Refee­ding-Syn­drom: Ver­schlech­ter­tes Überleben

10.06.2018 | Medizin


Bis zu 80 Pro­zent aller mal­nu­trier­ten Pati­en­ten ent­wi­ckeln bei der wie­der begin­nen­den Nähr­stoff­zu­fuhr inner­halb von 72 Stun­den ein Refee­ding-Syn­drom mit dem Kar­di­nal­sym­ptom Hypo­phos­phatämie. Wird das Refee­ding-Syn­drom nicht erkannt, kann es poten­ti­ell töd­lich enden.

Zwi­schen 20 und 50 Pro­zent der Pati­en­ten lei­den bei Auf­nahme in ein Kran­ken­haus an Mal­nu­tri­tion unter­schied­li­chen Schwe­re­gra­des. Weil dar­aus eine erhöhte Mor­ta­li­tät, gestei­gerte Kom­pli­ka­ti­ons­ra­ten und län­gere Spi­tals­auf­ent­halte resul­tie­ren, ist die rasche Eta­blie­rung einer adäqua­ten Ernäh­rungs­the­ra­pie emp­foh­len – wenn auch nicht ohne Risi­ken und Neben­wir­kun­gen. Eine poten­ti­ell töd­li­che Neben­wir­kung stellt das Refee­ding-Syn­drom (RFS) dar. Dabei kön­nen Elek­tro­lyt­stö­run­gen und Stö­run­gen der Flüs­sig­keits­ho­möo­stase zu einer kli­ni­schen Ver­schlech­te­rung diver­ser Organ­funk­tio­nen bis hin zum plötz­li­chen Herz­tod führen. 

Das Refee­ding-Syn­drom wurde erst­mals nach dem zwei­ten Welt­krieg bei Gefan­ge­nen in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern beschrie­ben. Sie waren mas­siv unter­ge­wich­tig und schwerst mal­nu­triert. Nach der Wie­der­auf­nahme einer ver­meint­lich adäqua­ten Nähr­stoff­zu­fuhr war die Mor­ta­li­tät mit bis zu 20 Pro­zent uner­war­tet hoch. Wäh­rend der ora­len Nah­rungs­auf­nahme kam es zu Herz­ver­sa­gen und neu­ro­lo­gi­schen Kom­pli­ka­tio­nen wie Krämp­fen und Koma. Einige Zeit spä­ter wurde der Zusam­men­hang zwi­schen Refee­ding und dem Auf­tre­ten von kar­dio­vas­ku­lä­ren und pul­mo­n­a­len Mani­fes­ta­tio­nen beschrie­ben, die bei chro­nisch mal­nu­trier­ten Pati­en­ten unter einer par­en­te­r­alen Ernäh­rung auf­ge­tre­ten waren. 

