BKAÄ: Causa Prima®

15.08.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Ver­ant­wor­tungs­ge­biet, Auf­ga­ben und Her­aus­for­de­run­gen eines Pri­mar­arz­tes sind im Laufe der Zeit immer grö­ßer gewor­den. Gestal­tungs­spek­trum, Ver­dienst und letzt­lich auch Anse­hen in der Bevöl­ke­rung neh­men hin­ge­gen lau­fend ab. Ein Stim­mungs­bild über Öster­reichs Pri­ma­rii.
Bosko Skoko

Die Zei­ten, in denen lei­tende Ärztinnen und Ärzte als „Göt­ter in Weiß“ ange­se­hen und ein Pri­ma­riat von der Mehr­heit der Ärz­te­schaft als obers­tes Kar­rie­re­ziel betrach­tet wurde, sind längst vor­bei. Die Anfor­de­run­gen haben sich deut­lich erhöht, Pri­ma­rii wer­den von vie­len als Ver­wal­tungs­be­amte ange­se­hen, die mitt­ler­weile die meis­ten Nacht­dienste machen und deren Ver­ant­wor­tung sich nicht mehr in ihrer Bezah­lung wider­spie­gelt. Ver­mehr­ter Kos­ten­druck, hoher admi­nis­tra­ti­ver Auf­wand und ein Man­gel an jun­gen Ärz­tin­nen und Ärz­ten haben die Situa­tion ver­schärft. Man habe manch­mal eher den Ein­druck, „als bräuchte man den Pri­mar nur mehr dafür, um einen Ver­ant­wort­li­chen für nicht funk­tio­nie­rende Dinge zu haben“, fasst Harald Penz, Obmann-Stell­ver­tre­ter der Bun­des­ku­rie Ange­stellte Ärzte und Pri­mar­ärzte-Ver­tre­ter, die Stim­mung zusam­men (siehe Kommentar). 

Schwie­rige Balance zwi­schen Medi­zin und Management 

Um sich ein Bild der aktu­el­len Situa­tion zu machen, führte das Ärztliche Qualitätszentrum im Auf­trag der Ärztekammer für Ober­ös­ter­reich im ver­gan­ge­nen Jahr eine Umfrage durch: Unter dem Titel „Der Pri­mar­arzt im Wan­del – zwi­schen Kenn­zah­len und medi­zi­ni­schen Leis­tun­gen“ nah­men 127 lei­tende Medi­zi­ne­rin­nen und Medi­zi­ner aus Ober­ös­ter­reich an der Unter­su­chung teil. Die Ergeb­nisse zei­gen, dass mehr als drei Vier­tel der befrag­ten Per­so­nen grundsätzlich mit ihrer Rolle und ihren Auf­ga­ben zufrie­den sind. Der Teu­fel steckt aller­dings im Detail: Bei näherer Betrach­tung müssen vor allem in klei­ne­ren Häusern lei­tende Ärzte eine schwie­rige Balance zwi­schen Medi­zin und Manage­ment fin­den. Öko­no­mi­sche Vor­ga­ben zu Unguns­ten der Medi­zin und der lau­fende Aus­gleich zwi­schen wirt­schaft­li­chen Eck­pfei­lern und qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger Medi­zin sind stän­dige Weg­be­glei­ter im Arbeits­all­tag eines Pri­mars. Die Umfrage kommt zu dem Schluss, dass sich vor allem drei Ent­wick­lun­gen auf den Kran­ken­haus­all­tag von Führungskräften aus­wir­ken: die ständige Arbeits­ver­dich­tung, der Ärztemangel und die überbordende Bürokratisierung. 

Auf die Frage, ob sich das Arzt­bild und die Auf­ga­ben des Pri­mar­arz­tes ver­än­dert haben, kommt auch von Rudolf Knapp, Pri­ma­rius an der Radio­lo­gie im BKH Kuf­stein, und Ruth Krum­p­holz, Pri­ma­ria für Anäs­the­sio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin am LKH Blu­denz, ein kla­res Ja. Knapp nennt meh­rere Fak­to­ren: So seien die Über­nahme der Ver­ant­wor­tung für die Wirt­schaft­lich­keit einer Abtei­lung und somit wie­derum öko­no­mi­sche Vor­ga­ben ver­stärkt dazu­ge­kom­men. In vie­len Fäl­len ist auch zumin­dest der Ver­such unter­nom­men wor­den, die recht­li­che Ver­ant­wor­tung von der Kran­ken­an­stalt oder dem jewei­li­gen Trä­ger der­sel­ben auf den Pri­ma­rius mit per­sön­li­cher Haf­tung zu über­tra­gen. Dies betrifft zum Bei­spiel die Ein­hal­tung des Arbeits­zeit­ge­set­zes. Doku­men­ta­ti­ons- und Admi­nis­tra­ti­ons­auf­ga­ben, die grund­sätz­lich wich­tig sind, haben den Auf­wand für den Pri­mar­arzt enorm gestei­gert. Ebenso seien die Aus­bil­dungs­be­lange zu sehen: „Gott­sei­dank hat die Bedeu­tung der Aus­bil­dung mas­siv zuge­nom­men. Das kos­tet aber auch Zeit und Geld“, so Knapp. In die­selbe Kerbe schlägt auch Krum­p­holz: „Aus­bil­dung ist viel Arbeit und kos­tet viel Zeit. Wir als Pri­mar­ärzte sind in der Ver­ant­wor­tung, unsere Ober­ärzte dazu anzu­hal­ten, tat­säch­lich aus­zu­bil­den. Dabei brau­chen wir aber die Unter­stüt­zung sei­tens der Trä­ger und der Poli­tik.“ So wie Krum­p­holz for­dern die meis­ten Pri­ma­rii eine struk­tu­rierte Aus­bil­dung und die Wah­rung der Aus­bil­dungs­qua­li­tät, das heißt mehr Zeit für Medi­zin, mehr Zeit für den Pati­en­ten und mehr Zeit für die Aus­bil­dung im Allgemeinen. 

