Porträt: Aus der Bodenprobe keimten zwei neue Karrieren

25.02.2018 | Medizin


Michael Opoku und Tara Picozzi, Lehrlinge an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, entdeckten in einer Bodenprobe zwei neue Pseudomonas-Arten. Für Opoku wie Picozzi haben sich die beiden neu entdeckten Keime als Sprungbrett in die Welt der Wissenschaft erwiesen. Die Auswirkung ihrer Entdeckung auf die Menschheit hingegen ist noch unklar.
Von Ursula Jungmeier-Scholz

Mit Gärtnerschaufel und Plastiksack ausgerüstet marschierte der Biologielaborant Michael Opoku in den Wald gleich neben dem Campus Reidbach der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil. Eine reine Routine-Aktion: Zum Abschluss seines ersten Lehrjahres sollte er Bodenproben nehmen und anschließend die enthaltenen Bakterien analysieren. „Ich habe die Erde in Salzlösung gelöst und eine Verdünnungsreihe angesetzt. Diese verschiedenen Verdünnungen habe ich auf Platten ausgestrichen.“ Nach einer Kultivierungsphase wurden die interessantesten Platten ausgewählt und weiter untersucht. „Bei einigen Bakterien war ich mir bei der Identifizierung unsicher. Ich habe sie zwar als Pseudomonas erkannt, wusste aber nicht genau, welche Arten ich vor mir hatte“, berichtet Opoku.

Die Art spielt jedoch eine große Rolle: Pseudomonas aeruginosa beispielsweise, ein Nasskeim, der sogar in destilliertem Wasser überlebt, verursacht in manchen Häusern ein Zehntel aller nosokomialen Infektionen und befällt zumeist immungeschwächte Patienten. Vor allem an AIDS Erkrankte sowie Menschen mit Mukoviszidose und Brandopfer sind gefährdet. Laut MSDManual zählen jedoch auch manche Arten von Pseudomonas „paucimobilis“, „putida“, „fluorescens“ und „acidovorans“ zu den pathogenen Erregern.

Um Exemplare der Pseudomonas putida-Gruppe handelte es sich bei jenen, die Michael Opoku nicht näher bestimmen konnte. Nicht einmal sein Ausbildner, der erfahrene Mikrobiologe David Frasson, vermochte eine präzise Feindifferenzierung vorzunehmen, daher veranlasste er eine DNA-Sequenzierung. Diese – und einige biochemische Untersuchungen – zeigten schließlich, dass es sich um zwei bisher noch nicht bekannte Arten handelt. Zahlreiche weitere Tests wurden durchgeführt, um die „Neuen“ näher zu erforschen. Tara Picozzi, ebenfalls Biologielaboranten-Lehrling an der ZHAW, wurde zu den Analysearbeiten hinzugezogen. Sie hatte 2014, ein Jahr nach ihrem Kollegen, mit der Lehre begonnen. „Ohne Hilfe der anderen, wäre das Projekt nicht zu bearbeiten gewesen“, betont Opoku.

Durch das Engagement von Frasson, der die finanziellen Mittel für weitere Untersuchungen akquirieren konnte, wurde ein umfassendes Projekt daraus – mit dem Effekt, dass die beiden passionierten Lehrlinge, die ihre Ausbildung mittlerweile abgeschlossen haben, nicht nur einen Beruf erlernt haben, sondern auch schon die erste Eintragung auf ihrer Publikationsliste aufweisen können. Denn die Veröffentlichung im renommierten „International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology“, die kürzlich erfolgte, nennt als Autoren die Nachwuchsforscher ebenso wie ihre Lehrer. „Uns war es wichtig, den Lernenden so unsere Anerkennung auszudrücken“, erklärt Frasson. „Ich fand es einfach gigantisch, bei dem Projekt mitarbeiten zu dürfen – eine schöne Herausforderung“, erzählt Picozzi.

Die beiden neuen Bakterienarten, nach ihrem Fundort Pseudomonas „wadenswilerensis“ und „reidholzensis“ benannt, wurden in der nationalen Sammlung „Culture Collection of Switzerland“ (CCOS) und der belgischen Stammsammlung (BCCM/LMG) hinterlegt und sind dort käuflich zu erwerben. Eine Probe ging bereits an das Pariser Institut Pasteur. Auch das Medienecho auf den Fund war unerwartet groß.

