Impfen: Interview Hans Jürgen Dornbusch: „Influenza: Kleine schützen Große“

25.11.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


PD Dr. Hans Jürgen Dornbusch, ÖÄK-Impfreferent, über die extreme Influenza-Saison 2017/2018.
Andrea Riedel

Herr Dr. Dornbusch, Influenza war ein zentrales Thema des Grazer Impftags. Die Saison 2017/18 war ja in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich. Ja, die Grippewelle dauerte länger als sonst, offiziell bis Anfang April. Ungewöhnlich war auch, dass Influenza-B-Viren mehr als zwei Drittel aller zirkulierenden Stämme ausmachten. Das Schlimmste aber war, dass neun Kinder gestorben sind – mehr als im gesamten Vorjahr an allen Erregern der eitrigen Meningitis zusammen.

Waren die Betroffenen geimpft?
Sechs Kinder waren definitiv ungeimpft, für die anderen drei ist keine Dokumentation verfügbar.

Wie hoch war generell der Anteil an infizierten Kindern und Jugendlichen?
Mehr als ein Drittel der Proben mit positivem Virusnachweis kam von Patienten bis 14 Jahre – diese Gruppe macht aber nur ein Siebtel der Gesamtbevölkerung aus. Das sollte uns zu denken geben. Wir wissen längst, dass 0- bis 19-Jährige die höchste Influenza-Inzidenz aufweisen. Trotzdem glauben viele Österreicher, die Impfung sei, wenn überhaupt, etwas für Erwachsene. Das ist einer der fatalsten Influenza-Mythen überhaupt. Kinder sind nachweislich die Hauptinfektionsquelle, die Virusausscheidung ist höher und dauert länger als bei Erwachsenen.

Klassisches Argument gegen die Influenza-Impfung ist die geringe „Trefferquote“. Was halten Sie dagegen?
Es gibt durchaus Jahre mit schlechter „Trefferquote“, aber die meisten Analysen zeigen, dass die Influenza-Impfung 50 bis 70 Prozent der Erkrankungen verhindern kann. Ich fasse den Begriff der Vorbeugung weiter: Selbst wenn Geimpfte erkranken, ist der Verlauf kürzer und milder, es gibt viel weniger Komplikationen und damit seltener stationäre Aufenthalte. Das ist nicht meine Privatmeinung, u. a. damit begründet das Nationale Impfgremium seine Empfehlung der Impfung für alle ab dem sechsten Lebensmonat. Auch der Hinweis auf den Nasal-Impfstoff für Kinder und damit auf eine „nadelfreie“ Immunisierung ist ein wichtiges Argument. Und: Kleine schützen Große. Denn hohe Durchimpfungsraten bei Schulkindern reduzieren nicht nur die Infektionsraten bei Erwachsenen, sondern auch die Übersterblichkeit bei der besonders gefährdeten Gruppe der alten Menschen. Das hat schon die Japan-Studie von Reichert et al. gezeigt: Mit Einführung der Influenza-Impfpflicht für Schulkinder sank die Übersterblichkeit radikal. Genauso dramatisch ist sie mit dem Ende der Impfpflicht wieder gestiegen.

Wie könnte man das „Image“ der Impfung heben?
Etwa indem man ihre Zuverlässigkeit weiter erhöht, daran wird intensiv geforscht. Damit Patienten nicht glauben, die Impfung schütze vor banalen Infekten, sollte man klar zwischen „echter Grippe“ und „grippalem Infekt“ trennen.

Was halten Sie von finanziellen Anreizen?
Aufklärungskampagnen sind wichtig, aber damit wird es nicht getan sein. Die Influenza- Impfung gehört wie in England ins Kinderimpfprogramm. Aber da wird möglicherweise viel Geld in Studien fließen, die belegen, was man anderswo schon erkannt hat.

Nämlich?
Dass sich ein Gratis-Zugang für Kinder auszahlt. Schließlich ist jede Grippewelle mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden: Zuerst fehlen die Kinder in der Schule und dann die Erwerbstätigen am Arbeitsplatz. Sogar das bekannt sparsame NHS in Großbritannien hat festgestellt, dass die Impfung für Kinder und Jugendliche sogar dann noch kosteneffizient ist, wenn die Durchimpfungsraten niedrig sind. Wobei – niedrig heißt hier mindestens 30 Prozent. Davon können wir in Österreich mit weit unter zehn Prozent nur träumen.

 

• Empfehlung Influenza-Impfung Saison 2018/2019 des Nationalen Impfgremiums: www.aerztekammer.at> ÄrztInnen > Informationen für ÄrztInnen > Impfen

• Reichert, T. A. et al.: The Japanese Experience (…)., NEJM 344: 889–896 (2001)

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