Interview Herwig Kollaritsch: Impflücken schließen

25.11.2018 | Medizin

Warum Impfungen maßgeschneidert an die Bedürfnisse des Reisenden angepasst werden sollen und warum es auch hier zuerst darum geht, Impflücken zu schließen, erklärt Univ. Prof. Herwig Kollaritsch, leitender Arzt am Zentrum für Reisemedizin in Wien und Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin sowie für Hygiene und Mikrobiologie, im Gespräch mit Lisa Türk.

Welche Erkrankungen sind diesen Winter für Fernreisende relevant? Wo liegen die ‚Hotspots‘? Global betrachtet hat sich für Reisende dieses Jahr nichts Wesentliches verändert. Die Risiken sind mehr oder weniger gleich geblieben. Im asiatischen Raum, in der Karibik und in Teilen Südamerikas stellt Dengue-Fieber nach wie vor ein großes Problem für Touristen dar. Ob sich die großen Gelbfieber-Ausbrüche in Brasilien heuer wiederholen werden, können wir derzeit noch nicht beurteilen. Andere Infektionen sind jedoch seltener geworden. So beobachten wir, dass beispielsweise das Zika-Virus in Südamerika weitgehend inaktiv geworden ist und die Infektionsgefahr stark zurückgeht. Einige wenige aktive Herde beschränken sich auf vereinzelte Gebiete in der Karibik und in Mittelamerika. Auch Chikungunya-Infektionen haben international abgenommen. Nur im asiatischen Raum und in Südamerika existieren noch Herde.

Das West-Nil-Fieber ist derzeit medial sehr präsent. Wie beurteilen Sie diese Infektion? Das West-Nil-Fieber ist auf jeden Fall ernst zu nehmen und bereitet wohl allen Epidemiologen Sorgen. Das Virusreservoir für West-Nil sind unter anderem Zugvögel, dadurch muss selbst bei vorhandenem jahreszeitlichem Wechsel alljährlich mit einer Wiedereinschleppung gerechnet werden. Dazu kommt, dass die Klimaerwärmung eine Verlängerung der warmen Saison bedingt. Die Folge ist eine starke Zunahme an Infektionen, mit der wir sicherlich auch in den nächsten Jahren rechnen müssen. Im europäischen Raum sind 2012 insgesamt 300 Fälle gemeldet worden. Bis Ende Oktober 2018 waren es 1.460 Fälle, 170 Pesonen sind daran verstorben. Vor allem in Norditalien und Griechenland schreitet die Erkrankung fort. Österreich meldete 19 Fälle bis dato. Die einzig gute Nachricht: Mit der kalten Jahreszeit werden die Steckmücken weniger, die Übertragung erlischt in den genannten Regionen weitgehend. Abgesehen davon handelt es sich bei West-Nil-Fieber grundsätzlich um eine harmlose Erkrankung. Nur bei älteren, immunsupprimierten Personen oder Personen mit konsumierenden Grunderkrankungen kann eine Infektion neuroinvasiv verlaufen, schwere Komplikationen und manchmal sogar Todesfälle bedingen.

Wie sieht die internationale Lage in Bezug auf Cholera aus?
Die Cholera an sich stellt für Reisende so gut wie keine Gefährdung dar. Selbst wenn sich ein Reisender mit Choleravibrionen infiziert, ist das Resultat zumeist eine harmlose Diarrhoe und nicht eine schwere dehydrierende Verlaufsform. Für die betroffenen Länder selbst kann sie jedoch tragische Folgen nach sich ziehen. Vor allem im Bürgerkriegsland Jemen trifft eine Cholera-Infektion oft die Ärmsten unter den Armen, vor allem (Klein-)Kinder, die ohnehin bereits unterernährt sind und keinerlei Möglichkeit auf eine adäquate medizinische Versorgung haben. Hier ist die Letalität hoch.

Wogegen sollte vor einer Reise in die betroffenen Gebiete unbedingt geimpft werden?
Das kann man pauschal nicht festlegen. Mit Ausnahme der Hepatitis-A-Impfung, die bei Reisen generell empfohlen wird, sollte der Impfplan maßgeschneidert an die Bedürfnisse des Reisenden angepasst werden. Im Gespräch sollte ein Risikoprofil erstellt werden und dementsprechend sollten die Impfungen erfolgen. Diese müssen immer auf die persönlichen Wünsche des Reisenden und auch auf sein Sicherheitsbedürfnis abgestimmt werden.

Welche Probleme können sich in der reisemedizinischen Impfberatung ergeben?
Bei jedem Patienten, der eine Fernreise antritt, sollte man zunächst einmal überprüfen, ob er im Hinblick auf den Österreichischen Impfplan vollständig geimpft ist. Schon allein das ist eine in kurzer Zeit oft nur schwierig zu lösende Aufgabe. Denn sehr viele erwachsene Österreicher sind in der Regel nicht vollständig geimpft. Besonders die Generation der 25- bis 35-Jährigen, die noch nach einem anderen Impfplan geimpft wurde, hat beispielsweise häufig eine lückenhafte Immunität bei Masern-Mumps-Röteln und Pertussis. In der Reisemedizin haben wir also zunächst die Aufgabe, diese Impflücken zu schließen. Problematisch ist auch die Tatsache, dass viele Patienten oft nur vage Vorstellungen von ihrer Reisedestination haben. Je präziser wir Ärzte wissen, wohin eine Reise führen soll und welche Aktivitäten dort geplant sind, umso besser können wir beraten. Ganz generell sind Reisende in Bezug auf Impfungen kritischer geworden. Es wird mehr hinterfragt, die Menschen eignen sich zunehmend Halbwissen aus dem Internet an und kommen dann oft mit einer vorgefertigten Meinung zu uns. Das kann problematisch sein, spiegelt jedoch den Geist der Zeit wider. Wir müssen lernen, damit umzugehen.

Welche Rolle spielen Allgemeinmediziner dabei?
Reisemediziner und Allgemeinmediziner sollten Hand in Hand tätig werden. Der Allgemeinmediziner nimmt eine wichtige Rolle ein, wenn es darum geht, grundsätzlich festzustellen, ob jemand reisetauglich ist. Falls eine Dauermedikation besteht, kann der Hausarzt den Betreffenden mit dem entsprechenden Medikamentenvorrat versorgen und informieren, wie diese Medikamente unter anderen Gegebenheiten – Stichwort Zeitumstellung – einzunehmen sind. Steht fest, dass der Patient die Reise aus gesundheitlicher Perspektive betrachtet machen kann, sollte der Allgemeinmediziner ihn mit Impfpass, Reiseroute und Reiseplan sowie eventuellen alten Befunden gewappnet zum Reisemediziner weiterleiten. In interdisziplinärer Zusammenarbeit kann letztlich eine optimale Beratung für den Patienten gewährleistet werden.


ÖÄK-Zertifikatslehrgang Reisemedizin
  

Im viertägigen Lehrgang werden unter anderem Kenntnisse und Fertigkeiten in den Bereichen allgemeine Reisemedizin, geomedizinische Grundlagen, Parasitologie, reisemedizinisch relevante Krankheiten und Reiseimpfungen vermittelt. Der Lehrgang schließt mit einer Prüfung ab; die Absolventen können das ÖÄK-Zertifikat Reisemedizin erwerben.

Wissenschaftliche Leitung: Univ. Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Univ. Prof. DDr. Martin Haditsch
Beginn: 1. Februar 2019
Ort: Palais Pallavicini, Josefsplatz 5, 1010 Wien
Anmeldung: www.arztakademie.at/reisemedizin-lehrgang

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2018