INFUSION 2018: Digitalisierung in der Medizin: There’s no App for that

25.10.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Das Handy im Haus erspart den Arzt? Der Vormarsch von Gesundheits-Apps und Tele-Medizin in Deutschland und der Schweiz ist eine Manifestation des digitalen Wandels, ohne ärztliche Expertise ist eine Digitalisierung der Medizin aber nicht denkbar.
Sascha Bunda

Die Vermessung der Welt hat der Mensch so gut wie abgeschlossen, in den letzten Jahren hat er nun verstärkt damit begonnen, sich selbst zu vermessen. Schrittzähler, Fitness-Uhren mit GPSModul oder die neue Apple-Watch, die sogar ein EKG liefern kann, sind an immer mehr Handgelenken zu sehen und generieren Tag – und sogar auch Nacht – eine Unmenge an Daten. Da medizinische und gesundheitsbezogene Daten als die wertvollsten überhaupt gelten, entsteht in jeder Sekunde am Ärmel quasi digitales Gold. Diese Daten werden meist mit der App des Armband-Herstellers synchronisiert und landen so auf den Servern oder Clouds der Firmen, wo sie unter Umständen für Marketingzwecke oder – wie es in den AGB oft heißt – andere „berechtigte Geschäftszwecke“ verwendet werden können. Sofern diese Server im Ausland stehen, greifen auch die europäischen Datenschutzgesetze nicht. Jeder Benutzer sollte sich daher vor Verwendung von Gesundheits-Apps informieren, welche Daten gesammelt werden, wo sie gespeichert werden, wie sie verwendet werden und wie sie eventuell wieder gelöscht werden können.

Von den Datenschutzthemen abgesehen gibt es noch weitere wichtige Punkte im Umgang mit Gesundheits-Apps zu bedenken. Die deutsche Bundesärztekammer forderte kürzlich ein bundeseinheitliches Gütesiegel für digitale Gesundheitsanwendungen. „In der digitalen Welt müssen wir Patientensicherheit neu denken. Einfache Gesundheitsapps können eine gesunde Lebensführung unterstützen, aber auch großen Schaden anrichten“, sagte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der BÄK. Die Österreichische Ärztekammer schloss sich dieser Forderung umgehend an. Dietmar Bayer, Vize-Präsident der Ärztekammer Steiermark und Referent für Telemedizin und medizinische Informatik, meinte, Gesundheits-Apps würden nicht als Ersatz für einen Besuch beim Arzt dienen. Bayer regte auch die Einführung standardisierter Verfahren zur Bewertung digitaler Anwendungen auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und medizinische Qualität an: „Für den Schutz der Patienten ist eine verständliche und transparente Aufbereitung von Bewertungen notwendig. Die Erwartungen sind sehr groß, aber die digitale Gesundheitswelt ist kein Selbstläufer,“ sagte der Vize-Präsident der Ärztekammer Steiermark.

Bewegung, bitte!

Ein eigenes Kapitel ist die Anwendung von Gesundheits-Apps im Zusammenhang mit Krankenversicherungen. Für viel Aufsehen sorgte etwa ein Programm einer großen Versicherung, das mit Belohnungen für Aktivitäten arbeitet, die unter anderem über Fitness-Armbänder nachgewiesen werden können. Die Teilnahme an Gesundheitstests, Impfungen oder Nichtraucher zu werden, wird ebenfalls mit Punkten abgegolten, die wiederum in Prämien und Rabatte umgetauscht werden können. Vor der Einführung in Deutschland vor einigen Jahren – mittlerweile gibt es dieses Modell auch schon in Österreich – wurde das Modell teilweise scharf kritisiert. Neben der heiklen Datenweitergabe an den Versicherer wurde auch eine mögliche Benachteiligung chronisch kranker Menschen beziehungsweise das Aufweichen der solidarischen Versicherungsgesellschaft moniert. Seitens des Versicherers wurde betont, dass man damit Menschen zu einem gesünderen und bewussteren Lebensstil bewegen möchte.