Inzi­denz und Diagnose 

Ein Refee­ding-Syn­drom wird häu­fig nicht erkannt und des­halb auch nicht ent­spre­chend the­ra­piert, wodurch es zu einer Ver­schlech­te­rung des Über­le­bens kom­men kann. Daher ist es wich­tig, bei Pati­en­ten mit Risi­ko­fak­to­ren für eine Mal­nu­tri­tion (siehe Tab. 1) beim Wie­der­be­ginn einer Nähr­stoff­zu­fuhr an diese poten­ti­elle Neben­wir­kung zu den­ken. Den­noch ent­wi­ckeln nicht alle mal­nu­trier­ten Pati­en­ten wäh­rend des Wie­der­be­ginns einer Ernäh­rungs­the­ra­pie ein Refee­ding-Syn­drom. Die Inzi­denz schwankt je nach Lite­ra­tur, wobei für unter­schied­li­che Pati­en­ten­grup­pen Inzi­denz­ra­ten zwi­schen null und 80 Pro­zent beschrie­ben wur­den. Diese mar­kan­ten Unter­schiede resul­tie­ren auch dar­aus, dass es keine all­ge­mein aner­kannte Defi­ni­tion des Refee­ding-Syn­droms gibt. Es herrscht kein Kon­sens dar­über, ob die Dia­gnose allein anhand unter­schied­li­cher Labor­pa­ra­me­ter gestellt wer­den kann oder ob zusätz­lich kli­ni­sche Sym­ptome vor­lie­gen müs­sen. In den meis­ten Stu­dien wird das Refee­ding-Syn­drom über ernied­rigte oder absin­kende Elek­tro­lyt­kon­zen­tra­tio­nen defi­niert; als Kar­di­nal­sym­ptom wird die Hypo­phos­phatämie ange­se­hen. Umge­kehrt bedeu­tet das Auf­tre­ten einer Hypo­phos­phatämie aber nicht zwin­gend, dass ein Refee­ding-Syn­drom vor­liegt. Elek­tro­lyt­ver­än­de­run­gen kön­nen auch eine nor­male Reak­tion auf das Refee­ding sein. Im kli­ni­schen All­tag scheint trotz­dem die Dia­gnos­tik anhand der Hypo­phos­phatämie sinn­voll, um ein Refee­ding-Syn­drom vor dem Auf­tre­ten eines „Full-blown RFS“ mit diver­sen Organ­dy­sfunk­tio­nen zu erken­nen und früh­zei­tig behan­deln zu können. 

Für die Prä­ven­tion und die Behand­lung ist es wich­tig, das indi­vi­du­elle Risiko zu erfas­sen. Hoch­ri­siko-Pati­en­ten kön­nen anhand von spe­zi­fi­schen Kri­te­rien iden­ti­fi­ziert wer­den (siehe Tab. 1). Neben die­sen Kri­te­rien kön­nen unter ande­rem noch ein ernied­rig­tes Albu­min oder Prä­al­bu­min, ein ernied­rig­ter IGF-1-Spie­gel, ein nut­ri­tio­nal risk scree­ning (NRS) 2002 von ≥3 Punkte und auch eine begon­nene ente­r­ale Ernäh­rung zur Risi­ko­be­ur­tei­lung her­an­ge­zo­gen werden. 

Das Auf­tre­ten eines Refee­ding-Syn­droms ist von der Art der Nah­rungs­zu­fuhr unab­hän­gig: Es kann sowohl durch eine orale als auch durch ente­r­ale oder par­en­te­r­ale Zufuhr ver­ur­sacht wer­den. Jedoch ist das Risiko je nach Art der Zufuhr unter­schied­lich hoch. So konnte etwa gezeigt wer­den, dass die ente­r­ale Ernäh­rung über eine naso­gas­trale Sonde mit einem höhe­ren Risiko asso­zi­iert ist als die par­en­te­r­ale Ernäh­rung. Bei ente­ral ernähr­ten Pati­en­ten war die Inzi­denz um 20 Pro­zent höher als bei Pati­en­ten mit einer par­en­te­r­alen Ernäh­rung. Zusätz­lich erhöht eine Glu­kose-Infu­sion vor dem Wie­der­be­ginn einer künst­li­chen Ernäh­rung das Risiko wei­ter. Das Refee­ding-Syn­drom ent­wi­ckelt sich nach Beginn einer Ernäh­rungs­the­ra­pie meist sehr rasch, oft inner­halb der ers­ten 72 Stun­den; es sind aber auch Zeit­fens­ter von bis zu zehn Tagen beob­ach­tet wor­den.