Mar­ke­ting-Spe­zia­list und Pin-up-Girl 

Als wei­tere Rolle, die dazu­ge­kom­men sei, nen­nen beide Pri­ma­rii die des Mar­ke­ting­spe­zia­lis­ten. Ein Pri­mar­arzt muss heut­zu­tage einer­seits wis­sen, wie er seine Abtei­lung an den Pati­en­ten bringt, ande­rer­seits gehe es darum, das rich­tige Per­so­nal zu rekru­tie­ren und dafür etwa Job-Mes­sen oder Tur­nus­ärzte-Kon­gresse zu besu­chen. Das benö­tige viel Zeit und das rich­tige Mar­ke­ting. Dazu Ruth Krum­p­holz: „Teil­weise kommt man sich wie ein Pin-up-Girl vor. Wie prä­sen­tiere und ver­kaufe ich mich beson­ders gut?“ Als wei­te­ren Wan­del im Bild des Pri­mar­arz­tes nennt Rudolf Knapp die Kon­kur­renz des Beru­fes als Wahl­arzt im glei­chen Fach. Diese führe zu einem Abfluss von guten Ärz­ten in die Pra­xis und damit in vie­len Berei­chen zu einem Bra­in­drain in Voll- und in Teil­zeit. Die zwei größ­ten Ver­än­de­run­gen fasst Krum­p­holz zusam­men: „Die Hier­ar­chien sind deut­lich fla­cher gewor­den, wes­halb man sich viel mehr mit den Mit­ar­bei­tern aus­ein­an­der­set­zen muss. Und es gibt viel mehr Kon­trolle und Vor­ga­ben, die es ein­zu­hal­ten gilt.“ 

Lei­tende Ärzte stär­ker in Gesund­heits­po­li­tik einbinden 

Die Poli­tik ist gefor­dert, sich mit der neuen Situa­tion des Pri­mar­arz­tes aus­ein­an­der­zu­set­zen und sich bes­ser über die aktu­elle Lage zu infor­mie­ren. Rudolf Knapp ist der Mei­nung, dass drin­gend ein tat­säch­lich geleb­tes part­ner­schaft­li­ches Ver­trauen zwi­schen Poli­tik und lei­ten­den Ärz­ten gebraucht werde. Auch Ruth Krum­p­holz wünscht sich, dass lei­tende Ärzte stär­ker in die Gesund­heits­po­li­tik ein­be­zo­gen wer­den: „Wir sind die­je­ni­gen, die das Bin­de­glied zu den Mit­ar­bei­tern dar­stel­len und zu dem, was der Pati­ent braucht.“ Des­halb sollte die Exper­tise von Pri­ma­rii stär­ker ein­ge­bun­den wer­den, wenn zum Bei­spiel Abtei­lun­gen zusam­men­ge­fasst oder geschlos­sen werden. 