An „eigenen“ Bakterien forschen

„Ich konnte es kaum glauben, dass mir so etwas passiert“, beschreibt Opoku den Glücksmoment, als ihm klar wurde, dass er zwei neue Bakterienarten entdeckt hatte. „Ich war immer der Meinung, nur besonders Qualifizierte machen derartige Entdeckungen.“ Er selbst war zum Zeitpunkt seines Fundes erst 17 Jahre alt, seine Kollegin Picozzi 15. Dass er sozusagen an den „eigenen“ Bakterien forschen konnte, fand er ganz besonders motivierend. Mit dem Lehrabschluss ist sein Wissensdurst daherauch noch nicht gestillt: Zwar wollte er immer Biologielaborant werden – schon seit er seinen Vater, der an der Uni Zürich in Schlieren tätig ist, zum „Vater-Sohn-Tag“ begleitet hatte. Nun aber wurde der Funke des Forschergeistes in ihm entzündet: Aktuell bereitet er sich auf die Berufsreifeprüfung vor, mit dem Ziel, im Anschluss an den Militärdienst Biotechnologie zu studieren. „Ich will unbedingt weiter mit Bakterien arbeiten und in der Forschung meinen Beitrag leisten.“ Für seine Hobbies wie Fußballspielen, den Chor und das Gitarre spielen in der Gemeinschaft der Pfingstkirche Zürich, bleibt im Moment naturgemäß etwas weniger Zeit als bisher, aber Opoku empfindet „große Dankbarkeit“ dafür, dass er einen derart Aufsehen erregenden Fund bereits zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn machen konnte.

Auch Tara Picozzi fühlt sich durch diese Erfahrung in ihrem Berufsweg bestärkt. „Als älteste Tochter eines Arztes wurde von mir eigentlich erwartet, ebenfalls Ärztin zu werden. Ich aber habe mich anders entschieden.“ Mittlerweile erntet sie mit ihrer Ausbildung auch innerfamiliär großen Respekt. „Zunächst wollte ich ja medizinische Laborantin werden – inspiriert durch die Experten inden Krimiserien –, allerdings gibt es keine entsprechende Lehrstelle und so bin ich in der Biologie gelandet. Ich bin sehr froh über diese Entwicklung.“

Auch Picozzis Forscherpassion wurde in der heißen Analysephase der Pseudomonas- Keime geweckt. Zwar ging sie nach dem Ende ihrer Ausbildung heuer nach Sommerende zunächst in die Praxis – teils an der ZHAW, aber auch in einem Start-up-Unternehmen. Doch ihr nächstes Etappenziel heißt ebenfalls Matura, gefolgt vom Biotechnologie-Studium. Vielleicht wieder Seite an Seite mit Michael Opoku. Freizeit bleibt ihr derzeit wenig, doch wenn sie frei hat, geht sie gerne Laufen. Daneben faszinieren sie Sprachen; Englisch spricht sie fließend, was im Bereich der Forschung stets von Nutzen ist. „Derzeit arbeite ich an meinem Französisch“, erzählt sie.

Weitere Forschung geplant

Für Opoku wie Picozzi haben sich die beiden neu entdeckten Keime als ungeheurer Motivationsfaktor und Sprungbrett in die Welt der Wissenschaft erwiesen. Unklar ist, welche Auswirkung ihre Entdeckung auf die Menschheit im Allgemeinen haben wird. Doch Ausbildner Frasson gibt Entwarnung: „Diese Bakterien sind Umweltkeime der Putida-Gruppe, von denen ein paar pathogen sind. Wir vermuten, dass die neu Entdeckten für die Entgiftung von Böden interessant sein könnten oder biokatalytisch interessante Enzyme haben könnten. Das werden wir herausfinden, wenn wir das Genom annotiert haben. Für die menschliche Gesundheit sehe ich keine direkte Relation.“ Möglicherweise sorgen die neu entdeckten Pseudomonas-Arten aber noch ein zweites Mal für eine Überraschung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2018