Ärztetage Velden 2018 : Informiert, aber inkonsequent

15.07.2018 | Medizin


Menschen, die sich nicht gesund ernähren, sind weitgehend gut über gesunde Ernährung informiert und verhalten sich trotzdem anders. Bei den diesjährigen Ärztetagen Velden Ende August erfahren Ärzte, wie sie ihre Patienten unterstützen können, ihr Verhalten zu ändern.
Christina Schaar

Die Grundprinzipien einer gesunden Ernährung sind überall gleich“, sagt Univ. Prof. Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin angesichts der Vielfalt der Ernährungsempfehlungen in den unterschiedlichsten Ländern. „Und auch wir in Österreich glauben, dass wir eine eigene Ernährungspyramide benötigen. Das ist jedoch weder wissenschaftlich haltbar noch wirklich gerechtfertigt“, betont der Experte.

Bestätigt sieht sich Widhalm auch insofern, als die European Food Safety Authority (EFSA) Evidenz-basierte Guidelines für gesunde Ernährung klar definiert. Widhalm dazu: „In diesen Guidelines ist im Grunde alles formuliert, was auch bisher schon immer klar war: weniger Fleisch, mehr Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und weniger fettreiche und kohlenhydratreiche Produkte, die leicht resorbiert werden.“ Ebenso halte die EFSA allerdings auch fest, Zucker nicht zu verdammen, da es „für diese Tatsache keine Evidenz gibt“, betont Widhalm. Bei den diesjährigen Ärztetagen Velden werden unterschiedliche Modelle präsentiert, wie Ernährungswissen so vermittelt werden kann, dass es eine Verhaltensänderung bewirkt.

Information versus Verhalten

Menschen, die sich ungesund ernähren, wissen oft zu einem nicht unbeträchtlichen Teil sehr viel über gesunde Ernährung – verhalten sich aber anders. „Unser Ziel muss es sein, von diesem Paradigma weg zu kommen“, erklärt Widhalm. Denn es nütze nichts, Menschen mehr und mehr über gesunde Ernährung zu informieren, wenn sie sich trotzdem anders verhalten.

Zwei Modelle zur Kennzeichnung von „gesunden“ Lebensmitteln haben sich bewährt: Beim Ampelsystem erfolgt – in Analogie zur Verkehrsampel – die Kennzeichnung mit Hilfe der Farben grün, orange und rot. Beim anderen, in Boston entwickelten Modell, wird in Quadranten unterteilt mit einer Aufteilung in Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett. „Beide Modelle weisen vernünftige Ansätze auf und sind sehr gut geeignet, das Verhalten von Menschen zu verändern“, betont der Experte.

In einem weiteren Model bei den Ärztetagen in Velden steht in Zusammenarbeit mit einer Diätologin die Ernährung bei onkologischen Erkrankungen im Mittelpunkt. Dabei wird eine Reihe von praxisnahen Beispielen präsentiert. Worum es Widhalm dabei ganz besonders geht: „Wir wollen vom Mythos wegkommen, dass mit Ernährung Karzinome verhindert oder beeinflusst werden können“. Entscheidend sei vielmehr, besonders Mangelzustände, wie sie im Rahmen von onkologischen Erkrankungen oftmals auftreten, zu verhindern. Denn in Folge der Chemotherapie käme es bei den Betroffenen in vielen Fällen zum Verlust des Geschmackssinns, was einen Grund für Appetitmangel darstellt. Im Mittelpunkt sollte hier stehen, Defizite aufgrund von Malnutrition zu vermeiden.

Sehr kritisch beurteilt Widhalm alle Aktivitäten, allfällige Nährstoffdefizite durch die regelmäßige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu verhindern. „Es gibt keine Hinweise dafür, dass das möglich ist“, betont der Experte. Worum es jedoch sehr wohl gehe: Risikogruppen herauszufiltern, die sich einseitig ernähren und daher eher gefährdet sind, Defizite zu entwickeln. Dazu zählen beispielsweise Patienten nach einer Operation, nach einer Antibiotika- oder Chemotherapie und auch ältere Menschen.

Widhalm verweist darauf, dass es auch ganz entscheidend ist, wie ernährungsbedingte Defizite grundsätzlich diagnostiziert werden. In punkto Labors ortet er Aufholbedarf, da es nur wenige Institute gäbe, die sich mit Aspekten wie Körperzusammensetzung, Messung von Insulin-Resistenzen und Fettleber „wirklich intensiv beschäftigen“. Als Vorbild nennt er Deutschland, wo es beispielsweise in Stuttgart Hohenheim, Göttingen, Hamburg, Freiburg und München entsprechende Zentren gäbe. „In der wissenschaftlichen Ausrichtung sind wir hier wirklich um Meilensteine zurück“. Das sei angesichts eines Anteils von 40 Prozent an Übergewichtigen in der Bevölkerung und einem großen Prozentsatz an ernährungsabhängigen Krankheiten „äußerst problematisch“. Auch seien – abgehen von der Finanzierung – entsprechende Modelle notwendig, die für die Prävention wissenschaftlich nachweisbar fundierte Projekte vorweisen könnten.

Details zum Kongress 

Ärztetage Velden
19. bis 25. August 2018

Anmeldung und Information:
www.arztakademie.at/velden

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2018