Tipps für ange­hende Primarii 

Auf die Frage, was er der nach­kom­men­den Gene­ra­tion an Pri­mar­ärz­ten raten würde, meint Rudolf Knapp: „Ein Pri­ma­riat ist wie ein medi­zi­nisch-poli­ti­scher Maß­an­zug. Die­ser sollte einem nicht nur gut ste­hen, son­dern auch gut gefal­len, denn man trägt ihn nahezu 24 Stun­den am Tag.“ Daher brau­che es viel Iden­ti­fi­ka­tion mit dem nicht nur medi­zi­ni­schen Umfeld der Posi­tion. Dazu Ruth Krum­p­holz: „Ich gestalte gerne mein Umfeld und kann als Pri­ma­ria die Arbeits­kul­tur, den Umgang mit Kon­flik­ten und, was mir beson­ders wich­tig ist, ethi­sche Aspekte unse­res Berufs­all­tags bestim­men und die Linie vor­ge­ben.“ Diese Form des Lea­der­ships sei eine Grund­vor­aus­set­zung. Man müsse gerne Ver­ant­wor­tung über­neh­men wol­len und sollte diese Soft Skills – wie manage ich Kom­mu­ni­ka­tion, Kon­flikte, Kri­sen – idea­ler­weise schon wäh­rend des Stu­di­ums trai­nie­ren. Als posi­tive Aspekte ihres Beru­fes nen­nen beide Pri­ma­rii die Mög­lich­keit, im eige­nen Team, aber auch im Ver­bund mit ande­ren Teams zu arbei­ten und Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Wenn man gerne gestalte, sei man rich­tig für den Beruf. „Es wäre aller­dings hilf­reich, wenn der soziale Sta­tus eines Pri­ma­rius in unse­rer Gesell­schaft wie­der etwas mehr Aner­ken­nung fin­den würde“, so Knapp abschließend. 

KOMMENTAR

Doku­men­tie­ren, orga­ni­sie­ren und kompensieren. 

Von Harald Penz *) 

Ja, das Bild und auch die Auf­ga­ben des Primararztes/​der Pri­mar­ärz­tin haben sich gewan­delt. Frü­her hatte ich deut­lich mehr den Ein­druck, dass es von Sei­ten der Dienst­ge­ber bzw. der Poli­tik gewünscht war, aktiv und sinn­voll zur Gestal­tung der Gesund­heits­ver­sor­gung der Men­schen einen Bei­trag zu leis­ten. Mitt­ler­weile hat man manch­mal eher den Ein­druck, als bräuchte man den Pri­mar nur mehr dafür, um einen Ver­ant­wort­li­chen für nicht funk­tio­nie­rende Dinge zu haben. Und jeman­den, der so gut wie alles kom­pen­sie­ren muss, aber oft mit wenig Mög­lich­kei­ten, selbst aktiv zu gestal­ten. Das beginnt bei der Per­so­nal­kom­pe­tenz und geht soweit, dass man bei wich­ti­gen regio­na­len und über­re­gio­na­len Abläu­fen, wie der Ver­füg­bar­keit von Medi­ka­men­ten oder Ent­wick­lun­gen im Not­fall­we­sen, oft vor voll­endete Tat­sa­chen gestellt wird. Wenn ein Mit­ar­bei­ter oder eine Mit­ar­bei­te­rin das bestehende Stun­den­mo­dell nicht mehr leis­ten kann oder will, wird das meis­tens zuerst dem Betriebs­rat mit­ge­teilt und erst zum Schluss dem Pri­mar. Die­ser muss dann dafür sor­gen, dass der Betrieb unein­ge­schränkt wei­ter­läuft. Die klei­ne­ren Häu­ser sind davon natür­lich wesent­lich hef­ti­ger betrof­fen, weil es ja hier sonst zu einer exis­ten­ti­el­len Bedro­hung käme. 

Ganz all­ge­mein ist fest­zu­stel­len, dass sich die Auf­ga­ben des Primararztes/​der Pri­mar­ärz­tin stark unter­schei­den und von der Größe der Abtei­lung und des Hau­ses abhän­gen. In den klei­ne­ren Häu­sern ist es, sofern die Abtei­lun­gen funk­ti­ons­fä­hig erhal­ten wer­den müs­sen, zum Bei­spiel unbe­dingt not­wen­dig, dass sich der Pri­ma­rius im nor­ma­len Dienst­be­trieb wie­der­fin­det. Er muss prak­tisch „part of the game“ sein und eine sehr große Por­tion an Kom­pen­sa­ti­ons­aus­maß mit­brin­gen. So lässt das der­zei­tige Arbeits­zeit­ge­setz häu­fig nur eine dienst­li­che Kom­pen­sa­tion durch den Pri­ma­rius zu. 

Des­halb ist es auch mein Wunsch an die Poli­tik, dass sich die­je­ni­gen, die sich mit die­sem Thema aus­ein­an­der­set­zen müs­sen, bes­ser über die tat­säch­li­chen Zustände infor­mie­ren als es der­zeit der Fall ist. Mein zwei­ter Wunsch ist, dass man nie ver­ges­sen sollte, dass kranke Men­schen auch in länd­li­chen Gebie­ten woh­nen und dass wir auch für diese eine adäquate Ver­sor­gung sicher­stel­len müs­sen. Adäquate Ver­sor­gung heißt aber auch adäquate Bedin­gun­gen bereit zu stel­len, damit gute Arbeit geleis­tet wer­den kann. 

*) Harald Penz ist Pri­mar der Anäs­the­sio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin im LK Waid­ho­fen an der Thaya und Obmann-Stell­ver­tre­ter der Bun­des­ku­rie Ange­stellte Ärzte

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2018