Ambulant-Stationär vernetzte Facharztmedizin: Netzwerkmedizinische Partnerschaft

15.12.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die Rhön-Klinikum AG gehört zu den größten privaten Gesundheitsdienstleistern in Deutschland. Im unterfränkischen Bad Neustadt errichtet das Unternehmen für rund 250 Millionen Euro den Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt, einen Vollversorgungsansatz als Modell für den ländlichen Raum. Zum Jahreswechsel 2018/2019 werden die Neubauten, das Zentrum für klinische Medizin (ZkM) und das Zentrum für ambulante Medizin (ZaM) in Betrieb genommen. Die ÖÄZ sprach dazu mit dem zuständigen Vorstandsmitglied, Prof. Dr. med. Bernd Griewing (Vorstand Medizin), er selbst ist Neurologe.
Andrea Janousek

Bei dem Unternehmen ist man von dem Projekt und seiner Zukunftsausrichtung überzeugt. Der Konzern setze damit erstmalig „idealtypisch“ sein Campus-Konzept um, das für eine Kooperation zwischen den medizinischen Fachabteilungen in der Klinik, für eine enge Vernetzung mit Kooperationspartnern aus der Region und für ein Aufbrechen der Sektorengrenzen – also ambulanter und stationärer Behandlungsangebote – stehe. Der Leitgedanke sei die ganzheitliche Betreuung des Patienten an einem Standort, mit dem Ziel diesen besser, schneller und qualitativ noch hochwertiger zu versorgen. Die Sache hat aber auch einen ökonomischen und gesundheitspolitischen Hintergrund.

„Wir haben an diesem Standort schon bisher ein Klinikum mit Schwerpunkten in der Herz- und Neuromedizin, Psychosomatik sowie in der orthopädischen Chirurgie mit rund 1.600 Betten und etwa 2.500 Beschäftigten. In Deutschland werden die meisten Krankenhäuser über eine sogenannte Fallpauschale vergütet. Dieses Bezahlsystem ist im Jahr 2004 eingeführt worden. Das hatte seine positiven Seiten“, sagt Griewing, im Gespräch mit der Österreichischen Ärztezeitung. Nun könnte ein „Spitalskonzern“ mit in Deutschland fünf Standorten (Zentralklinik Bad Berka, Campus Bad Neustadt, Klinikum Frankfurt/Oder, Universitätskliniken Gießen und Marburg) und auch ambulanten Einrichtungen wie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) bei pro Jahr 830.000 behandelten Patienten und 16.700 Mitarbeitern theoretisch die Reihe der betriebenen Spitäler ausweiten, doch mit dem Campus-Konzept geht man in eine andere Richtung. Griewing: „Durch das DRG System wurden Kostentransparenz und Effizienz möglich. Doch das Spitalsystem in Deutschland hat heute nur noch wenige Rationalisierungsreserven.“ Ein Problem blieb: Viel zu oft liegen auch in den Rhön-Kliniken die „falschen“ Patienten, die eine Versorgung in einem stationären Setting nicht zwingend benötigen. Oft „schneien“ die Patienten über die Notfallaufnahme „herein“, da eine zeitnahe fachärztliche Versorgung durch einen niedergelassenen Arzt aus Sicht des Patienten nicht erbracht werden kann. Ein nicht geringer Teil der Krankenhauspatienten könnte bei optimalen Bedingungen durch Fachärzte in der niedergelassenen Praxis medizinisch versorgt werden“, betont Rhön-Klinikvorstand Griewing. Dem soll mit dem Campus-Konzept in Bad Neustadt – soweit wie möglich – abgeholfen werden. Auf dem bestehenden Klinikgelände errichtet das Unternehmen ein Zentrum, das sich „an den wachsenden Herausforderungen der medizinischen Versorgung orientiert und konsequent auf eine sektorenübergreifende Vernetzung mit Ärzten und Gesundheitsdienstleistern in der Region setzt“, heißt es beim Klinikkonzern. Das sei „ein Meilenstein und gleichzeitig Vorbild für eine leistungsfähige, zukunftsfeste Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“, betont Stephan Holzinger, Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Dem Zentrum für klinische Medizin (eigentliches Klinikum) werden ein Zentrum für ambulante Medizin (Fachärzte) und eines für rehabilitative Medizin angegliedert.

