Patientenlenkung: Ambulanz wird Notfall

10.04.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Immer mehr Menschen suchen Spitalsambulanzen auf. Dabei müssen längst nicht alle Patienten dringend behandelt werden. Weggeschickt wird niemand. Die Politik gelobt seit Jahren Besserung, Gegenmaßnahmen werden dringend gesucht.

Margret Handler

Der Raum ist überfüllt, freie Sitzplätze – Fehlanzeige! Wer schon einmal in der „High Season“, also besonders zu Grippe- und Urlaubszeiten, eine Spitalsambulanz in einem großen Krankenhaus aufgesucht hat, kennt das. Und die Situation spitzt sich weiter zu. Immer mehr Menschen strömen in die Spitalsambulanzen. Von 2004 bis 2016 ist die Zahl der ambulanten Patienten in den Fondsspitälern um fast ein Drittel gestiegen: von 6,5 auf 8,5 Millionen Besucher. Das heißt statistisch betrachtet, geht jeder Österreicher zumindest einmal im Jahr in eine Ambulanz. Im gleichen Zeitraum haben sich die nominellen Ambulanzkosten fast verdoppelt (+93 Prozent) und liegen aktuell bei mehr als zwei Milliarden Euro (Quelle: Krankenanstalten in Zahlen, BMG).

Junge, Ältere und Migranten

Statistiken zeigen, dass es vor allem die jüngere Altersgruppe (zwischen 18 und 30 Jahren) und ältere Menschen ab 70, in die Ambulanzen zieht. Aber auch für Migranten aus Ländern, in denen die medizinische Versorgung kein Hausarztsystem kennt, sind Spitalsambulanzen oft erste Anlaufstellen in einem für sie wenig vertrauten Gesundheitssystem.

Eine Studie der Ludwig Boltzmann Gesellschaft hat sich mit der Gesundheitskompetenz von Personen mit Migrationshintergrund, v.a. aus der Türkei und Ex-Jugoslawien in Österreich befasst. Das Ergebnis: Je geringer die Gesundheitskompetenz, desto häufiger werden Ambulanzen aufgesucht. Diese Ergebnisse bestätigen die Wahrnehmungen der in der Untersuchung befragten Experten, wonach sich viele Migranten im österreichischen Gesundheitssystem nicht gut auskennen bzw. nicht verstehen, wie dieses funktioniert oder aufgebaut ist. So landen etwa viele Menschen mit Migrationshintergrund in den Spitalsambulanzen, was daran liegen könnte, dass es in ihren Herkunftsländern kaum praktische Ärzte, dafür aber Gesundheitszentren gab.

Das Problem ist bekannt: Viele zu viele Patienten suchen mit kleineren Beschwerden Spitäler auf. Für die Patienten ist schnell argumentiert: Im Spital bekommt man alles, was man braucht, an einem Ort. Der Ärztekammer vorliegende Berichte aus Notfallaufnahmen verdeutlichen, welche Ausmaße das „Selbst-Zuweisungsverhalten“ der Patienten annimmt. Mehr als die Hälfte der Patienten „überweisen sich selbst“ in die Ambulanz, während lediglich jeder fünfte vom Allgemeinmediziner und nur ein sehr kleiner Anteil vom Facharzt kommt.

Bequemlichkeit, Unwissenheit, Angst

Warum Patienten lieber in die Ambulanz gehen? Deutsche Wissenschafter der Charité in Berlin haben 2016 in einer qualitativen Studie durch persönliche Befragungen die Motive der Patienten herauszufinden versucht (veröffentlicht in der Fachzeitschrift British Medical Journal). Dabei haben sich verschiedene Patiententypen kategorisieren lassen: Typ 1 findet es einfach bequem zu jeder Tageszeit und ohne Termin zum Arzt gehen zu können. Mehrheitlich sind das jüngere, gesündere Menschen, die keinen Hausarzt haben. Typ 2 verordnet nach kleineren Blessuren für sich selbst den Bedarf eines Röntgens und geht deshalb in die Ambulanz. Typ 3 denkt, in der Ambulanz sei der medizinische Standard besser als draußen. Darunter sind häufig ältere, kränkere Menschen und solche mit Migrationshintergrund zu finden. Manche von ihnen waren beim niedergelassenen Arzt, aber damit unzufrieden. Ihr Motiv ist häufig Angst um ihre Gesundheit. Ähnliches gilt für Typ 4. Diese Gruppe fürchtet um ihre Gesundheit und hat meist schon einen längeren Leidensweg mit vielen Arztbesuchen hinter sich, ohne dass die Beschwerden besser werden. Dieses für Deutschland skizzierte Bild ist aus Erfahrungsberichten auch auf Österreichs Spitäler und ihre Patienten anwendbar.

Dringender Handlungsbedarf

Dass dringend gehandelt werden muss, fordert die Österreichische Ärztekammer seit vielen Jahren. Ambulanzen sind nicht Anlaufstelle für Beschwerden aller Art, sondern in erster Linie für Notfälle oder nach Zuweisung durch einen niedergelassenen Arzt gedacht. Der erste Weg sollte immer über den Hausarzt führen. Die Politik ist am Zug.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2018