BKAÄ: „Notfallpatient“ Spitalsambulanz

10.10.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Spitalsambulanzen sind überfüllt, und das Personal ist überlastet. Viele Patientinnen und Patienten weisen sich selbst zu. In den vergangenen zehn Jahren sind die Ambulanzfälle österreichweit um etwa 30 Prozent gestiegen, und die Tendenz in Bezug auf die Ambulanzkosten ist seit Jahren stark steigend. Durch die zusätzliche Reduktion der ärztlichen Arbeitsstunden laut Novelle des Krankenanstalten- Arbeitszeitgesetzes wird die Spitalsambulanz zunehmend zum „Notfallpatienten“. Unter welchen Voraussetzungen kann nun eine Entlastung der Ambulanzen gelingen?
Andrea Janousek

„Der zunehmende Anteil an Selbstzuweisern ist vor allem jung, berufstätig und sucht die Ambulanz mit kleineren Beschwerden auf“, beschreibt Eiko Meister, Internist an der internistischen Notaufnahme der Grazer Universitätsklinik und Vizepräsident der Ärztekammer Steiermark, eine große Gruppe an Ambulanzbesuchern. Hinzu käme das „All-inclusive-Denken“ der Patientinnen und Patienten: „Im Spital sind sämtliche Untersuchungen an einem Ort möglich, alle Medikamente sind vorhanden, ohne Überweisung und ohne Spießrutenlauf“, erläutert Meister die Begründung vieler Spitals-Selbstzuweiser.

Filterordinationen optimieren Abläufe in der Versorgungspyramide

Am Grazer LKH und LKH West gibt es seit gut zwanzig Jahren die sogenannte „EBA“; die Abkürzung steht für Erstuntersuchung, Beobachtung und Aufnahme. Sie ist eine allgemeine Ambulanz der Uniklinik für Innere Medizin sowie Notaufnahme der Uniklinik für Neurologie. „Der Motivator für eine EBA war die hohe Anzahl an Patienten, die durch die Notaufnahme geströmt ist“, erläutert der Internist. „Diese allgemeine Ambulanz war als Erweiterung der Spezialambulanzen um eine Beobachtungseinheit gedacht. Allerdings ist in den letzten Jahren auch der unkontrollierte Zugang in die EBA größer geworden.“ Meister beobachtet eine hohe Anzahl an Befindlichkeitsstörungen und Bagatellproblemen wie Schnupfen, Husten oder Heiserkeit. Die echten Notfälle würden pro Tag bestenfalls drei bis fünf Prozent ausmachen. Hinzu kämen auch personelle Probleme. „Allein die innere Medizin betreut pro Tag etwa 70 bis 80 ambulante Patienten. Ein veritables Problem jeder Notaufnahme ist der Zeitdruck, der durch die hohe Anzahl von eintreffenden Patienten und durch Verzögerungen in der Diagnostik bedingt ist“, erklärt Meister. An Spitzentagen könne es passieren, dass 30 Patientinnen und Patienten gleichzeitig in Betreuung sind. In der EBA können Patienten hochstrukturiert und rasch „abgearbeitet“ werden. „Durch die schnelle Arbeitsweise wird es allerdings noch attraktiver, die Notaufnahme aufzusuchen. Das durchschnittliche Untersuchungsprogramm mit EKG, Thoraxröntgen, Labor und eventuell Sonographie und Konsiliarbefunden durchläuft der Patient in der Notaufnahme in etwa sechs Stunden,“ weiß der Internist. Der springende Punkt ist für Meister, „dass nicht jeder alles zu jeder Zeit haben kann“. Um Spitalsambulanzen zu entlasten, brauche es Projekte wie Filterordinationen oder vorgelagerte Primärversorgungseinheiten, die feststellen können, an welcher Stelle der Versorgungspyramide Patientinnen und Patienten am besten einsteigen sollten.

Eine klare Struktur ist die Basis für hohe Qualität

Dass eine klare Struktur eine Grundbedingung für eine gute medizinische Versorgung ist, betont auch Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. „Das österreichische Gesundheitssystem ist öffentlich-rechtlich aufgebaut. Das bedeutet, jede und jeder Kranke oder Verletzte bekommt in unserem Gesundheitssystem ärztliche Hilfe. Nur muss differenziert werden, mit welchem Beschwerdebild die Patientinnen und Patienten in welcher Versorgungseinheit am besten aufgehoben sind. Das kann in der Einzelordination, beim niedergelassenen Arzt, ebenso sein“, betont Mayer.

Die Zukunft kann man sich nicht „ersparen“

Spitalsambulanzen hätten bestimmte Kernaufgaben zu erfüllen, die auch in § 26 des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes geregelt sind (* siehe Kasten). Die seit Jahren steigenden österreichweiten Zahlen der Ambulanzfälle – von 2005 bis 2016 etwa 30 Prozent – treiben auch die Ambulanzkosten in die Höhe. Hinzu kommt die Novelle des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes, das dem Unionsrecht angepasst wurde und die Dienstdauer für alle Dienstnehmer etappenweise verkürzt. Die EU-Richtlinie schreibt eine Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden inklusive Überstunden vor, die nicht zu überschreiten ist. „Wir haben bereits jetzt eine Notfallsituation. Die Arbeitsintensität steigt zunehmend, obwohl die Arbeitszeiten reduziert werden, und das Personal wird nicht aufgestockt,“ so Mayer. Der Druck und die Belastung im Dienst führten schließlich auch dazu, dass junge Ärzte zunehmend weniger motiviert sind, im Spital zu bleiben, und ältere, erfahrene Ärztinnen und Ärzte wegen der flexibleren Rahmenbedingungen in den niedergelassenen Bereich wechseln.

„Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die Gesellschaft verändert, auch innerhalb der Ärzteschaft. Die Pensionierungswelle kann man nicht einfach leugnen,“ betont der Kurienobmann. „Wir können uns die Zukunft nicht einfach ‚ersparen‘,“ warnt Mayer abschließend.

Zentrale Leistungen der Anstaltsambulatorien nach § 26, KAKuG:

§26. (1) In öffentlichen Krankenanstalten der in §2 Abs.1 Z1 und 2 angeführten Arten sind Personen, die einer Aufnahme in Anstaltspflege nicht bedürfen, ambulant zu untersuchen oder zu behandeln, wenn es

1. zur Leistung Erster ärztlicher Hilfe,
2. zur Behandlung nach Erster ärztlicher Hilfe oder in Fortsetzung einer in der Krankenanstalt erfolgten Pflege, die im Interesse des Behandelten in derselben Krankenanstalt durchgeführt werden muß,
3. zur Anwendung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit solchen Behelfen, die außerhalb der Anstalt in angemessener Entfernung vom Wohnort des Patienten nicht in geeigneter Weise oder nur in unzureichendem Ausmaß zur Verfügung stehen,
4. über ärztliche oder zahnärztliche Zuweisung zur Befunderhebung vor Aufnahme in die Anstaltspflege,
5. im Zusammenhang mit Organ-, Gewebe- und Blutspenden,
6. zur Durchführung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln oder Medizinprodukten oder
7. für Maßnahmen der Fortpflanzungsmedizin notwendig ist.

(2) Ferner steht den in Abs.1 genannten Krankenanstalten das Recht zu, Vorsorgeuntersuchungen ambulant durchzuführen. Die Aufnahme dieser Tätigkeit ist der Landesregierung anzuzeigen. 

Die mit „Aktuelles aus der ÖÄK“ gekennzeichneten Seiten stehen unter der redaktionellen Verantwortung von Michael Heinrich, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Österreichischen Ärztekammer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2018