BKNÄ: „Sag mir, wo die Milliarde ist“

10.11.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die Krankenkassen werden reformiert, die Gebietskrankenkassen werden zusammengelegt. Zumindest in den kommenden fünf Jahren wird weniger und nicht mehr Geld für die Sozialversicherung zur Verfügung stehen. Die Reduktion der Beiträge von Unternehmen an die AUVA und die Kosten für die Fusion müssen beglichen werden. ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres fordert den Ersatz dieser Mittel durch das Bundesbudget.
Michael Heinrich

Bereits jetzt besteht ein Mehrbedarf an Kassenstellen aufgrund der schnell wachsenden und älter werdenden Bevölkerung. Viele Kassenstellen können nicht besetzt werden, da Rahmenbedingungen nicht akzeptiert werden. Junge Familien zögern, in ländliche Gebiete zu gehen und junge Ärztinnen und Ärzte ziehen die Sicherheit einer Anstellung in einer Krankenanstalt der Niederlassung vor. Wie geht es weiter? Wenn die Zahl der Gebietskrankenkassenverträge nicht mehr ausreicht die Bevölkerung zu versorgen, werden alle, die es sich leisten können, in den privaten Medizinmarkt ausweichen. Die Folge: Mehr Wahlärzte und mehr Patienten, die sich die Behandlung außerhalb des Sozialversicherungssystems kaufen. Ein attraktiver Markt, noch dazu unabhängig von Konjunktur oder Flauten in der Wirtschaft. Krank werden die Menschen immer wieder und benötigen medizinische Hilfe.

Der Gesundheitsmarkt ist kein Markt, denn er unterscheidet sich signifikant von jedem anderen Geschäftsmodell und ist deshalb so attraktiv für Investoren und Unternehmer. Deshalb drängen Firmen wie die Uniqa, Porr, Stumpf oder Vamed in diesen lukrativen Markt, möchten Facharztordinationen in Form von Gruppenpraxen oder Ambulatorien aufkaufen und Ärzte dort beschäftigen, um in einem „Muss-Geschäft“ mit der Gesundheit Geld zu verdienen. Vermutlich wird man sich auf Therapien konzentrieren, die möglichst viel einbringen und teure Behandlungen den Krankenhäusern überlassen. Außerdem werden Patienten, die sich die Privatmedizin nicht leisten können, nicht mehr rasch und adäquat behandelt werden: chronisch Kranke, Kinder, arme Menschen und viele Pensionisten. Diese Vorstellung ist für die Mehrzahl der Ärzte nicht akzeptabel, und wir möchten Arme und Bedürftige genauso gut behandeln dürfen wie Wohlhabende, denn alle Patienten verdienen die beste Medizin in einem reichen Land wie Österreich.

Gesundheitsversorgung sollte kein Geschäftsmodell sein. Wohin so ein System führt, kann man in den USA sehen. Millionen un- oder unterversicherte Menschen stehen ohne adäquate Therapie da. Die Ausgaben für Gesundheit belaufen sich auf 17 bis 18% des Bruttoinlandsproduktes (bei uns derzeit 10,4%). Geht es nur um das liebe Geld? Es geht nicht um das Einkommen von Ärztinnen und Ärzten, das ist in Ländern wie den USA höher als bei uns, es geht um die Patienten und darum, dass die Wertschöpfung im Gesundheitssystem bleibt und nicht geschäftstüchtige Unternehmer den Rahm des Gesundheitssystems abschöpfen.

Deshalb sind wir für ein gerechtes Sozialversicherungssystem, das allen, ob reich oder arm den Zugang zu modernster Medizin sichert. Viele reiche Länder zollen unserem System höchste Anerkennung, es ist daher unverständlich, warum wir uns in eine Richtung bewegen, die dieses System aushöhlt. Wir haben das Geld – wir müssen es effizient und sinnvoll einsetzen und dabei das menschliche Maß nicht verlieren.

Die Krankenkassenreform ist also so gut wie fixiert. Die Regierung hat zwar Mini-Konzessionen zugestanden, im Wesentlichen aber bleibt alles gleich. Was bringen die Zugeständnisse? Wenn es stimmt, dass eine Milliarde eingespart wird, bleibt auch unsere Forderung aufrecht: Die Milliarde gehört direkt ins Gesundheitssystem investiert und zwar jetzt und in medizinische Leistungen.

Es wird fünf Krankenkassen geben statt über 20. Zwischen Dienstgebern und -nehmern herrscht Gleichstand. Die einzige Änderung: Bei Abstimmungen muss es bei beiden Vertretungen eine Mehrheit geben. Das heißt: Noch mehr komplizierte Verhandlungen und Verfahren. Ob das zu einer Beschleunigung und zu weniger Administration führt, ist mehr als fraglich. Das leidige Rotationsverfahren, die Funktionäre rotieren alle sechs Monate, bleibt. Alle halben Jahre also ein neuer Vorsitzender. Am Ende der Vorstellungsrunde des Chefs kommt bereits der nächste. Man nennt dies auch „Lame Duck“.

Der Einfluss des Sozialministeriums wurde reduziert. Es kann nicht mehr „mir nichts, dir nichts“ Tagesordnungspunkte absetzen. Letztendlich aber hat es Weisungsrecht. Das widerspricht der Selbstverwaltung und Autonomie. Das wird den OGH in jedem Fall beschäftigen. Die Finanz wird statt der Sozialversicherung prüfen, das mag eine Vereinfachung mit sich bringen. Ob die Kontrollen weiterhin so scharf wie bisher ausfallen, bleibt abzuwarten. Zumindest sollten die Zeiten des Ärzte-Bashings und der Spionage vorbei sein.

Kopfzerbrechen bereitet vor allem die Autonomie der Länder und die Richtung der Harmonisierungen. Was haben wir erreicht? Die Länder haben eine gewisse Autonomie bei der Gestaltung der Verträge, heißt es. Man wird sehen. Denn nur vor Ort kann entschieden werden, was wie zu besetzen ist, welche Lücken in der Versorgung es zu füllen gibt und welche Zuschläge für welche Leistungen bezahlt werden. Dieses Recht werden sich weder die Ärztekammer noch die Kassen in den Ländern nehmen lassen. Zu Recht.

Die Harmonisierung der Leistungen kommt fix, nur wie dies finanziert werden soll, ist offen. Wir hoffen, nach oben und nicht nach unten. Die Milliarde soll eingespart werden. Bis 2023. Wir bestehen auf unserer Forderung: eine Milliarde direkt für die Optimierung der Gesundheitsversorgung. Das heißt: mehr Personal, bessere Honorare für Allgemeinmediziner und Fachärzte in Mangelfächern und vor allem: ein neues Honorarsystem für Gruppenpraxen. Allerdings wird die Fusion anfänglich jedenfalls Geld kosten und diese Mehrkosten sowie die Kosten für die Unterstützung der AUVA, bekanntlich werden die Arbeitgeberbeiträge gesenkt, müssen durch das Budget ersetzt werden, sonst droht Minderversorgung.

Was mich traurig stimmt: Von einer neuen Gesundheitspolitik ist kein Wort zu hören bzw. im Gesetz zu lesen. Weder, wie man den Ärztemangel beseitigen will, wie man die Kooperation zwischen intra- und extramuralem Sektor optimieren will, noch wie man den Hausarzt wirklich aufwerten und nicht aussterben lassen will.

Die Organisationshülse ist geschaffen. Jetzt sollte es endlich um den Inhalt und vor allem um mehr Leistung für die Versicherten gehen, mit weniger Geld wird dies keinesfalls funktionieren.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2018