Augen und Rau­chen: Pas­siv erkrankt

25.10.2018 | Medizin


Nicht nur Rau­cher, son­dern auch Per­so­nen, die min­des­tens fünf Jahre lang mit einem Rau­cher zusam­men­ge­lebt haben und so pas­siv Rauch inha­liert haben, haben ein dop­pelt so hohes Risiko, an alters­be­ding­ter Maku­la­de­ge­ne­ra­tion zu erkran­ken. Exper­ten gehen davon aus, dass bei Niko­tin­ka­renz im Früh­sta­dium der Erkran­kung vor allem bei jun­gen Betrof­fe­nen die Krank­heits­ent­wick­lung gestoppt wer­den kann.
Irene Mlekusch

Dass vor allem ältere Rau­cher mit alters­be­ding­ten Augen­er­kran­kun­gen wie Kata­rakt oder alters­be­ding­ter Maku­la­de­ge­ne­ra­tion (AMD) an zuneh­men­dem Visus­ver­lust lei­den, konnte in Unter­su­chun­gen schon nach­ge­wie­sen wer­den. „Es gibt Stu­dien zum Thema Maku­la­de­ge­ne­ra­tion-Risi­ko­fak­to­ren, die klar nach­wei­sen, dass Rau­chen nach Gene­tik und Alter den stärks­ten Risi­ko­fak­tor für eine alters­be­dingte Maku­la­de­ge­ne­ra­tion dar­stellt“, bestä­tigt Univ. Prof. Susanne Bin­der, Fach­ärz­tin für Augen­heil­kunde in Wien. 

Die Asso­zia­tion zwi­schen der Seh­ver­schlech­te­rung bei Pati­en­ten mit alters­be­ding­ter Maku­la­de­ge­ne­ra­tion und Rau­chen ist sehr stark und wurde in den ver­gan­ge­nen Jah­ren kon­sis­tent in epi­de­mio­lo­gi­schen Stu­dien gezeigt. In einer bri­ti­schen Stu­die trat eine durch alters­be­dingte Maku­la­de­ge­ne­ra­tion bedingte Seh­ver­schlech­te­rung bei akti­ven Rau­chern zwei Mal häu­fi­ger auf als bei Nicht-Rau­chern. Auch ein Zusam­men­hang zwi­schen Rau­chen und schwe­ren Krank­heits­ver­läu­fen konnte gezeigt wer­den; somit kann man von einem Effekt des Rau­chens auf die Pro­gres­sion der alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion aus­ge­hen. In einer ande­ren Unter­su­chung wie­derum wurde erfasst, dass aktive Rau­cher signi­fi­kant bereits in einem jün­ge­ren Alter an alters­be­ding­ter Maku­la­de­ge­ne­ra­tion erkran­ken als Nicht-Rau­cher. Bin­der merkt an, dass Rau­cher eher an einer feuch­ten alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion lei­den. Dar­über hin­aus wirk­ten die spär­lich vor­han­de­nen The­ra­pie­op­tio­nen bei Rau­chern schlech­ter bezie­hungs­weise erfolge das Anspre­chen auf die The­ra­pie ver­zö­gert. Ebenso ist die Rate der Rezi­dive einer feuch­ten alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion bei Rau­chern erhöht. Univ. Prof. Andreas Wed­rich von der Uni­ver­si­täts­au­gen­kli­nik in Graz spricht von einem Kumu­la­ti­ons­ef­fekt. Das Ziga­ret­ten­rau­chen kann jedoch auch in Ver­bin­dung mit ande­ren Noxen akute vor­über­ge­hende Reak­tio­nen am Auge wie zum Bei­spiel Flim­mer­s­ko­tome her­vor­ru­fen. Auch in Stu­dien konnte bestä­tigt wer­den, dass mit der stei­gen­den Anzahl an pack-years die Inzi­denz für eine alters­be­dingte Maku­la­de­ge­ne­ra­tion steigt. Vor allem Per­so­nen, die 20 oder mehr pack-years auf­wei­sen, haben ein hohes Risiko für eine alters­be­dingte Maku­la­de­ge­ne­ra­tion. Außer­dem haben Per­so­nen, die mehr als 25 Ziga­ret­ten pro Tag rau­chen, ein dop­pelt so hohes Risiko, an einer alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion zu erkran­ken. Das gilt auch für Men­schen, die min­des­tens fünf Jahre lang mit einem Rau­cher zusam­men­ge­lebt haben und so pas­siv Rauch inha­liert haben. Das erhöhte Risiko bei Rau­chern ist ver­mut­lich unab­hän­gig von den für alters­be­dingte Maku­la­de­ge­ne­ra­tion bekann­ten Polymorphismen. 

