Künftige medizinische Versorgung: Oberstes Ziel: wohnortnah

10.09.2017 | Politik

Der SPÖ-Gesundheitssprecher in der zu Ende gehenden Legislaturperiode, Erwin Spindelberger*, will in den kommenden Jahren die begonnene Gesundheitsreform umgesetzt sehen. Von Wolfgang Wagner

Spindelberger kandidiert – wie bereits 2012 angekündigt – nicht mehr für den Nationalrat – ebenso wie der bisherige VP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger. Spindelberger betonte, dass es im Gesundheitswesen weniger um Ideologie als um Sachthemen gehe, bei denen man alle Beteiligtenzu Gesprächen einladen müsse.

„Wir brauchen vor allem in ländlichen Regionen eine bessere medizinischeund medikamentöse Versorgung. Wir wollen die Leistungen zu den Patienten bringen. Sie müssen im Mittelpunktstehen“, sagte der obersteirische Politiker, ehemals auch Obmann der steirischen Gebietskrankenkasse.

Besonders dabei müssen mehr Anstrengungen unternommen werden. „Laut den Schätzungen werden in den nächsten sieben oder acht Jahren mehr als 60 Prozent der Hausärzte wahrscheinlich in Pension gehen. Das kann ein Riesenproblem werden. Und dann schrillen bei mir die Alarmglocken, wenn die Zahl der Wahlärzte in den vergangenen Jahren um 20 Prozent gestiegen ist. Wir müssen also die Arbeit für den Kassen-Hausarzt attraktiver machen. Da brauchen wir auch die Bundesländer und die Sozialversicherungsträger mit dabei“, sagte Spindelberger.

Der SP-Gesundheitssprecher und stellvertretende Klubobmann seiner Partei im Parlament sieht ein Manko, das auch nach den jüngsten Gesetzesbeschlüssen (Primary Health Care-Zentren etc.) weiter bestehe: „Die Anstellung von Ärzten bei Ärzten zu fairen Bedingungen muss endlich möglich werden. Und die Ärzte müssen von den Vertragspartnern, sprich Sozialversicherungsträgern, auch als Partner behandelt werden“, betonte Spindelberger. Man müsse aber auch der Situation Rechnung tragen, dass längst nicht mehr alle fertig ausgebildeten Ärzte das Risiko einer eigenen Ordination auf sich nehmen wollen. Auch für viele Ärztinnen, die mit dem Beruf ihr Familienleben vereinbaren wollten, seien neue Formen der ärztlichen Tätigkeit inklusive der Möglichkeit einer Anstellung im niedergelassenen Bereich notwendig.

Für die nächsten Jahre werde auch der Ausbau der fachärztlichen Versorgung auf dem Land wichtig, betonte Spindelberger. „Wir haben am Land kaum niedergelassene Fachärzte.Und jene, die es gibt, arbeiten zumeist in Einzelpraxen. Da müssen diePatienten oft 20 oder 30 Kilometer weit zu einem Facharzt fahren – und zu einem anderen Facharzt wieder so weit“, sagte der SP-Gesundheitssprecher. Wolle man Spitäler und Ambulanzen entlasten, müsse man Facharztstrukturen unter einem Dach schaffen. Denn zur Zeit gibt es wenig Vernetzung und kaum interdisziplinäre Zusammenarbeitsformen zwischen den Fachrichtungen und Gesundheitsberufen, wenn man zum Beispiel nur an die Schmerzversorgung denke. Die Wege zur Abklärung von Beschwerden sind oft lang, die Qualität und Effektivität der Behandlung leide.

Spindelberger forderte aber auch größere Flexibilität bei der Besetzung von Kassenstellen. Da müsse man auf die Veränderungen in Zuzugsregionen beziehungsweise in Regionen mit starker Abwanderung schneller reagieren können. Auch sollten beispielsweise in Pflegeeinrichtungen und Altersheimen Arbeitsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte geschaffen werden. „Wenn ein Patientweiterhin seinen Hausarzt haben will, muss das aufgrund der freien Arztwahl natürlich möglich sein. Aber sonst könnte man einen Arzt mit geriatrischer Ausbildung unter Vertrag nehmen, um die Versorgung in solchen Einrichtungen wesentlich zu verbessern“, sagte Spindelberger. Einmal wöchentliche „Alibi- Hausbesuche“, wie sie zur Zeit an der Tagesordnung sind, seien keine optimale Lösung.

Schließlich sollte es auch bei Kassenleistungen und Kassentarifen eine Reform geben. „Kein Versicherter versteht die von Krankenversicherungsträger zu Krankenversicherungsträger unterschiedlichen Leistungen. Und bei den Arzthonoraren würde ich mir lieber ein Pauschalsystem statt der ‘tausend Einzelpositionen’ wünschen. Dann hat der Arzt auch wieder mehr Zeit für den einzelnen Patienten.“

Noch ein Punkt: die Lehrpraxis. Spindelberger ist vehement für deren flächendeckende Einführung: „Ich habe mit Jungärzten gesprochen. Da hieß es auch, man hätte beim Gang in die niedergelassene Praxis Angst, zu versagen. DieLehrpraxis würde hier viel helfen. Da kann ein erfahrener Hausarzt den Jungarzt an der Hand nehmen und ihm zeigen, wie man vorgeht.“

*) Auf die Interview-Anfrage im Büro von Gesundheitsministerin Rendi-Wagner wurden wir auf Erwin Spindelberger als Ansprechpartner verwiesen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2017