Selbst­zu­wei­ser in Spi­tals­am­bu­lan­zen: „Ein gene­rel­les Phänomen“

25.02.2017 | Politik

Der zuneh­mende Anteil an Selbst­zu­wei­sern – und hier wie­derum von jun­gen Men­schen – sowie die „one stop – one shop“-Mentalität bezeich­net Eiko Meis­ter, Inter­nist an der inter­nis­ti­schen Not­auf­nahme der Gra­zer Uni­vers­ti­täts­kli­nik, als eines der größ­ten Pro­bleme. Über die aktu­elle Situa­tion wird er bei der von der Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte ins Leben geru­fe­nen Ver­an­stal­tung, der „Infu­sion 2017“, Ende April in Wien berich­ten. Von Agnes M. Mühlgassner

Jung, berufs­tä­tig und nicht wirk­lich krank – so beschreibt Eiko Meis­ter eine große Gruppe an Selbst­zu­wei­sern, die mit dazu bei­tra­gen, dass eines der gro­ßen Pro­bleme im Spi­tals­be­reich nach wie vor unge­löst ist: der unge­lenkte Zustrom in die Spi­tals­am­bu­lan­zen. Des­we­genm hat die Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte die­ses Thema auch in den Mit­tel­punkt ihrer Ver­an­stal­tung „Infu­sion 2017“ gestellt, die am 28. April in den Wie­ner Sophien­sä­len statt­fin­det. Motto: 24 Stun­den Ambu­lanz – Wer machts? Wer zahlts? Wer brauchts?

Nach 25 Jah­ren Tätig­keit als Spi­tals­arzt – aktu­ell als Ober­arzt an der Not­auf­nahme EBA (Erst­ver­sor­gung, Beob­ach­tung, Auf­nahme) des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Graz – fal­len Eiko Meis­ter Beson­der­hei­ten immer gleich auf. So wer­den in der Not­auf­nahme schon seit län­ge­rem tags­über zwei Häu­fig­keits­gip­fel ver­zeich­net: der eine gegen 10h, 10.30h – da käme „die erste Welle von Pati­en­ten“ meist auf­grund einer Über­wei­sung oder durch Selbst­zu­wei­sung. Der zweite Gip­fel fällt in die Zeit zwi­schen 17h und 18h: Hier kämen eher jün­gere Men­schen, die im Berufs­le­ben ste­hen – vor­wie­gend mit Baga­tell­pro­ble­men wie Hus­ten, Schnup­fen und Hei­ser­keit. Diese hät­ten an sich in der zen­tra­len Not­auf­nahme, die „eigent­lich für kri­ti­sche Fälle gedacht ist“, wie Meis­ter betont, nichts zu suchen. Und trotz­dem: Beson­ders die zwi­schen 25- und 45-Jäh­ri­gen kom­men zu jeder Tages- und Nacht­zeit, neh­men War­te­zei­ten von sechs Stun­den oder auch mehr in Kauf – „und das alles, weil sie wis­sen: hier ist die Qua­li­tät hoch“, ana­ly­siert Meis­ter. Diese „one stop – one shop“-Mentalität der Selbst­zu­wei­ser ist in sei­nen Augen eines der größ­ten Probleme.

Und so ist es auch nicht wei­ter ver­wun­der­lich, wenn – seit Beginn der Influ­en­za­welle vor Weih­nach­ten – täg­lich unver­än­dert bis zu 130 inter­nis­ti­sche Auf­nah­men an der Not­auf­nahme regis­triert wer­den. Zu „nor­ma­len“ Zei­ten seien es rund 80 Auf­nah­men pro Tag. „Dar­un­ter kom­men wir schon gar nicht mehr.“ Ähn­lich sei die Situa­tion an der zwei­ten Not­auf­nahme in Graz im LKH West. In den Augen von Meis­ter han­delt es sich dabei um ein „gene­rel­les Phä­no­men“: Alle kran­ken Men­schen kom­men in die Notaufnahme.

Kon­krete Erfah­run­gen mit dem Ärz­te­man­gel macht auch die Not­auf­nahme haut­nah: Seit zwei Jah­ren wer­den „ver­zwei­felt“ (Meis­ter) Fach­ärzte gesucht. Aber: „Wir fin­den sie nicht.“ Sobald die­je­ni­gen, die sich über­haupt noch für eine Tätig­keit als Spi­tals­arzt inter­es­sie­ren, erfah­ren, dass sie täg­lich rund 100 Pati­en­ten in der Not­auf­nahme betreuen sol­len, blei­ben sie nicht lange hier – oder sie fan­gen erst gar nicht an, dort zu arbei­ten. „Die Ambu­lanz als Arbeits­platz ist offen­sicht­lich unat­trak­tiv“, so die Ana­lyse nach vie­len Jah­ren Erfah­rung – auch weil man die Men­schen immer nur kurz, quasi „flash­ar­tig“ sehe. Was Meis­ter aus Erfah­rung weiß: „Für diese Tätig­keit braucht es einen ganz spe­zi­el­len Typus Mensch, einen, der boden­stän­dig und – viel­leicht noch wich­ti­ger – uner­schüt­ter­lich ist.“

Die Tätig­keit im Spi­tal müsse ins­ge­samt attrak­ti­ver wer­den, for­dert Meis­ter und nennt hier etwa von den Trä­gern finan­zi­ell unter­stützte Fort­bil­dun­gen. Um wie­der mehr Ärzte für die eigent­lich ärzt­li­che Tätig­keit gewin­nen zu kön­nen, brau­che es aber auch Zufrie­den­heit mit und in der Arbeit; dafür seien gewisse orga­ni­sa­to­ri­sche und struk­tu­relle Rah­men­be­din­gun­gen erfor­der­lich – etwa so „banale Dinge“ wie ein aus­rei­chend gro­ßes Dienst­zim­mer. „Die Trä­ger müs­sen das rasch begrei­fen und han­deln, ehe es zu spät ist.“

Rück­bli­ckend auf ein Vier­tel-Jahr­hun­dert Tätig­keit als Spi­tals­arzt resü­miert Meis­ter, dass es sich „schon dra­ma­tisch geän­dert hat“. Die Medi­zin sei zu einem gewis­sen Grad rauer gewor­den. Und trotz­dem sei er immer noch gerne Spitalsarzt …

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2017