Impfen: Impfskepsis – Hintergründe erkennen

25.06.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


An der Auseinandersetzung mit Impfängsten führt kein Weg vorbei. Ein WHO-Dossier befasst sich mit den kognitionspsychologischen Faktoren bei der Entscheidung für oder gegen das Impfen.

Abseits der heiklen Debatte um eine Impfpflicht steht außer Frage: „Wir brauchen in Österreich verstärkt bundesweite Aufklärungskampagnen in Abstimmung mit europaweiten Aktivitäten. Denn Infektionskrankheiten kümmern sich nicht um Staatsgrenzen“, ist Rudolf Schmitzberger, Leiter des ÖÄK-Referats für Impfangelegenheiten, überzeugt. Ebenso wichtig sei es aber auch, mit skeptischen Patienten in der Arztpraxis richtig umzugehen. Das heißt in erster Linie: Hintergründe herausfinden und Vertrauen aufbauen.

Die zwei Säulen der Impfaufklärung sind Awareness-Maßnahmen in Kombination mit laientauglicher, seriöser Information via Medien. Diese bemühen sich sehr, den Halbwahrheiten und Falschmeldungen der Online-Welt Fakten entgegenzusetzen, räumt Schmitzberger ein. Die zweite Säule sei das Arzt- Patienten-Gespräch. Dabei seien „Hardcore“-Impfgegner in der täglichen Praxis nicht die größte Herausforderung. „Am meisten Aufmerksamkeit brauchen die vielen Eltern, die das Beste wollen für ihr Kind, aber total verunsichert sind durch ,fake news‘, vor allem in den Sozialen Medien“, so der Kinderarzt. Ärzte sollten die Bedenken erst einmal ernst nehmen und versuchen, die Hintergründe herauszufinden.

Bei Psychologen und Kommunikationsexperten lassen sich gute Tipps holen – oder man wirft einen Blick in das WHO-Dossier „Vaccination and Trust“: Die Verfasserin, Cornelia Betsch, hielt beim Österreichischen Impftag im Jänner 2018 eine beeindruckende Key-Note-Speach. Die Psychologin ist Deutschlands erste Professorin für Gesundheitskommunikation.

Die Kernfrage ist: Nach welchen psychologischen Mechanismen treffen wir Entscheidungen? Bei der Einschätzung von Risiken komme z.B. oft das Sicherheitsdenken (safety effect) zum Tragen. So konzentrieren wir uns eher darauf, Verluste zu vermeiden, als darauf, etwas dazuzugewinnen. Im Impfkontext kann das bedeuten: Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens verschwindend gering ist, wiegt die schiere Möglichkeit ungleich schwerer als der Schutz vor einer noch so schweren Erkrankung.

Als „Bestätigungsfehler“ (confirmation bias) bezeichnet man die Tendenz, v.a. das wahrzunehmen und für wahr zu halten, was die eigene Meinung bestätigt – egal, wie seriös die Informationen sind. Steht uns hingegen zu wenig Information zur Verfügung, um die Relevanz einer Sache einzuschätzen, orientieren wir uns an dem, was uns als Erstes in den Sinn kommt. Im Konnex mit Impfungen erinnert sich eine besorgte Mutter vielleicht eher an kolportierte Nebenwirkungen als an ein munteres Kind, dem dank Impfungen leidvolle Krankheiten erspart geblieben sind. Psychologen sprechen von „Verfügbarkeitsheuristik“ (availability heuristic).

Wichtig im Umgang mit Impfskeptikern sei es, so Schmitzberger, den Menschen zu erkennen, der vor allem eines möchte: sein Kind oder sich selbst vor Schaden bewahren. „Wenn ich mir das als Arzt bewusst mache, kann ich mich auf seine Seite stellen und sagen: ,Wir wollen beide dasselbe, genau deswegen sollten Sie Ja zur Impfung sagen.‘“ Wer sich die „kognitiven Kniffe“ der Entscheidungsfindung bewusst gemacht hat, kann gezielter nachfragen und so den individuellen Ängsten eines Patienten rascher auf die Spur kommen. Etwa indem man eine verunsicherte Mutter fragt, ob sie Impfungen immer schon für schädlich gehalten hat oder erst durch eine bestimmte Nachricht alarmiert wurde. Im Idealfall kann man diesen „Trigger“ aufgreifen und konkret entkräften.

 

Infos: WHO-Dossier Vaccination and Trust:

http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0004/329647/Vaccines-and-trust.PDF?ua=1


Universität Erfurt – Psychology & Infectious Diseases Lab:

http://www.cornelia-betsch.de/


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2018