Ehe­ma­lige Rau­cher haben noch 20 Jahre spä­ter, nach­dem sie mit dem Rau­chen auf­ge­hört haben, ein erhöh­tes Risiko, an einer alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion zu erkran­ken im Ver­gleich zu Nicht-Rau­chern. „Eine Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit besteht nur dann, wenn keine per­ma­nente Schä­di­gung ein­ge­tre­ten ist, sonst schrei­tet die Erkran­kung auch nach Niko­tin­abs­ti­nenz voran“, gibt Bin­der zu beden­ken. Wed­rich wie­derum geht davon aus, dass bei der alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion und Lin­sen­ver­än­de­run­gen im Früh­sta­dium eine gewisse Erho­lung mög­lich ist: „Vor allem bei jun­gen Pati­en­ten kann die Ent­wick­lung der Krank­heit even­tu­ell gestoppt oder das Fort­schrei­ten deut­lich ver­lang­samt wer­den und somit die Seh­fä­hig­keit bei recht­zei­ti­ger Niko­tin­ka­renz erhal­ten bleiben.“ 

Höhe­res Risiko für Katarakt 

Rau­cher haben außer­dem ein erhöh­tes Risiko, an einem Kata­rakt, vor allem einen Kern­ka­ta­rakt, zu erkran­ken. Wed­rich hebt dabei das beschleu­nigte Fort­schrei­ten der Erkran­kung bei Rau­chern her­vor. Wei­tere, mit dem Ziga­ret­ten­rau­chen asso­zi­ierte Augen­er­kran­kun­gen sind die dia­be­ti­sche Reti­no­pa­thie und Makul­opa­thie, das tro­ckene Auge, Gefäß­ver­schlüsse im Auge und das Glau­kom bei schwe­ren Rau­chern. Sta­tis­tisch gese­hen haben Rau­cher einen höhe­ren Augen­in­nen­druck als Nicht-Rau­cher und nei­gen dadurch eher zu Blu­tun­gen. Des Wei­te­ren tre­ten bei Rau­chern häu­fi­ger Augen­ent­zün­dun­gen auf, wel­che oft einen schwe­re­ren Ver­lauf zei­gen oder rezidivieren. 

Eine endo­krine Orbi­topa­thie kann im Rah­men eines Mor­bus Base­dow oder sel­te­ner einer Hash­i­moto-Thy­reo­idi­tis, aber auch gänz­lich ohne den Nach­weis einer Schild­drü­sen­be­tei­li­gung auf­tre­ten. Da diese Auto­im­mun­erkran­kung aus einem kom­ple­xen Zusam­men­spiel von endo­ge­nen und exo­ge­nen Risi­ko­fak­to­ren resul­tiert, spielt auch hier das Ziga­ret­ten­rau­chen eine große Rolle. Ziga­ret­ten­rauch erhöht das Risiko, an einer schwe­ren Form der endo­kri­nen Orbi­topa­thie zu erkran­ken. Ebenso ist auch das Risiko, nach einer Radio­jod­the­ra­pie die Krank­heit über­haupt zu ent­wi­ckeln oder eine Pro­gres­sion zu erlei­den bezie­hungs­weise eine ver­zö­gerte Ant­wort auf immun­sup­pres­sive Behand­lun­gen zu zei­gen, erhöht. 

Bin­der ver­weist auf eine heut­zu­tage sel­tene Augen­er­kran­kung bei Rau­chern, die Tabak-Alko­hol-Opti­ku­s­atro­phie, frü­her auch fälsch­li­cher­weise als Tabak-Alko­hol-Ambly­o­pie bezeich­net. Haupt­säch­lich waren ältere Män­ner betrof­fen; der Höhe­punkt der Erkran­kung lag im 19. und der ers­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts. Pfeiffen‑, Zigar­ren­rau­cher und Tabak­ka­uer erkrank­ten häu­fi­ger, wes­halb heute davon aus­ge­gan­gen wird, dass Niko­tin in der Patho­ge­nese die­ses Krank­heits­bil­des eher keine Rolle spielt. Gesichts­feld­ver­än­de­run­gen und Farb­sinn­stö­run­gen waren die typi­schen kli­ni­schen Ver­än­de­run­gen. Durch eine Niko­tin­ka­renz von drei bis zwölf Mona­ten ließ sich die Seh­leis­tung deut­lich ver­bes­sern. Da in jener Zeit viele der schwe­ren Trin­ker auch Rau­cher waren, erwies es sich oft­mals als schwie­rig, zwi­schen den bei­den Fak­to­ren zu dif­fe­ren­zie­ren. Tat­säch­lich dürfte es sich eher um eine toxisch nut­ri­tive Schä­di­gung des Seh­ner­ven auf­grund des über­mä­ßi­gen Alko­hol­kon­sums han­deln, da die­ser mit einem Man­gel an Vit­ami­nen ein­her­geht. Heute han­delt es sich bei der toxi­schen durch Rau­chen ver­ur­sach­ten Opti­kus­neu­ro­pa­thie um eine Aus­schluss­dia­gnose, sobald andere mito­chon­driale Opti­kus­neu­ro­pa­thien wie bei­spiels­weise die Leber´sche her­edi­täre Opti­kus­neu­ro­pa­thie aus­ge­schlos­sen sind. 