Beim Blick über die Grenzen wird der Trend zu E-Health und Digitalisierung immer deutlicher sichtbar. Bei unseren Schweizer Nachbarn gibt es nun schon seit über zehn Jahren die sogenannten „Telmed“-Versicherungssysteme, Ende 2017 hatten sich bereits über eine Million Versicherte für eines dieser Modelle entschieden. Bei einigen davon ist der Patient verpflichtet – außer bei Notfällen -, zuerst telefonisch eine Beratungsstelle zu kontaktieren, bevor er zum Arzt gehen kann. Befürworter betonen die niedrigeren Tarife für die Versicherten und eine Entlastung der niedergelassenen Ärzte. Kritiker führen hingegen einige Problemfelder ins Treffen. So ist die Empfehlung des telemedizinischen Dienstes, bestehend aus Ärzten oder Pflegefachpersonen, bindend. Entscheidet der Tele-Dienst, dass kein Arztbesuch nötig ist, bleibt dieser dem Versicherten verwehrt. Geht der Versicherte dennoch zum Arzt, kann er seinen Prämienrabatt verlieren. Zum anderen kennen Medienberichten zufolge einige Anbieter keine Toleranz, wenn die Meldung ausbleibt. Dann kann es vorkommen, dass der Patient auf seinen Arztkosten sitzenbleibt.

In Deutschland ist die Telemedizin ebenfalls auf dem Vormarsch. Erst heuer wurden die diesbezüglichen Bestimmungen gelockert und Beratung und Behandlung via Telekommunikation auch ohne persönlichen Erstkontakt „im Einzelfall“ erlaubt sein. Der Einsatz von Telemedizin stehe daher in unserem Nachbarland vor einem Schub, meinen Experten.

Unterstützen, nicht ersetzen

Auch wenn die Digitalisierung in der Medizin wie in fast allen anderen Lebensbereichen nicht aufzuhalten ist, wichtig ist der richtige Umgang und ein gewinnbringender Einsatz der neuen Technologien. „Die Entwicklung in Richtung E-Health, dem Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen, ist nicht aufzuhalten und kann durchaus großen Nutzen bringen, wenn man es richtig macht. Das ist aber nur dann der Fall, wenn moderne technische Methoden Ärztinnen und Ärzte unterstützen, nicht jedoch verdrängen oder ersetzen“, sagt ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann niedergelassene Ärzte, Johannes Steinhart. Dass es Bestrebungen gebe, E-Health-Anwendungen im großen Maßstab zur betriebswirtschaftlichen Gewinnmaximierung einzusetzen, um sich zum Beispiel die Ausgaben für ärztliche Expertise zu ersparen, sehe man „mit großer Sorge“. Ohne ärztliche Kompetenz sei keine Digitalisierung in der Medizin denkbar, ist er überzeugt. Sicher gebe es Vorteile bei der Telemedizin – etwa, um medizinische Expertise dorthin zu bringen, wo es sie nicht gibt, in entlegenen Regionen etwa. Chronische Patienten könnten mit einer Online-Überwachung ihrer Werte effizienter kontrolliert werden und so medizinisches Personal entlasten. Überhaupt ist Entlastung eines der Schlüsselworte in der Diskussion um die Digitalisierung. Überall dort, wo digitale Tools Ärzte in ihrer Arbeit unterstützen können, sind sie durchaus zu befürworten. Effizienteres Arbeiten und Unterstützung bei administrativen und bürokratischen Prozessen kann Ärzten Zeit ersparen, die sie in den persönlichen Kontakt mit ihren Patienten investieren können.

Ersetzen kann die Künstliche Intelligenz die ärztliche Versorgung aber nicht. Wo persönlicher Kontakt mit Patienten, Expertise, Erfahrung gefragt sind, dort erreicht die KI ihre Grenzen. Und sie kann auch kein Rezept gegen den Ärztemangel, auch in ländlichen Regionen, sein. Hier ist die Lösung eine andere: „Wir brauchen ordentliche Arbeitsbedingungen für die kassenärztliche Tätigkeit, damit es wieder genug niedergelassene Ärzte gibt“, fordert Steinhart. Die Digitalisierung werde das Gesundheitssystem im Allgemeinen und die Rolle und das Berufsbild des Arztes im Besonderen tiefgreifend verändern, so der ÖÄK-Vizepräsident. Das stehe außer Frage. Jetzt gehe es darum, diesen Fortschritt mitzugestalten – „damit es kein Fortschritt auf Kosten von Patienten und Ärzten ist.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2018