Chronische Rückenschmerzen: Gezielte Schmerztherapie ersetzt Operation

25.03.2018 | Medizin


Jede zweite geplante Rücken-Operation aufgrund von Rückenschmerzen könnte durch eine adäquate Schmerztherapie sowie Röntgen-gezielte Infiltrationen ersetzt werden. Als Richtwert für die Dauer der konservativen Intervention, bevor man eine Operation in Erwägung zieht, gelten sechs Wochen.

Das Potential der konservativen Therapie bei Rückenschmerzen wird grundsätzlich unterschätzt. Diese Ansicht vertritt jedenfalls Univ. Prof. Michael Ogon vom Orthopädischen Spital Speising in Wien. „Etwa 80 Prozent der Bandscheibenvorfälle können auf diese Weise gut behandelt werden“, betont Ogon. Ebenso seien auch Spondylarthrosen und Osteochondrosen „keine guten Indikationen“ für eine rasche Operation.

Bei akuten Rückenschmerzen ist jedenfalls die konservative Therapie immer Mittel der ersten Wahl. Als Alternative stehen beispielsweise Infiltrationen, Denervierung der Facettengelenke (Thermokoagulation) oder Physiotherapie zur Verfügung. „Patienten mit Rückenschmerzen sollte man nur dann operieren, wenn eine eindeutige Ursache diagnostiziert wurde, die mit den Rückenschmerzen korreliert und konservativ nicht behandelt werden kann“, betont Univ. Prof. Martin Krismer von der Universitätsklinik für Orthopädie an der MedUni Innsbruck. So sei seit den 1960er Jahren bekannt, dass das auf degenerative Veränderungen der Wirbelsäule nicht zutreffe.

Aber es gelte auch, den idealen Operationstermin nicht zu verpassen, gibt Ogon zu bedenken. Eine spinale Stenose etwa beginnt schleichend und wird oft erst spät erkannt. Sie äußert sich meist durch ziehende Beschwerden in den Beinen, vor allem aber durch eine stetig zunehmende Einschränkung der Gehfähigkeit. In vielen Fällen treten gleichzeitig Taubheitsgefühle in den Füßen auf. Ist die spinale Stenose nicht zu stark ausgeprägt, kann sie zunächst konservativ behandelt werden Wenn die Betroffenen bereits neurologische Ausfälle haben, „befinden sie sich bereits in einem Stadium, in dem man mit einer Operation kein gutes Ergebnis mehr erzielen kann“, wie Ogon ausführt.

Typische Indikation für eine Operation ist beispielsweise ein Massenprolaps, eine Spondylodiszitis mit Abszess im Wirbelkanal, eine pathologische oder traumatische Fraktur, ein Tumor sowie Blasen- und Darmstörungen. Ogon weist darauf hin, dass auch rasch operiert werden muss, wenn es zu höhergradigen Paresen kommt. Ein klassischer Diskusprolaps mit der entsprechenden Schmerzsymptomatik und leichtem Taubheitsgefühl im Bein stellt demnach laut Ogon nur eine „relative Operationsindikation“ dar.

Röntgen-gezielte Infiltrationen

Bei jedem zweiten Patienten, bei dem an sich eine Operation geplant ist, sind neben einer adäquaten Schmerztherapie Röntgen-gezielte Infiltrationen Therapie der Wahl. Diese Infiltrationen können sowohl an der Hals- als auch an der Lendenwirbelsäule durchgeführt werden. Sie erfolgen durch das Foramen, den Hiatus sacralis oder interlaminär. Während man früher kristallines Kortison verwendet hat, wird heute – auch international – ausschließlich wasserlösliches Kortison eingesetzt.

Liegt eine Anterolisthese vor, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Rückenschmerzen um das 16-Fache, betont Krismer. Veränderungen der an die Bandscheibe angrenzenden Wirbelkörper, sogenannte Modic-Läsionen, sind die zweithäufigste Ursache für starke Rückenschmerzen. In beiden Fällen ist häufig ein operativer Eingriff notwendig. „Die Empfehlung, bereits bei Modic-Läsionen vom Typ 1 zu operieren, wackelt derzeit allerdings“, berichtet Krismer. Einer aktuellen Studie zufolge soll es dabei um eine bakterielle Infektion ähnlich einer Spondylodiszitis handeln, die „offensichtlich auch gut mit Antibiotika behandelt werden kann“, so der Experte. „Zeigt sich innerhalb von sechs bis acht Wochen kein Erfolg, wird die Behandlung drei Monate lang weitergeführt. Die Rückenschmerzen sollten sich spätestens dann dauerhaft gebessert haben“, betont Krismer.

Die medikamentöse Therapie bringt nicht immer den gewünschten Erfolg. So wirken nicht-steroidale Antirheumatika lediglich bei rund der Hälfte der Patienten. „Paracetamol wirkt oft noch viel weniger“, führt Krismer weiter aus. Das ist auch der Grund für die mangelnde oder gar nicht existente Compliance.

Bei rund zehn Prozent der Patienten mit anhaltenden Schmerzen über einen Zeitraum von sechs Wochen bis drei Monaten, kann die „wahrscheinliche Ursache“ (Krismer) ermittelt werden, die unter Umständen operativ behandelt werden müsse. Bei den übrigen 90 Prozent der Patienten hingegen könne keine Ursache gefunden werden. Hier empfiehlt es sich, zuerst bei der Änderung des Lebensstils anzusetzen. Einen Teil dieser Strategie kann etwa die kognitive Verhaltenstherapie darstellen. „Sie ist oft die effektivste Maßnahme“, weiß Krismer. Ziel der Therapie ist es, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, was man selbst anders oder besser machen kann – wie beispielsweise mehr Bewegung oder bewusst „dagegen zu arbeiten“, um den Schmerz besser zu ertragen. Eine wichtige Rolle spielen auch Entspannungsübungen wie autogenes Training oder Muskelrelaxation nach Jacobson sowie gezieltes Koordinationstraining. MW

Chronifizierung vermeiden

Zu Beginn der Behandlung von Rückenschmerzen sollte die Frage stehen: Was will man erreichen? Das Grundprinzip bei der Therapie lautet: Die Verbesserung der Funktion und Partizipation ist wichtiger als die Reduktion des Schmerzes. Die Betroffenen sehen das üblicherweise anders, wie Univ. Prof. Martin Krismer von der Universitätsklinik für Orthopädie der MedUni Innsbruck berichtet:„Die Patienten glauben: wenn der Schmerz weg ist, geht auch alles andere. Dabei ist es umgekehrt: Wenn wieder alles geht, werden die Schmerzen weniger. “Am wichtigsten ist es dabei, dass der Betroffene wieder mehr Bewegung in seinen Tagesablauf bringt und zwar regelmäßig: idealerweise drei bis viermal die Woche 30 Minuten bis zu einer Stunde Ausdauertraining.Der behandelnde Arzt sollte realistisch abschätzen, welche funktionellen Verbesserungen möglich sind, keine zu optimistischen Versprechen machen und den Behandlungserfolg an den Veränderungen messen: Kann der Patient – nach Verringerung des Schmerzpegels – anstatt einer halben nun eine Stunde Auto fahren?

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2018