Im Gespräch – Sabine Lad­stät­ter: „Kli­ma­wan­del hat uni­ver­selle Dimension“

25.05.2017 | Politik

Im ÖÄZ-Gespräch wür­digt die inter­na­tio­nal aner­kannte Archäo­lo­gin Sabine Lad­stät­ter, Gra­bungs­lei­te­rin in Ephe­sos, den hohen Stan­dard der Dia­gnos­tik und Medi­zi­ner-Aus­bil­dung in Öster­reich. Der Kli­ma­wan­del und der Umgang mit dem Pla­ne­ten Erde stim­men sie bedenk­lich: Die antike Metro­pole Ephe­sos ver­san­dete wegen Raub­baues an der Res­source Wald. Das Gespräch führte Claus Reitan.

ÖÄZ: Was zeigt Ihr Blick auf unsere Gegen­wart? Wan­del, Öko­no­mi­sie­rung, Beschleu­ni­gung?
Lad­stät­ter: Meine zahl­rei­chen Enga­ge­ments im Aus­land, ins­be­son­dere im Nahen Osten, bestä­ti­gen eines: Wir haben zu Recht gelernt, in Öster­reich mit den Errun­gen­schaf­ten und der Zivi­li­sa­tion extrem zufrie­den zu sein. Auch hin­sicht­lich der Offen­heit, der Auf­stiegs- und der Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten. Natür­lich ließe sich eini­ges opti­mie­ren, aber unter die­sen Gesichts­punk­ten ist mir – salopp aus­ge­drückt – etwas zu viel an Jam­me­rei in unse­rem Land, zu viel an nega­ti­ver Sicht.

Was prägt die Zeit­läufe, die Zeit­um­stände?
Viele Leute haben der­zeit Angst. Das ist ein dif­fu­ses Gefühl und vie­len nicht bewusst. Sie kön­nen nicht genau fest­ma­chen, wes­we­gen sie ängst­lich sind. Im Hin­ter­grund besteht wohl die Sorge, mit Ent­wick­lun­gen nicht mehr mit­hal­ten und dem Druck nicht mehr stand­hal­ten zu kön­nen. Ob die­ser Druck tat­säch­lich besteht, ist eine andere Frage.

Wovor hät­ten Sie Angst?
Vor dem Kli­ma­wan­del. Das ist das ein­zige, wovor ich Angst habe. Das ist hin­sicht­lich der Zukunft meine größte Sorge. Viele Ent­wick­lun­gen haben mit dem Kli­ma­wan­del zu tun, jene der Demo­gra­fie ebenso wie jene der Migra­tion. Es erge­ben sich Ver­än­de­run­gen in den Land­schaf­ten, zudem wer­den die Res­sour­cen knapp. Inner­halb mei­ner Lebens­spanne wird das nicht dra­ma­tisch wer­den, aber wir müs­sen in Gene­ra­tio­nen denken.

Warum ist es so schwie­rig, den Kli­ma­wan­del mit sei­nen Fol­gen deut­lich zu machen?
Weil er nicht so ein­fach zu erken­nen ist. Ein anschau­li­ches Bei­spiel für die lang­fris­ti­gen Fol­gen mensch­li­cher Ein­griffe ist hin­ge­gen die Geschichte der Stadt Ephe­sos in der West­tür­kei, wo ich – der­zeit unter­bro­chen – Aus­gra­bun­gen leite. Im zwei­ten Jahr­hun­dert vor Christi Geburt erlebte Ephe­sos eine Zeit enor­men wirt­schaft­li­chen Auf­schwungs. Die Wäl­der wur­den groß­flä­chig abge­holzt, etwa für den Bau von Schif­fen und Wohn­stät­ten. Rund 600 Jahre spä­ter stirbt diese Stadt. Sie wurde ver­schüt­tet durch Sedi­mente und Abla­ge­run­gen. Der Mensch musste diese Sied­lungs­kam­mer ver­las­sen. Nie­mand konnte im 2. Jahr­hun­dert v. Chr. damit rech­nen, dass Abhol­zung zu einer Ero­sion führt, die der Stadt die Lebens­adern abschnei­det. Sie lag anfäng­lich an der Küste, dann wegen der Schwemm­ke­gel einige Kilo­me­ter landeinwärts.