Für Schwan­gere und Kin­der stellt das Rau­chen auch in Bezug auf die Visus­ent­wick­lung ein Risiko dar. „Die durch das Rau­chen erhöhte Früh­ge­burt­lich­keit vor der 32. Schwan­ger­schafts­wo­che birgt unter ande­rem ein höhe­res Risiko für eine Netz­haut­er­kran­kung,“ merkt Wed­rich an. Das Rau­chen der Mut­ter gilt als signi­fi­kan­ter Risi­ko­fak­tor für eine Reti­no­pa­thie, Seh­nerv­hy­pop­la­sie und ein dün­ne­res reti­na­les Ner­ven­ge­flecht beim Neu­ge­bo­re­nen. Es wird dis­ku­tiert, dass Kin­der rau­chen­der Müt­ter anfäl­li­ger für die Ent­wick­lung eines Stra­bis­mus sind. 

Gro­ßer Informationsbedarf 

Beide Exper­ten sehen im Hin­blick auf den Ein­fluss des Rau­chens auf die Augen Infor­ma­ti­ons­be­darf der Öffent­lich­keit. „Die Frage nach dem Rau­chen sollte beim Augen­arzt eine Stan­dard­frage sein“, betont Wed­rich. Wis­sen­schaft­li­che Ergeb­nisse wei­sen außer­dem dar­auf hin, dass Rau­cher eher mit dem Rau­chen auf­hö­ren, wenn ihnen der Zusam­men­hang zu ihrer Erkran­kung plau­si­bel erscheint. Bin­der emp­fiehlt regel­mä­ßige Augen­un­ter­su­chun­gen inklu­sive der Inspek­tion von Netz­haut und Seh­nerv für Rau­cher ab dem 45. Lebens­jahr; bei einer posi­ti­ven Fami­li­en­ana­mnese bezüg­lich einer Maku­la­de­ge­ne­ra­tion auch früher. 

Die mole­ku­la­ren und patho­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen durch Rauchen 

Vas­ku­läre Inflamm­a­tion und endo­the­liale Dys­funk­tion, oxi­da­tive und toxi­sche Schä­di­gung und his­topa­tho­lo­gi­sche Ver­än­de­run­gen sind die­je­ni­gen mole­ku­la­ren und patho­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen, die durch das Rau­chen begüns­tigt wer­den. Ziga­ret­ten­rauch ist ver­ant­wort­lich für die zel­lu­lä­ren Ver­än­de­run­gen im reti­na­len Pig­ment­epi­thel bei Men­schen, die an alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion lei­den. Niko­tin selbst för­dert die Angio­ge­nese und führt über die Kat­echo­lamin­aus­schüt­tung zur ver­stärk­ten Plätt­chen­ag­gre­ga­tion. Ande­rer­seits bewirkt Niko­tin über vaso­konstrik­to­ri­sche Pro­zesse eine redu­zierte Durch­blu­tung der Choroidea. 

Wei­tere schä­di­gende Bestand­teile des Rau­ches sind diverse Dioxine und Nor­ni­ko­tin, wobei letz­te­res über die Akku­mu­la­tion von Lipo­fus­zin zur Bil­dung von Dru­sen im reti­na­len Pig­ment­epi­thel füh­ren kann. All diese Pro­zesse för­dern die bei der alters­be­ding­ten Maku­la­de­ge­ne­ra­tion gefürch­tete cho­ro­idale Neo­vas­ku­la­ri­sa­tion. Aber auch durch zahl­rei­che pro­oxidante Bestand­teile des Ziga­ret­ten­rau­ches wie zum Bei­spiel Acro­lein, Cad­mium, Hydro­chi­non oder Stick­stoff­mon­oxid wird oxi­da­tiver Stress ver­ur­sacht, der wie­derum zur Anrei­chung von Lipo­fus­zin und Dru­sen­for­ma­tion führt. 

Zu den am meis­ten toxi­schen Inhalts­stof­fen des Rau­ches gehö­ren poly­zy­kli­sche aro­ma­ti­sche Koh­len­was­ser­stoffe, die schwere mito­chon­driale DNA-Schä­den bewir­ken, die lys­o­so­male Akti­vi­tät stei­gern und reak­tive Epoxide for­mie­ren, die wie­derum zur Apo­ptose der Zel­len des reti­na­len Pig­ment­epi­thels füh­ren kön­nen. Die genann­ten Pro­zesse auf zel­lu­lä­rer Ebene gehö­ren zu den kri­ti­schen his­topa­tho­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen bei alters­be­ding­ter Makuladegeneration.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2018