Pharma: Arzneimittelpreise im Visier

25.04.2017 | Politik

Per Gesetz werden jetzt in Österreich die Kassenpreise auch für kostenaufwendige Medikamente geregelt, die nicht im Erstattungskodex aufgenommen sind. Das haben SPÖ, ÖVP und Grüne ohne Begutachtung und Behandlung der geplanten gesetzlichen Regelung im parlamentarischen Gesundheitsausschuss beschlossen. Von Wolfgang Wagner

Der Hintergrund: Immer mehr innovative, hoch wirksame Arzneimittel machen Krankheiten, bei denen noch vor wenigen Jahren therapeutischer Nihilismus bestand, besser oder überhaupt erst behandelbar. Die Entwicklung ist segensreich für die Patienten. „Das muss auch seinen Preis haben“, sagt die Pharmaindustrie dazu. „Es handelt sich um Fantasiepreise“, heißt es bei den Zahlern – selbst in den reichsten Staaten der Erde.

2015 gaben die österreichischen Krankenkassen 3,35 Milliarden Euro (19,6 Prozent ihrer Ausgaben) für auf Kassenrezept verschriebene Medikamente aus. In diesem Bruttobetrag sind allerdings Mehrwertsteuer und die Rezeptgebühren enthalten, wird dazu von der Pharmaindustrie angemerkt. Bei den Apotheken erhöhten sich diese Leistungen von 2015 auf 2016 jedenfalls um nominell 2,65 Prozent, für den gesamten Kassenbereich waren es plus 2,9 Prozent. Insgesamt erscheint damit die Entwicklung der Arzneimittelausgaben weitgehend eingebremst. Dazu ÖVPGesundheitssprecher Erwin Rasinger: „Ende der 1990er-Jahre gab es Steigerungsraten von bis zu 13 Prozent. Um die Jahrtausendwende waren es um die acht Prozent. Für das heurige Jahr wird mit plus drei Prozent (nominell; Anm.) gerechnet.“ Langfristig wolle man garantiert sehen, dass die Ausgaben nicht schneller wachsen als die Beitragseinnahmen.

Mit neuen, innovativen und hochpreisigen Arzneimitteln ist aber bereits in den vergangenen Jahren eine heftige Debatte hochgekocht. Die aktuelle Diskussion, die nunmehr zu der gesetzlichen Regelung führte, hatte einen Ursprung im geltenden Rahmen-Pharmavertrag. Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Verbandes der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), und der Generaldirektor des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Josef Probst, erklärten übereinstimmend, dass an sich bereits im vergangenen Jahr auf eine Anpassung des Erstattungskodex-Systems (EKO) mit den Boxen-Regelungen (rote Box, gelbe Box in zwei Varianten, grüne Box, No Box) für die Verschreibbarkeit von Arzneimitteln eine Verständigung angestanden wäre. Eine Erledigung war für Ende Juni 2016 geplant gewesen. Diese Frist ist allerdings ohne Einigung verstrichen.

Von diesem Punkt an aber schieden sich die sprichwörtlichen „Geister“. Geschnürt werden sollte nämlich ein Gesamtpaket, das mehreren Anliegen vieler Beteiligten dienlich sein sollte – von international tätigen forschenden Pharmakonzernen, Biosimilar-Entwicklern und Biosimilar-Produzenten bis hin zu österreichischen Generikaherstellern und natürlich den Krankenkassen als Zahlern:

  • Anpassung der Regeln für die Preisreduktionen beim Markteintritt von Generika;
  • Schaffung eines „Preisbandes“ von 30 Prozent für Generika (betrifft nur Grüne Box);
  • Etablierung einer Regelung für die Preisgestaltung von Biosimilars;
  • Schaffung eines Systems der Preispolitik bestimmung für Medikamente, die besonders kostenintensiv sind (über 750.000 Euro jährlich Umsatz- Fabriksabgabepreis allein mit den Krankenkassen) und sich außerhalb des EKO befinden. Damit gibt es für sie keine Evaluation wie bei Aufnahme in das Boxen-System. Die gesetzlichen Regelungen (u.a. Preisfeststellung durch die Preiskommission) konnten bisher nicht angewendet werden.
  • Regelung zur Evaluierung des EU-Durchschnittspreises

