ein großes Thema:„Die 30 Millionen Euro, die da hineingeflossen sind, sind verlorenes Geld. Das ist weiterhin ein auf pdf-Dateien aufbauendes System, das keine Vorteile für Ärzte und Patienten bringt, weil die einfache Benutzbarkeit nicht gegeben ist.“

Nach der Kandidatur bei den Nationalratswahlen auf der steirischen Landesliste der ÖVP ist Univ. Prof. Josef Smolle nun nachgerückt und für die jetzige Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß ins Parlament gekommen. Der Dermatologe und Medizin-Informatiker war acht Jahre lang Rektor der MedUni Graz und ist nun wieder zurück am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Medizinische Dokumentation.

Seine Vorstellungen über seine künftige Tätigkeit formuliert Smolle folgendermaßen: „Ich sehe die Möglichkeit einer positiven Mitarbeit für das Gesundheitssystem in Österreich.“ So meint er etwa zur medizinischen Versorgung ganz generell: „Medizinische und ärztliche Leistungen sollten dort erbracht werden, wo das am besten für die Patienten erfolgen kann. Derzeit wird sehr viel an Leistungen in Spitälern erbracht. Hier könnte man einiges verlagern.“

Stichwort Primärversorgungszentren: Hier spricht sich Smolle für eine evolutionäre Weiterentwicklung des Systems aus: „Ich glaube, dass die Organisation in der niedergelassenen Praxis breiter aufgestellt werden sollte. Das sind niedergelassene Ärzte, gute Netzwerke von niedergelassenen Ärzten und in Zukunft auch Primärversorgungszentren.“ Und weiter: „Ich halte gut ausgestattete Primärversorgungs-Netzwerke  und -zentren für eine starke Aufwertung des Hausarztes.“ Bei der Ausbildung zum Allgemeinmediziner selbst ist Smolle der Ansicht, dass diese durch die Ausbildungsreform – Stichwort Lehrpraxis – besser geworden ist. Und er verweist dazu auf die Aktivitäten der MedUni Graz, wo es schon seit Beginn der 2000-er Jahre eine verpflichtende vierwöchige Famulatur in der Praxis eines Allgemeinmediziners gibt. Smolle weiter: „Eine wissenschaftliche Untersuchung hat gezeigt, dass der Einblick in die wichtigen und vielfältigen Aufgaben als Hausarzt die Motivation für die Entscheidung für die Allgemeinmedizin fördert.“ Der Hausarzt beziehungsweise die Allgemeinmedizin seien keine „kurz gefasste Medizin der einzelnen medizinischen Fachdisziplinen“, sondern eben mehr.

Wichtig wäre es aber seiner Ansicht nach, prinzipiell Anreize für die Niederlassung in der Praxis zu schaffen –speziell in Regionen beziehungsweise Gemeinden, in denen eben kein Primärversorgungszentrum geschaffen wird und selbst die Niederlassung – zum Beispiel als Hausarzt mit Kassenvertrag – schwierig ist.

Zum Gesundheitswesen im Allgemeinen meint Smolle: „Mehr Vorsorge und Versorgung vor einem stationären Aufenthalt und mehr Nachsorge sind notwendig. Damit können sich die Spitäler auf die zunehmend differenzierte und komplexere Versorgung konzentrieren. Überhaupt sollten alle Akteure im Gesundheitswesen das tun können, wozu sie ausgebildet und vorgesehen sind.“ Dazu müsse aber auch die Bürokratie im Alltag der Ärzte auf ein machbares Ausmaß reduziert werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2018