Der Fall aus der Praxis: Was tun beim „Mausarm“?

10.04.2018 | Medizin


Die unergonomische Handhabung der Computer-Maus kann zu einem Syndrom aus Schmerz, Dysästhesie und Verspannung führen, dem Repetitive-Strain-Injury (RSI)-Syndrom – ein Synonym für den sogenannten Mausarm. Dabei handelt es sich eigentlich um ein vermeidbares Krankheitsbild.
Madeleine Rohac

Der Hausarzt hat Erna K. an den Facharzt für Orthopädie überwiesen. Ihre Beschwerden schildert sie wie folgt: „Es geht schon seit vier Monaten, ein Ziehen im rechten Unterarm, manchmal hinauf bis zur Schulter und in den Nacken. Dann kribbelt es in den Fingern. Das fängt meist um die Mittagszeit an und abends kann ich deswegen oft schwer einschlafen.“ Als Assistentin der Geschäftsführung in einem Bauunternehmen verbringt sie den Großteil ihrer Arbeitszeit am Computer. „Etwa 60 Prozent aller Arbeitnehmer sitzen pro Tag im Durchschnitt sechs Stunden am Computer“ weiß Ao. Univ. Prof. Richard Crevenna von der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin am AKH Wien.

Gestaltung des Arbeitsplatzes

Die falsche Gestaltung des Arbeitsplatzes, fehlende Ergonomie und die statische Haltung am Bildschirmarbeitsplatz sind häufig mitverantwortlich für schmerzhafte Syndrome im Bereich von Hand, Arm-Schultergürtel und Nacken bis zum cervikothorakalen Übergang.

Laut Crevenna ist rund ein Viertel der Arbeitnehmer an Bildschirmarbeitsplätzen von solchen Schmerzen betroffen; 90 Prozent von ihnen entwickeln ein Repetitive-Strain-Injury (RSI)-Syndrom, ein Synonym für den sogenannten Mausarm. Ursache ist laut Crevenna die chronische Fehl- und Überbelastung von Muskeln, Sehnen, Bändern sowie des umliegenden Gewebes, die über komplexe Verarbeitungsmechanismen im zentralen Nervensystem dazu führen, dass auch bei an sich nicht wirklich Schmerz auslösenden Beanspruchungen des muskuloskelettalen Systems (Mausklicks, Tippen) Schmerzsignale ans Gehirn gemeldet und als solche bewertet werden.

Arbeits- und Sozialanamnese

Erna K. berichtet dem Orthopäden, dass sie oft unter hohem Zeitdruck Termine für ihren Chef organisieren, Mails beantworten und Besprechungsunterlagen vorbereiten und verwalten muss – am besten immer alles gleichzeitig. In diesem Zusammenhang betont Crevenna die Wichtigkeit der Arbeits- und Sozialanamnese bei der Diagnose „Mausarm“, die in erster Linie klinisch gestellt wird. Bildgebende Verfahren und Nervenleitgeschwindigkeit zeigen meist keine Auffälligkeiten und dienen eher der Abgrenzung zu anderen Ursachen von Beschwerden wie Arthrose oder dem Karpaltunnelsyndrom. „Die Bedeutung der Arbeitsorganisation darf nicht unterschätzt werden. Gerade Störungen, ungewollte Arbeitsunterbrechungen wie häufige Telefonanrufe oder Kollegen, die ganz schnell etwas benötigen, führen zu erhöhter Stressbelastung“, betont Crevenna. Daraus entstehen Anspannung, verkrampfte Haltung, erhöhter Muskeltonus in Hand und Arm.

Der betreuende Orthopäde von Erna K. hat mittlerweile Kontakt mit dem Arbeitsmediziner des Bauunternehmens aufgenommen. Dieser hat Erna K. bereits bei der ergonomischen Gestaltung des Bildschirmarbeitsplatzes beraten. „Wichtig ist dabei eigentlich alles: Licht, Bildschirmeinstellung, Arbeitstisch, richtige Sitzposition, Tastatur, Maus“, führt Crevenna aus. Häufige Fehler sind ungünstige Anordnung der Arbeitsmittel wie Unterlagen, Telefon, diverse Büro-Utensilien, die einen entspannten und lockeren Zugriff auf Maus und Tastatur behindern. Die Unterarme sollten dafür möglichst entspannt auf den Armlehnen des Bürostuhls ruhen, das Handgelenk nicht an der Tischkante abgestützt und dadurch nach oben abgewinkelt werden. Neben der Optimierung der Arbeitsplatzgestaltung zählen sämtliche Modalitäten der physikalischen Medizin, Biofeedback, progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, Infiltrationen und analgetische Behandlung zu den Therapieoptionen des RSI-Syndroms. Der Arbeitsmediziner bespricht darüber hinaus mit Erna K. individuelle Maßnahmen zu Stressreduktion und Pausengestaltung und zeigt ihr auch einfache Dehnungsübungen. „Der Mausarm ist eigentlich ein vermeidbares Krankheitsbild, es kann durch rechtzeitiges richtiges Verhalten positiv beeinflusst werden, dann ist die Prognose gut“, fasst Crevenna zusammen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2018