Dis­kus­sion über Pri­mär­ver­sor­gung: Rege­lung ist „ent­behr­lich“

10.06.2017 | Politik

Für eine funk­tio­nie­rende Zusam­men­ar­beit der Gesund­heits­be­rufe braucht es kein Gesetz – das war der Grund­te­nor der Teil­neh­mer einer Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung der „Weis(s)en Wirt­schaft“ Mitte Mai in Wien. Auch gibt es mas­sive Zwei­fel, dass die Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich mit der vor­lie­gen­den geplan­ten Über­re­gu­lie­rung bes­ser wird.
Von Agnes M. Mühlgassner

Wieso schon seit den 1970er Jah­ren über Pri­mary Health Care dis­ku­tiert wird? Kath­ryn Hoff­mann, Pro­fes­so­rin für All­ge­mein- und Fami­li­en­me­di­zin an der Med­Uni Wien, weiß es: Man erwar­tet sich davon eine bes­sere Gesund­heit der Bevöl­ke­rung, weni­ger unnö­tige Kran­ken­haus­auf­ent­halte – etwa bei Asthma, COPD und Dia­be­tes mel­li­tus – und auch ein lang­sa­me­res Wachs­tum der Gesundheitsausgaben.

Wieso Öster­reich in diver­sen Beur­tei­lun­gen ein „schwa­ches Pri­mär­ver­sor­gungs­sys­tem“ attes­tiert wird, heißt ihren Aus­sa­gen zufolge dem­nach nicht, dass „die Pro­fes­sio­nis­ten schlecht arbei­ten, son­dern dass die Rah­men­be­din­gun­gen geän­dert wer­den müs­sen“. Ein Grund für das schlechte Abschnei­den Öster­reichs in diver­sen Ran­kings sind die Öff­nungs­zei­ten der All­ge­mein­me­di­zi­ner. Und trotz­dem: „Es ist wich­tig und wert­voll, dass die Pati­en­ten eine Ansprech­per­son, einen Haus­arzt haben“, betonte Hoff­mann in ihrer Keynote.

Gesetz bringt keine Ver­bes­se­rung

In der anschlie­ßen­den Podi­ums­dis­kus­sion zeigte sich rasch, dass sich die Teil­neh­mer dies­be­züg­lich vom vor­lie­gen­den Gesetz zur Pri­mär­ver­sor­gung keine wirk­li­che Ver­bes­se­rung erwar­ten. Mar­tin Gleits­mann etwa, Lei­ter der Abtei­lung Sozi­al­po­li­tik und Gesund­heit der Wirt­schafts­kam­mer, sagte, er sei „skep­tisch, ob mit einem PHC-Gesetz die vie­len Ziele, die ein funk­tio­nie­ren­des Pri­mär­ver­sor­gungs­sys­tem hat, tat­säch­lich erreicht wer­den kön­nen“. Man komme dem Ziel nicht näher, wenn ein Gesetz geschaf­fen werde, das uns „nicht wei­ter­hilft“. Gleits­mann befür­wor­tet auch die Grund­in­ten­tion von mul­ti­pro­fes­sio­nel­len, mul­ti­dis­zi­pli­nä­ren Teams, bezwei­felt aber, ob sie mit­hilfe eines Geset­zes rea­li­siert wer­den kön­nen und: ob es dafür ein Gesetz braucht.

Ganz klar posi­tio­niert sich Julian Had­schieff, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Premi- QaMed Hol­ding. „Für eine funk­tio­nie­rende Zusam­men­ar­beit braucht es kein Gesetz“, ist er über­zeugt. Wieso das Inter­esse am Beruf des Haus­arz­tes so gering ist – laut einer Umfrage der JAMÖ (Junge All­ge­mein­me­di­zin Öster­reich) wol­len nicht ein­mal fünf Pro­zent der Stu­den­ten All­ge­mein­me­di­zi­ner wer­den – liegt für ihn auf der Hand: Ein Instal­la­teur bekommt durch­schnitt­lich 102 Euro pro Stunde, ein Arzt pro Quar­tal 18,74. „Wer sich fragt, warum der Haus­arzt nicht attrak­tiv ist – das erle­digt sich von selbst.“

Den vor­lie­gen­den Geset­zes­ent­wurf hält Johan­nes Zahrl, Kam­mer­amts­di­rek­tor der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer, für „denk­bar unge­eig­net“. Zahrl spricht sich dezi­diert für Pri­mär­ver­sor­gung und eine Stär­kung der­sel­ben aus – aller­dings nicht in der Form, wie sie nun geplant sei. Denn: „Die­ses Gesetz ist Diri­gis­mus.“ Und wei­ter: „Die ÖÄK ist für Pri­mär­ver­sor­gung. Ich glaube nicht, dass es mit die­sem Gesetz gelin­gen wird, son­dern dass man es in Wirk­lich­keit gesamt­ver­trag­lich regeln kann.“

Dem schließt sich auch Eiko Meis­ter, Ober­arzt an der Not­auf­nahme des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Graz, an. Er kri­ti­siert vor allem den „völ­lig unge­zü­gel­ten Zugang“ zur „exzel­len­ten medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung in Öster­reich“. Wobei ihn beson­ders stört, dass die Gene­ra­tion der zwi­schen 20- und 35-Jäh­ri­gen „zu jeder Tages- und Nacht­zeit alles im Spi­tal kon­su­miert“. Stei­ri­sche Fach­ärzte hat­ten in Tages­zei­tun­gen mit Inse­ra­ten dar­über infor­miert, dass die Ordi­na­tio­nen auch am Sams­tag-Vor­mit­tag geöff­net sind. Ergeb­nis: Die Inan­spruch­nahme war gleich null. Meis­ter ortet hier ein Infor­ma­ti­ons­de­fi­zit. Denn Initia­ti­ven wie jene der Fach­ärzte zeig­ten, dass es sehr wohl andere Mög­lich­kei­ten gäbe für eine opti­mierte Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich als via Gesetz.

Im Gesund­heits­be­reich werde die mensch­li­che Zuwen­dung immer das Ent­schei­dende sein, sagte Had­schieff abschlie­ßend. Des­we­gen werde man eine Abgel­tung der Gesprächs­me­di­zin brau­chen – auch im Sozi­al­ver­si­che­rungs­be­reich. Wovon er außer­dem über­zeugt ist: „Ich glaube nicht, dass uns die Über­re­gu­lie­rung hilft.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2017