Ambulanzüberlastung: Wegen Überfüllung geschlossen

25.05.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Bevor sie auf den nächsten Morgen warten, um ihren Hausarzt aufzusuchen, gehen viele Patienten lieber gleich in die Spitalsambulanz – lange Wartezeiten und volle Warteräume inklusive. Die daraus resultierende Überlastung der heimischen Ambulanzen stellt seit Jahren eine der großen Baustellen im Gesundheitssystem dar.

Wer in Österreich eine Spitalsambulanz aufsuchen muss, weiß ein Lied davon zu singen: Überfüllte Räumlichkeiten, stundenlange Wartezeiten, frustrierte Gesichter überall. Vor einigen Wochen ließ Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der Medizin-Universität Wien am Allgemeinen Krankenhaus (AKH), im „Zeit im Bild 2“-Interview aufhorchen. Das Wiener AKH drosselt seine Ambulanzversorgung, es werden nur noch Notfälle behandelt. Alle anderen Patienten seien im niedergelassenen Bereich besser aufgehoben. Husslein sieht die Ursache in der fehlenden Lenkung: „Patienten werden aus dem niedergelassenen Bereich, wo sie eigentlich gut betreut werden könnten, in den Spitalsbereich gedrängt, wo sie in Wirklichkeit teuer sind und ineffizient versorgt werden.“ Die Ambulanzen seien auch deshalb so überlaufen, weil in den niedergelassenen Bereich – Stichwort Öffnungszeiten in der Nacht oder am Wochenende – zu wenig investiert werde, so der Mediziner. Auch Wiens Patientenanwältin Sigrid Pilz teilte die Diagnose Hussleins, dass der Ansturm in den Spitalsambulanzen für das Personal inzwischen „unbewältigbar“ sei.

Patientenströme lenken

Damit wurde in den Medien erneut ein Problem des österreichischen Gesundheitswesens thematisiert, das die Österreichische Ärztekammer seit Jahren auf der Agenda hat (siehe Kasten). Dazu Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte: „Wir müssen uns anschauen, was das Gesundheitssystem leisten kann und wie man mit den Ressourcen, die immer knapper werden, sorgfältig umgehen kann. Da sind wir aktuell auf einem katastrophal schlechten Weg.“ Auch Harald Penz, zweiter Obmann-Stellvertreter der Bundeskurie Angestellte Ärzte und Primarärzte-Vertreter, schlägt in dieselbe Kerbe: „Wir müssen die Spitalsambulanzen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlasten und dafür sorgen, dass Patientenströme gelenkt werden. Es kann nicht sein, dass jemand mit einer Erkältung, die gut im niedergelassenen Bereich behandelt werden könnte, echten Notfällen Ressourcen wegnimmt.“ Dass man mit dem Problem der überlaufenen Ambulanzen nicht alleine dastehe, zeigt ein Blick zum Nachbarn: Vor Kurzem fand in Erfurt der 121. Deutsche Ärztetag statt, wo das Thema breit diskutiert und nach Lösungen gesucht wurde (siehe Kasten).

Spitalsärzte keine Mangelverwalter

„Eines muss allen klar sein: Wir Spitalsärzte sind keine Mangelverwalter“, so Mayer. „Wir haben die berufsrechtliche und ethische Verpflichtung, nach bestem Wissen und Gewissen unseren freien Arztberuf auszuüben. Die ärztlichen Entscheidungen dienen einzig und allein dem Wohl unserer Patientinnen und Patienten.“ Die medizinische Indikationsstellung sei Kern und Basis ärztlichen Handelns und ärztlicher Kompetenz. Diese habe entsprechend dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft stattzufinden. „Die Umsetzung der daraus resultierenden diagnostischen und therapeutischen Folgen scheitert allerdings immer öfter an den mangelnden Ressourcen“, so Mayer. Primarärzte-Vertreter Penz ergänzt: „Ökonomische Zwänge auf Ärztinnen und Ärzte, welche zur Einschränkung der Entscheidungsfreiheit führen, sind schlicht abzulehnen. Ganz grundsätzlich muss eine Weiterentwicklung des Gesundheitssystems unter strukturierter ärztlicher Einbindung stattfinden.“

Positive Ansätze aus Wien

Gute Nachrichten in diesem Zusammenhang waren vor Kurzem in Wien zu vermelden: Nach rund sechsmonatigen Tarifverhandlungen haben sich die Wiener Ärztekammer und die Wiener Gebietskrankenkasse auf eine neue Vereinbarung geeinigt. Dabei sind höhere Honorare für Allgemeinmediziner und Kinderärzte für die nächsten drei Jahre vorgesehen, der gynäkologische Ultraschall sowie eine spezielle Augenuntersuchung sollen kostenlos werden. Eine Vereinbarung mit der Stadt Wien sieht eine Investition von rund 15 Millionen Euro in den niedergelassenen Bereich vor, um Spitalsambulanzen zu entlasten.