Wird sich die Natur vom Men­schen erho­len?
Sie wird sich vom Men­schen erho­len – aber dann wird der Mensch nicht mehr da sein. Erho­lung ist mit uns nicht mög­lich. Ob es eine Co-Exis­tenz gibt, ist gegen­wär­tig die Frage. Wir sehen heute die neue Pro­ble­ma­tik der Per­sis­tenz, also des dau­er­haf­ten Bestehens eini­ger Stoffe. Die Antike hin­ge­gen war eine Recy­cling-Gesell­schaft. Es ist ent­we­der alles ver­rot­tet oder gesam­melt und wie­der ver­wer­tet wor­den – etwa Glas, Stein und Eisen. Übrig geblie­ben sind die Scher­ben aus Kera­mik, mit denen jeder­mann die Archäo­lo­gie verbindet.

Ephe­sos ist seit 2015 in der UNESCO-Liste des Welt­kul­tur­er­bes,
doch Ihre archäo­lo­gi­sche Tätig­keit dort ist unter­bro­chen.

Wie die öster­rei­chi­schen Akti­vi­tä­ten bei NATO und OSZE unter­lie­gen auch die archäo­lo­gi­schen For­schun­gen der Blo­ckade durch das Außen­mi­nis­te­rium der Tür­kei. Im vori­gen Jahr kam es zum Putsch­ver­such, dann zu Span­nun­gen zwi­schen Öster­reich und der Tür­kei, am 31. August 2016 muss­ten wir abrei­sen. Trotz einer her­vor­ra­gen­den Zusam­men­ar­beit mit den tür­ki­schen Behör­den, trotz bes­ten Ein­ver­neh­mens. Das ist Außen­po­li­tik. Wir hof­fen, dass die Wis­sen­schaft von der Tages­po­li­tik getrennt und die Zusam­men­ar­beit fort­ge­setzt wer­den kann. Dass sich also die Ver­nunft durch­setzt. Wis­sen­schaft agiert inter­na­tio­nal. Wie immer man zu den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen der EU mit der Tür­kei steht, aber das erste abge­schlos­sene Kapi­tel ist Wis­sen­schaft. Wesent­lich ist für mich die seriöse wis­sen­schaft­li­che Arbeit, unab­hän­gig von poli­ti­schen oder reli­giö­sen Einstellungen.

Poli­tik erliegt gele­gent­lich der Ver­su­chung, Geschichte für sich zu ver­ein­nah­men.
In der 200-jäh­ri­gen For­schungs­ge­schichte haben sich Grup­pie­run­gen wie­der­holt der Archäo­lo­gie bedient. Diese ist an den Boden gebun­den und kann ver­or­tet wer­den. Dar­aus ent­ste­hen die Ver­su­che, sie einem Natio­na­lis­mus zu unter­wer­fen. Doch Welt­kul­tur­erbe gehört jedem, selbst wenn das schwie­rig zu erklä­ren ist.

Und es wird, wie Pal­myra zeigt, quer durch die Geschichte öfters in Schutt und Asche gelegt.

Diese Zer­stö­run­gen von Kul­tur­gut etwa in Syrien sind so wie jene im Irak ein Aus­druck von gene­rel­ler Bar­ba­rei. Das eine hat mit dem ande­ren zu tun. Mensch­li­ches Leid und kul­tu­rel­les Leid gehen Hand in Hand. Das zeigt zugleich, wie bedeut­sam Kul­tur für Zivi­li­sa­tion ist. Was wol­len denn jene Kämp­fer, die Kul­tur­gü­ter zer­stö­ren? Sie ver­su­chen, die Iden­ti­tät der loka­len Bevöl­ke­rung aus­zu­lö­schen. Gerade die Syrer und die Tür­ken sind stolz auf ihre Kul­tur, ihre antike und auch ihre vor-isla­mi­sche Kul­tur. Diese Kon­ti­nui­tät erlei­det durch Zer­stö­run­gen einen Bruch. Der andere Grund ist, mit der Plün­de­rung von Museen etwas Geld zu beschaf­fen. Darin liegt ein Punkt mei­ner Kri­tik am Wes­ten: Fän­den sich für die Kul­tur­gü­ter keine Käu­fer, gäbe es die Ver­käu­fer nicht.

Europa und die Tür­kei sind geo­gra­phisch ver­bun­den, doch die Tür­kei stößt hier­zu­lande – auch abseits der Poli­tik – auf Kri­tik und Ableh­nung. Gehört sie nicht zu Europa?
Europa ist ohne Ana­to­lien nicht denk­bar, alleine aus his­to­ri­schen Grün­den. Die Besie­de­lung Euro­pas erfolgte von dort aus. Die gegen­wär­tige Dis­kus­sion zur Tür­kei wird der Viel­falt des Lan­des jedoch nicht gerecht. Die Poli­tik der regie­ren­den AKP hat den Men­schen gerade in länd­li­chen Regio­nen viel an Fort­schritt und an Ver­bes­se­run­gen, etwa in der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung gebracht. Diese Fak­ten sind zu wenig bekannt.

