Standpunkt – Thomas Szekeres: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

15.07.2017 | Standpunkt

© Bernhard Noll

Mit Menschen zu tun haben zu wollen, sie als Hausarzt möglicherweise ein Leben lang zu begleiten oder aber als Spitalsarzt Expertise in einem ganz speziellen Bereich zu haben und auszuüben – die Motive, die junge Menschen dazu veranlassen, mit dem Medizinstudium zu beginnen, sind zum überwiegenden Teil idealistischer und humanistischer Natur. Die Realität sieht bedauerlicherweise anders aus. In Wahrheit sehen sich niedergelassene Kassenärzte damit konfrontiert, eine bestimmte Anzahl von Patienten tagtäglich durch ihre Ordination durchschleusen – im wahrsten Sinn des Wortes – zu müssen, weil ein völlig veraltetes Honorierungssystem, das schon längst nicht mehr dem State of the Art der medizinischen Diagnose und Therapie entspricht, sie dazu zwingt. Die Folgen sind bekannt, auch wenn viele in der Gesundheitspolitik Verantwortliche es nicht gern hören, mitunter sogar bestreiten: Die Menschen wandern ab in die Privatmedizin, um dort das zu bekommen, was es im Sozialversicherungssystem oft nicht mehr gibt: Zeit und das ärztliche Gespräch.

Spitalsärztinnen und Spitalsärzte wiederum stöhnen unter dem ungebremsten Zustrom von Patienten zu den Spitalsambulanzen. Was ursprünglich als Anlaufstelle für komplexe medizinische Notfälle gedacht war, mutiert immer mehr zur Erstanlaufstelle für Bagatellen. Administration und Bürokratie tragen neben dieser Entwicklung das Ihre dazu bei, dass dann vieles andere – beispielsweise die Ausbildung von jungen Kolleginnen und Kollegen – auf der Strecke bleibt. Patienten werden oder besser: müssen wie am Fließband behandelt werden, um den Ansturm bewältigen zu können.

Man wird das eine – die überlaufenen Spitalsambulanzen – nicht in den Griff bekommen, ohne das andere – das in den letzten Jahren nur wenig weiter entwickelte Kassensystem – auszubauen.

Das systematische Aushungern des niedergelassenen Bereichs, das Mystery Shopping als Misstrauenserklärung allen Ärztinnen und Ärzten gegenüber, die Chefarztpflicht als Kontrollinstrument – vergegenwärtigt man sich all diese Maßnahmen, braucht es einen nicht zu wundern, dass zwar das Medizinstudium für viele junge Menschen hochattraktiv ist, sie aber – sobald es um die praktische Ausbildung geht – lieber das Weite suchen.

Spitalsarzt in Österreich zu werden und zu bleiben ist auch für viele Kolleginnen und Kollegen keine Option – ebenso, wie es viele nach der Ausbildung vorziehen, sich als Allgemeinmediziner oder Facharzt nicht den Kontrollen und Reglementierungen der Kassen unterzuordnen, und lieber als Wahlarzt ihr Glück versuchen.

Die Medizin ist durch und durch eine soziale Tätigkeit. Im Mittelpunkt steht der Patient. Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass sich die Medizin wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren muss. Die Basisaufgabe der Ärztinnen und Ärzte muss wieder in den Vordergrund gerückt werden. Wir alle müssen uns für eine Rehumanisierung der Medizin einsetzen. Das Gesundheitssystem von morgen muss ein unmittelbareres, direkteres und humaneres sein, als wir es heute haben.

Die Aufgaben, vor denen wir stehen, sind mannigfach. Dazu braucht es aktive, engagierte, motivierte Ärztinnen und Ärzte! Ich lade Sie ein, sich aktiv einzubringen, damit uns das gelingt.

a.o. Univ.-Prof. Thomas Szekeres
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2017