Pro­phy­laxe und Therapie 

Die Basis einer erfolg­rei­chen Pro­phy­laxe und The­ra­pie ist zunächst das Erken­nen des Erkran­kungs­bil­des. Dazu sind vor dem Wie­der­be­ginn einer Nähr­stoff­zu­fuhr, vor allem bei mal­nu­trier­ten Pati­en­ten, Vital­pa­ra­me­ter, Flüs­sig­keits­sta­tus, Blut­zu­cker­werte, Harn­elek­tro­lyte und Serum­elek­tro­lyte – beson­ders Natrium, Kalium, Magne­sium und Phos­phat – zu kon­trol­lie­ren. Gibt es Defi­zite im Elek­tro­lyt- bezie­hungs­weise Flüs­sig­keits­haus­halt, sind diese umge­hend aus­zu­glei­chen. Die Flüs­sig­keits­sub­sti­tu­tion sollte sehr vor­sich­tig vor­ge­nom­men wer­den, sollte jedoch zu kei­ner wei­te­ren Ver­zö­ge­rung der Nah­rungs­zu­fuhr füh­ren. Eine indi­vi­du­elle Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie kann par­al­lel zur Ernäh­rungs­the­ra­pie erfol­gen. Die Para­me­ter sind im Ver­lauf der The­ra­pie im Sinne eines inten­si­ven meta­bo­li­schen Moni­to­ring wei­ter sehr eng­ma­schig zu kon­trol­lie­ren. Die Nähr­stoff­zu­fuhr sollte bei mal­nu­trier­ten Pati­en­ten mit einer nied­ri­gen Rate – maximal 10kcal/​kg/​d – begon­nen und nach dem Prin­zip „Low and Slow“ lang­sam, über vier bis sie­ben Tage in den Ziel­be­reich gestei­gert wer­den. Wie schnell die Zufuhr gestei­gert wer­den kann, hängt von der indi­vi­du­el­len meta­bo­li­schen Sta­bi­li­tät ab. Bei sehr aus­ge­präg­tem Refee­ding-Syn­drom soll­ten initial eine noch gerin­gere Ener­gie­zu­fuhr (5kcal/​kg/​d) und auch lang­sa­mere Stei­ge­rungs­ra­ten ange­strebt werden. 

Trotz der emp­foh­le­nen restrik­ti­ven Ener­gie­zu­fuhr sollte man ver­su­chen, den ver­min­der­ten Pro­te­in­sta­tus zu ver­bes­sern. Dazu wird eine Pro­te­in­zu­fuhr von 1,2 bis 1,5g/kg/d bezo­gen auf das indi­vi­du­elle Ide­al­ge­wicht emp­foh­len. Regel­mä­ßig ist das Serum­am­mo­niak zu bestim­men, da durch die Pro­te­in­sub­sti­tu­tion in der Leber der Harn­stoff­zy­klus über­for­dert wer­den kann. Gleich­zei­tig sollte die Glu­ko­se­zu­fuhr auf die Menge der endo­ge­nen Glu­ko­se­pro­duk­tion (i.e. etwa 150g/​d) begrenzt wer­den, um die Frei­set­zung von Insu­lin zu mini­mie­ren. Weil die kör­per­ei­ge­nen Thi­amin­spei­cher im Rah­men einer Man­gel­er­näh­rung sehr leicht und sehr rasch deple­tiert wer­den kön­nen, sollte ein Thi­amin­man­gel bereits pro­phy­lak­tisch aus­ge­gli­chen wer­den. Dazu ist eine Sub­sti­tu­tion von 200–300mg/d ent­we­der per­oral oder intra­ve­nös emp­foh­len, die bis zur nach­hal­ti­gen meta­bo­li­schen Sta­bi­li­sie­rung fort­ge­setzt wer­den sollte. 

Sub­sti­tu­tion und Ernäh­rung: Empfehlungen 

• Nied­rige Ener­gie­zu­fuhr zu Beginn mit lang­sa­mer Stei­ge­rung („Low and Slow“)
• Pro­phy­lak­ti­sche Elek­tro­lyt- und Vit­amin­sub­sti­tu­tion
• Natri­um­re­strik­tion wäh­rend der ers­ten Tage der Ernäh­rungs­the­ra­pie
• Regel­mä­ßige Kon­trolle der Serum­elek­tro­lyte (Na, K, Mg, Phos­phat)
• Regel­mä­ßige Kon­trolle des Säure-Basen-Haus­hal­tes mit dem Serum­lak­tat
• Täg­lich kli­ni­sche Unter­su­chun­gen mit beson­de­rer Beach­tung des Hydratationszustandes

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2018