Einige Beob­ach­ter ver­mei­nen, isla­misch geprägte Gesell­schaf­ten seien fun­da­men­ta­lis­ti­scher als christ­li­che und euro­päi­sche.
Mit der Auf­klä­rung hat Europa einen höhe­ren Gang ein­ge­legt und andere Regio­nen über­holt. Aber man­che Phä­no­mene würde ich nicht mit einer bestimm­ten Reli­gion ver­knüp­fen. Mit Blick auf die USA sehe ich bei den dor­ti­gen reak­tio­nä­ren christ­li­chen Krei­sen kei­nen Unter­schied zu reak­tio­nä­ren Mus­li­men – wohl wis­send, wer gegen­wär­tig den Ter­ror aus­übt. Ich war und bin – nach 22 Jah­ren Tätig­keit in der Tür­kei – umge­ben von abso­lut auf­ge­klär­ten Mus­li­men. Diese Gesell­schaft ist wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter, als es medial trans­por­tiert wird. Die inter­es­san­tes­ten poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen führte ich mit mus­li­mi­schen Freun­den. Sie ver­fü­gen wegen ihres Wider­spruchs zum Umfeld über Hart­nä­ckig­keit und argu­men­ta­tive Kraft. Die isla­mi­sche Welt befin­det sich in einer inten­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung. Aber wir dür­fen nicht davon aus­ge­hen, dass die ganze Welt nach unse­rem Gesell­schafts­mo­dell leben will. Die bei uns geführte Debatte etwa über das Kopf­tuch geht am Kern des Pro­blems vor­bei. Die­ses betrifft die Bil­dung, für die im Rah­men von Inte­gra­tion eine Offen­sive unter­nom­men wer­den sollte, was aller­dings finan­zi­elle Mit­tel erfordert.

Kurz und per­sön­lich gefragt: Was ist das Gesün­deste an Ihrem Leben?
Dass ich einen Beruf ergrif­fen habe, der mir wirk­lich Freude macht. Das ist das Gesün­deste. Das heilt mich, auch bei Tiefschlägen.

Ihre Ein­schät­zung des Gesund­heits­we­sens lau­tet?
Was ich sehr schätze, sind die her­vor­ra­gen­den Dia­gno­sen. Die Ärz­tin­nen und Ärzte sind sehr gut aus­ge­bil­det. In ande­ren Län­dern habe ich bemerkt, dass die Dia­gnos­tik nicht die­sen Stan­dard hat, doch diese ist das Um und Auf an der Sache. Und man sollte den all­ge­mei­nen Zugang zur Medi­zin in Öster­reich sehr schät­zen. Von ein­zel­nen nega­ti­ven Erfah­run­gen darf nicht auf das Sys­tem geschlos­sen werden.

Heilt die Zeit alle Wun­den?
Alles heilt, aber es blei­ben Nar­ben. Ver­let­zun­gen und bit­tere Erfah­run­gen las­sen sich im Laufe der Zeit abar­bei­ten. Den Putsch in der Tür­kei und die Umstände erlebte ich als trau­ma­tisch. Es lag ein enor­mer Druck auf uns, dann kam die Schlie­ßung der Arbei­ten in Ephe­sos im August. Über den Som­mer hin­weg, als sich dies ereig­nete, habe ich wenig bemerkt, aber ab Herbst wäh­rend einer Gast­pro­fes­sur in Paris mel­de­ten sich Kör­per und Geist. Ich brauchte einen Monat, das alles nach­träg­lich zu verarbeiten.

Zur Per­son

Priv. Doz. Mag. Dr. Sabine Lad­stät­ter ist seit 2009 Direk­to­rin des Öster­rei­chi­schen Archäo­lo­gi­schen Insti­tuts (ÖAI) und Gra­bungs­lei­te­rin in der anti­ken Metro­pole Ephe­sos. Sie habi­li­tierte an der kul­tur­his­to­ri­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Wien und hält eine venia legendi auf dem Gebiet der Klas­si­schen Archäo­lo­gie. Lad­stät­ter erhielt zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen, unter ande­ren jene für das beste popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Buch Öster­reichs (2014), und war 2011 Wis­sen­schaf­te­rin des Jah­res. Für 2019 ist eine Gast­pro­fes­sur an der Stan­ford Uni­ver­sity angesetzt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2017