Inter­view Johan­nes Stein­hart: Ausgebremst?

15.08.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die Husch-Pfusch-Kos­ten­bremse darf nicht den Aus­bau des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs brem­sen. ÖÄK-Vize­prä­si­dent Johan­nes Stein­hart im Inter­view.
Michael Hein­rich

Auch diese Bun­des­re­gie­rung hat sich zu einem Aus­bau des nie­der­ge­las­se­nen ärzt­li­chen Bereichs bekannt. Ist das mit der so genann­ten Kos­ten­bremse bei den Kran­ken­kas­sen in Ein­klang zu brin­gen? Ich sehe nicht, wie der längst über­fäl­lige Aus­bau der nie­der­ge­las­se­nen Ver­sor­gung mit einem Ein­frie­ren der Aus­ga­ben bis Ende 2019 unter einen Hut gebracht wer­den kann. Dazu kommt, dass das gesamte Fre­quenz­ri­siko jetzt den Kas­sen­ärz­ten auf­ge­bür­det wird. Kom­men mehr Pati­en­ten in die Pra­xis, gibt es keine Tarif­er­hö­hung. Aus mei­ner Sicht also ein kla­res Nein zum Spa­ren auf Kos­ten von Ärz­ten und Patienten. 

Da haben wohl die guten Ver­hand­lungs­er­geb­nisse in Wien und in der Stei­er­mark der Poli­tik Anlass zu Befürch­tun­gen gege­ben, dass diese Bei­spiele in ganz Öster­reich Schule machen könn­ten. Es scheint zumin­dest so. Dazu kommt der ebenso ver­brei­tete wie fal­sche Ansatz zum Tra­gen, dass Finanz­mit­tel für den Gesund­heits­be­reich läs­tige Aus­ga­ben sind, und nicht Inves­ti­tio­nen in eine immens wich­tige Ver­sor­gungs- und Zukunfts­bran­che. Hier ist ein Umden­ken erfor­der­lich. Die Wie­ner Ver­hand­lungs­er­geb­nisse sind das Ergeb­nis eines Umden­kens. Auch die WGKK und die Stadt kamen zum Ergeb­nis, dass Inves­ti­tio­nen über­fäl­lig sind: zum einen, um eine ordent­li­che nie­der­ge­las­sene Gesund­heits­ver­sor­gung sicher­zu­stel­len, zum ande­ren, um die Spi­tä­ler zu ent­las­ten. Da ist uns ein his­to­ri­scher Durch­bruch gelun­gen und Wei­chen wur­den neu gestellt. 

Inwie­fern? Einer­seits bei der Dimen­sion der Tarif­er­hö­hun­gen: Diese lie­gen je nach Fach­gruppe immer über der pro­gnos­ti­zier­ten Infla­ti­ons­rate und brin­gen für All­ge­mein­me­di­zi­ner und Kin­der­ärzte sogar ein Plus von ins­ge­samt bis zu 30 Pro­zent bis zum Jahr 2020. Es wur­den aber auch jen­seits von Kas­sen­ho­no­ra­ren zukunfts­wirk­same Akzente gesetzt. So wer­den erst­ma­lig Ordi­na­ti­ons­grün­dun­gen von All­ge­mein­me­di­zi­nern und Kin­der­ärz­ten geför­dert, Job­sha­ring-Modelle wur­den wei­ter ent­wi­ckelt und libe­ra­li­siert, etc. Das alles sind wich­tige Schritte, um die Wie­ner Gesund­heits­ver­sor­gung lang­fris­tig zu sichern, gibt den Ärz­ten Pla­nungs­si­cher­heit und trägt zur Attrak­ti­vie­rung des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs bei. 

Befürch­ten Sie, dass das Wie­ner und das Stei­ri­sche Ver­hand­lungs­er­geb­nis durch die Kos­ten­bremse in Gefahr ist? Es ist sehr zu hof­fen, dass die Ver­nunft siegt und die Bun­des­re­gie­rung diese sinn­vol­len und über­fäl­li­gen Ver­träge nicht zu Fall bringt, indem sie auf ihrer Aus­ga­ben­bremse beharrt. Das wäre defi­ni­tiv Spa­ren am fal­schen Ort. Am Bei­spiel der Stei­er­mark: Im Rah­men der Gesamt­ein­nah­men der stei­ri­schen GKK von rund 1,8 Mil­li­ar­den machen die nun aus­ver­han­delt Mehr­aus­ga­ben für Ärzte etwa 0,9 Pro­zent aus. Die Poli­tik sollte also die Kir­che im Dorf las­sen und ein kla­res Zei­chen set­zen, dass ihr der Aus­bau des nie­der­ge­las­se­nen ärzt­li­chen Berei­ches ein ech­tes Anlie­gen ist. 

Wei­tere Erwar­tun­gen an die Poli­tik? Ich erwarte zunächst die Zusi­che­rung, dass die Kos­ten­bremse über­fäl­lige Inves­ti­tio­nen in den nie­der­ge­las­se­nen Bereich nicht behin­dert, und zwar in kei­nem Bun­des­land. Wir akzep­tie­ren nicht, dass Ärzte und Pati­en­ten die ers­ten Opfer der Kas­sen­re­form wer­den sol­len. Zwei­tens sollte das Sozi­al­ver­si­che­rungs­sys­tem der Zukunft so struk­tu­riert sein, dass regio­nale Beson­der­hei­ten auch regio­nal ver­han­delt und ange­mes­sen finan­ziert wer­den – Zen­tra­lis­mus ist hier keine gute Lösung. Und drit­tens muss die von der Poli­tik geplante Har­mo­ni­sie­rung der Hono­rare stets von unten nach oben erfol­gen. Nur so kann der kas­sen­ärzt­li­che Bereich wirk­sam auf­ge­wer­tet werden.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2018