Baustelle Spitalsambulanz

Seit Jahren fordert die Bundeskurie Angestellte Ärzte eine Entlastung der Spitalsambulanzen durch den Ausbau des wohnortnahen Angebots sowie einen strukturierten Weg des Patienten durch das System. Hier eine Zusammenfassung der größten Baustellen in diesem Zusammenhang:

• Die Wartezeiten in den Spitalsambulanzen werden immer länger. In Österreich können sich Patienten selbst zuweisen – und das rund um die Uhr. Es gibt keine Orientierung oder Lenkung des Patienten durch das System.

• Es fehlt an Strukturen und Anreizen, die den Patienten durch das System führen und Patientenströme regeln.

• Man braucht rasch eine Entlastung der Spitäler durch einen Ausbau des wohnortnahen Angebots im niedergelassenen Bereich.

• Spitalsärzte dürfen nicht Lückenbüßer von allfälligen Versorgungsmängeln im niedergelassenen Bereich sein.

• Es fehlt an wissenschaftlich aufbereiteten und abgestimmten Konzepten für den Zugang zu und für die Verfügbarkeit von allen notwendigen Leistungen im intra- und extramuralen Bereich nach patientenorientierten und qualitätsgesicherten Kriterien.

• Konzepte für die Lösung der Nahtstellenproblematiken sind nicht vorhanden.

• Abgrenzungsprobleme zwischen intra- und extramuralem Bereich sowie zwischen den Bereichen Gesundheit und Soziales führen zur Überlastung der Ambulanzen.

• Informations- und Aufklärungsarbeit bei den Patientinnen und Patienten muss geleistet werden (kein Recht des ungesteuerten Zugangs).


Deutschlands Ärztekammer drängt auf Lösung für überfüllte Notaufnahmen

Angesichts überfüllter Notaufnahmen in vielen Kliniken drängen Deutschlands Ärzte auf mehr Informationen für die Patienten und eine bessere Arbeitsteilung mit niedergelassenen Medizinern. „Für den Patienten ist sein Problem momentan der Nabel der Welt, sonst wäre er ja nicht in die Notfallambulanz gegangen“, sagte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. „Besser wäre, wir könnten Patienten von vornherein klarer informieren und in die richtige Versorgungsstufe lenken. Dann werden sie auch von dem Arzt behandelt, dem dies am schnellsten möglich ist.“

Dass viele Menschen eher direkt ins Krankenhaus gehen, habe man sich jetzt 20 Jahre angesehen. „Wir müssen einfach feststellen, dass Appelle und Hinweise nicht übermäßig viel gefruchtet haben. Darauf müssen wir jetzt reagieren“, forderte Montgomery. Es gehe nicht um Verletzte bei Unfällen oder Menschen, die mit dem Hubschrauber gebracht werden. Im Fokus stünden Menschen, die nicht um die Möglichkeiten ambulanter Bereitschaftsdienste wüssten und deshalb direkt in Notaufnahmen gehen. „Das sind Patienten, die gehören eigentlich nicht ins Krankenhaus. Nur viele wissen das nicht. Der Mensch läuft ja nicht mit dem Sozialgesetzbuch unter dem Arm herum.“

Montgomery warb dafür, in Kliniken gemeinsame „Portalpraxen“ von niedergelassenen Ärzten und KrankenhausÄrzten einzurichten, in denen jeder das mache, was er am besten könne. In einigen Kliniken mit dramatisch gestiegenem Andrang gebe es inzwischen Sicherheitsdienste in Notfallambulanzen. „Manche Patienten werden teilweise sehr fordernd und aggressiv, wenn sie warten müssen und die Dringlichkeit der anderen Fälle nicht einschätzen können.“ Zwar könne man für manche Ungeduld Verständnis haben. Notaufnahmen seien aber für Schwerkranke da. „Andere müssen dann warten, weil wir nach Dringlichkeit vorgehen müssen und nicht nach dem Eintreffen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2018