Ansiedelung von Fachärzten

Zunächst geht es um Fachärzte. „Wir werden an diesem Standort alle für die Patientenversorgung relevanten Fachärzte am Ort haben. Wir laden Fachärzte der verschiedenen Spezialfächer ein, sich bei uns anzusiedeln. In der ersten Ausbaustufe im Jahr 2019 werden es etwa 30 Fachärzte sein“, sagte Griewing. Neben einem Rhön-Klinikum eigenen MVZ werden dann in anmietbaren Räumlichkeiten zusätzliche Fachärzte auf dem Campus tätig sein. „Die Fachärzte mieten sich bei uns ein. Für die erste Ausbaustufe sind wir schon ausgebucht.“ Die Mehrheit wird aus der Umgebung an den Klinikstandort übersiedeln. Das Klinikum in Bad Neustadt hat schon bisher ein Einzugsgebiet von rund einer Million Einwohnern versorgt. Es erstreckt mit seinen fachklinischen Schwerpunkten damit auf einem Radius von rund hundert Kilometern um den Campus.

Was an potenziellen Vorteilen für die in Zukunft beteiligten Ärzte hinzukommt: IT- und sonstige hoch technische Leistungen können gemeinsam mit dem Klinikum genutzt werden. Geplant ist eine enge Vernetzung aller am Behandlungsprozess beteiligten Akteure – niedergelassene Ärzte, weitere Kliniken und Gesundheitsdienstleister – in der Region. Dabei kommen verschiedene digitale Werkzeuge und Telemedizin zum Einsatz. Die Basis dessen ist eine moderne IT-Infrastruktur.

Triage rund um die Uhr

Außerdem wird es ein ambulantes OP-Zentrum im zweiten Bauabschnitt geben, in dem Eingriffe durch niedergelassene und klinische Fachärzte erfolgen können. Ähnliche Kooperationen strebt man bei der Nutzung der bildgebenden Großgeräte für CT, MRT etc. an. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den niedergelassenen Ärzten, den Rettungsdiensten und einem auf dem Campus vorhandenen Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst wird eine effektive Triage der eintreffenden Patienten an sieben Tagen der Woche und rund um die Uhr erfolgen.

Das Konzept lebt aber auch von der Einbindung anderer Gesundheitsberufe. Auf dem Campus werden nicht nur medizinische Kernleistungen, sondern auch erweiterte Gesundheitsdienstleistungen angeboten. Das werden die verschiedenen Therapieangebote (Physiotherapie, etc.), eine Apotheke und Bandagisten/Orthopädietechnik sein. Integriert werden bereits vorhandene Angebote der medizinischen Rehabilitation und der Prävention.

Laut Griewing soll das nicht zu einem Absaugen von Versorgungskapazitäten aus dem Umland führen: „Es wird immer Ärzte geben, die Einzelpraxen auch auf dem Land haben wollen. Aber speziell bei den Fachärzten haben wir das Problem, dass wir im ländlichen Raum keinen Nachwuchs bekommen.“ Hier könnten Campus-Lösungen mit neuen Zusammenarbeitsformen ein Zukunftsmodell sein. Keinesfalls will man bei den Rhön-Kliniken als Privat-Medizinkonzern erscheinen. „Wir haben kein Privatklinikkonzept. Wir haben den vollen Versorgungsauftrag, wie auch z.B. öffentlich-rechtliche Klinikträger“, sagt das Rhön-Klinikvorstandsmitglied.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2018