Die ersten drei Punkte konnten mittlerweile in den Verhandlungen de facto abgehakt werden: Bei Generika wird in Zukunft für das erste Präparat ein Abschlag von 50 Prozent (bisher minus 48 Prozent) gelten, für das zweite Generikum dann noch einmal minus 18 Prozent (bisher minus 15 Prozent) und für das dritte weitere minus 15 Prozent (bisher minus zehn Prozent). Das bedeutet eine Erhöhung des möglichen Gesamtabschlages von 60 auf 65 Prozent. „Darüber konnte Verständigung hergestellt werden“, sagte Pharmig-Generalsekretär Huber.

Die Biosimilar-Regelung war ebenfalls kein Problem mehr: Minus 38 Prozent Preis für das erste derartige Präparat im Vergleich zum Originalprodukt (das mit Markteintritt des ersten Biosimilars ebenfalls um 30 Prozent billiger würde), noch einmal minus 15 und danach weitere minus zehn Prozent für die „zweite“ beziehungsweise „dritte Welle“ der Biosimilars. „Das war alles Wunsch der Pharmaindustrie“, sagte Hauptverbands-Generaldirektor Probst. Bei der Pharmig erklärte man dazu, dass jeglicher Preisabschlag naturgemäß immer zum Vorteil des Käufers, nicht des Anbieters sei. Man habe eben einen Kompromiss erzielt.

Die Pharmaindustrie hat in Sachen der nur mit einem erheblichen Zeitund Finanzaufwand zu entwickelnden Nachbau-Biologicals (Industrie: durchschnittlich 200 Millionen Euro pro Präparat) auch in Österreich in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass sie für diese Arzneimittel bei der Preisgestaltung eine andere Regelung als jene für die „synthetischen“ Generika benötige. Sonst würde sich ein Markteintritt nicht rechnen und dem österreichischen Gesundheitssystem gingen damit Einsparungsmöglichkeiten verloren. Laut Pharmig sind bereits einige Biosimilars in Österreich nicht auf den Markt gekommen, weil bisher eine akzeptable Preisregelung gefehlt habe.

Ein Knackpunkt: No Box

So verblieb schließlich der vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger in die Verhandlungen eingebrachte einzige Hauptpunkt der „Hochpreiser“ außerhalb des Erstattungskodex. „Im Jahr 2005 entfielen 2,2 Prozent der Gesamtkosten für Arzneispezialitäten auf solche in der No Box. Im Jahr 2016 waren es 10,4 Prozent“, hieß es dazu aus dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger.

Während normalerweise bei Antrag auf Aufnahme in den EKO der Kassenpreis für Arzneimittel den von der Preiskommission festgestellten EUDurchschnittspreis nicht übersteigen darf, fallen die sogenannten No Box-Präparate hier gänzlich aus dem System. Sämtliche bestehende Preisregelungen, die durch das Gesetz vorgegeben sind, greifen nicht, wenn die Hersteller gar keinen Antrag auf Aufnahme in den EKO stellen oder der Antrag vom Hauptverband abgelehnt werden, wenn man sich nicht auf einen Preis einigen konnte. Im Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist man der Meinung, dass Pharmakonzerne durch Vermeiden eines Antrags auf EKO-Aufnahme die sonst geltenden Preisbestimmungsmechanismen bewusst umgehen würden.

0,4% Verordnungen = 29% Gesamtausgaben

In den meisten Fällen handelt es sich bei diesen Arzneimitteln, welche nur noch via Chefarztbewilligung auf Kassenkosten verschreibbar sein können, um „Hochpreiser“. „Wir haben uns daher einmal auf jene Arzneimittel konzentriert, die pro Packung mehr als 700 Euro kosten“, hieß es dazu im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Die entsprechende Statistik: 2009 haben die Ausgaben für diese Medikamente 350 Millionen Euro ausgemacht. „2015 waren es bereits 838 Millionen Euro. 0,4 Prozent der Verordnungen verursachten 29 Prozent der Gesamtausgaben für Medikamente“, lautete dazu ein Kommentar gegenüber der ÖÄZ.

Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber verwies auf die unbestritten hohen Beiträge, welche die Pharmaindustrie im Rahmen ihres „Solidarbeitrags“ vergangenes Jahr geleistet hat und weiterhin leistet: „Das waren 125 Millionen Euro für die Krankenversicherungsträger im Jahr 2016.“ Hinzu kommen pro Prozentpunkt Ausgabensteigerung bei den Medikamenten für die Krankenkassen noch einmal rund zehn Millionen Euro für die Jahre 2017 und 2018. Hier gibt es eine Deckelung bei 82 Millionen Euro jährlich.

Die Forderung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger: Ausdehnung der EU-Durchschnittspreisregelung auf die No Box-Präparate. Stellt ein Pharmaunternehmen keinen Antrag auf Aufnahme in den EKO, kann es ja bisher einfach zu dem von ihm festgelegten Preis anbieten. Deshalb forderte der Hauptverband für die No Box-Präparate auch einen Abschlag von fünf Prozent vom EU-Durchschnittspreis.

Das ließ die Wogen hochgehen – vor allem aber der Entwurf für einen Initiativantrag der Regierungsparteien im Parlament mit Fixierung dieser Regelung per Gesetz. „Wir sehen den Fünf-Prozent-Abschlag als Anreiz für die Pharmaindustrie, einen Antrag auf Aufnahme in den EKO zu stellen“, hieß es dazu im Hauptverband der Sozialversicherungsträger.

Pharmig-Generalsekretär Huber sieht das gänzlich anders: Wenn man schon allein den sogenannten EU-Durchschnittspreis betrachtet, ist die Frage, wie das mit den Kaufkraftunterschieden in der EU zusammengehe: „Wir sind das viertreichste EU-Land und bei den Medikamenten gehen wir dann unter den EUSchnitt? Bei einem solchen weiteren Strafabschlag können wir nicht mit.“

Die Verhandlungen im Parlament wurden zu einem Krimi. Schließlich einigten sich SPÖ und ÖVP. Mit einem prozedualen Manöver wurde am 30. März 2017 die angepeilte gesetzliche Regelung zu abendlicher Stunde ohne Begutachtung und Behandlung im Gesundheitsausschuss direkt ins Plenum des Parlaments gehievt – und beschlossen.

EU-Durchnittspreise auch für „Hochpreisige“
 
Fazit: Der zunächst geplante Preisabschlag für die nicht für den EKO angemeldeten Arzneimittel entfiel. Gleichzeitig wurde die EU-Durchschnittspreis- Regelung bei Aufnahme von Arzneimitteln in die Kassenerstattung auch auf die „Hochpreiser“ ausgedehnt. In regelmäßigen Abständen (nach 18, 24 und eventuell noch einmal nach weiteren 18 Monaten) soll überprüft werden, ob das jeweilige Produkt weiterhin im EUDurchschnitt liegt. Auf der anderen Seite soll es bis 1. Oktober 2020 in der grünen Box (Originale und Generika) keine Streichungen von Arzneimitteln aus dem Erstattungskodex geben, solange sie sich im Generika-Preisband (bis zu 30 Prozent über dem kostengünstigsten Vergleichsprodukt) befinden.

SPÖ-Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger und ÖVP-Gesundheitssprecher Rasinger äußerten sich nach dem Gesetzesbeschluss, der von den Grünen mitgetragen wurde, zufrieden. Die Pharmig reagierte bestürzt. Man gefährde die Arzneimittelversorgung in Österreich bei innovativen Medikamenten. Der Fachverband der Chemischen Industrie äußerte auch verfassungsrechtliche Bedenken. Dazu gibt es dem Vernehmen nach auch ein juristisches Gutachten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2017