Vom Orthopäden zum Hausarzt: „Mehr Lebensqualität“

25.05.2017 | Politik

Für den Orthopäden Holger Chromy war es eine schwere Entscheidung, an der Klinik zu bleiben oder Hausarzt zu werden. Dennoch hat er sich für eine Kassenstelle am Land entschieden – und empfindet dadurch ein „Plus an Lebensqualität und Flexibilität“. Von Marion Huber

Es war eine schwierige Entscheidung: sich entweder als Facharzt einen Namen zu machen und an der Klinik zu bleiben, oder Hausarzt zu werden“, erzählt Holger Chromy, während er am Schreibtisch in seiner Kassen- Ordination in einer kleinen niederösterreichischen Gemeinde sitzt. Dass er einmal Arzt wird, war für ihn aber schon früh klar: „Der Wunsch ist in der Mittelschule entstanden und ist durch Gespräche mit Ärzten aus dem Bekanntenkreis immer größer geworden.“ Auch die neuen Entwicklungen in der Medizin hat Chromy schon immer interessiert verfolgt. So hat er nach seiner Matura am Stiftsgymnasium in Melk begonnen, in Wien Medizin zu studieren. „Ich wollte mir immer ein umfassendes Wissen in allen Fachrichtungen aneignen, aber die medizintechnischen Aspekte der Orthopädie haben mich einfach besonders interessiert“, schildert er. Deshalb hat er nach seiner Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin in Wien und St. Pölten, auch noch die Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie in St. Pölten angeschlossen.

Heute ist Chromy 36 Jahre alt und hat sich nun dafür entschieden, eine Hausarztpraxis mit allen Kassen in Spitz an der Donau – einer kleinen Gemeinde in der Wachau – zu übernehmen. Der Ort mit gerade einmal 1.600 Einwohnern liegt an der Donau, ist von Weingärten umgeben, vor allem von Wein- und Obstbau geprägt und bei Touristen beliebt. Chromy ließ sich vor knapp einem Jahr dort nieder, obwohl es zurzeit in ländlichen Regionen immer schwieriger wird, Nachfolger für Kassenstellen zu finden. „Oft sind Kindereinrichtungen und Schulen zu weit entfernt; oft gibt es keinen Arbeitsplatz für den Partner oder es mangelt an der Infrastruktur“, weiß Chromy. Nicht zuletzt ist es häufig schwierig, eine Ordination in einer kleinen Gemeinde wirtschaftlich zu führen. Wie für viele andere Kassenstellen auf dem Land gab es auch für jene in Spitz an der Donau lange Zeit keine Bewerber. Als der langjährige Hausarzt im Sommer des Vorjahres in Pension ging, konnte Chromy schließlich doch dafür gewonnen werden, die Nachfolge anzutreten.

Viel Zeit für Patienten

Warum er sich für die Kassenstelle entschieden hat? „Für mich haben mehrere Argumente dafür gesprochen“, zählt er auf: „Zum Beispiel habe ich jetzt ausreichend Zeit für eine individuelle und persönliche Betreuung meiner Patienten.“ Und diese Zeit nimmt er sich auch; seine genaue, ruhige und besonnene Art wissen die Patienten zu schätzen. Manchmal danken sie es ihm sogar mit einer kleinen Aufmerksamkeit, die sie beim nächsten Arztbesuch mitbringen. „Es ist ein besonderes Glück zu sehen, dass ich Menschen begleiten und ihnen helfen kann.“ All das überwiege für ihn die wirtschaftlichen Aspekte. Auch dass es vonseiten der Gemeinde oft Unterstützung und Anreize für eine Niederlassung gibt, damit eine Kassenstelle doch besetzt werden kann, möchte er nicht unerwähnt lassen. Was für Chromy aber auch wichtig war: Er kann sein Wissen als Orthopäde auch in seinem Praxisalltag als Allgemeinmediziner gut einsetzen: „Die Menschen werden immer älter und der schmerzhafte Bewegungsapparat und konservativ orthopädische Therapien bekommen immer mehr Bedeutung.“

Apropos Arbeitsalltag: Wie war es, den Platz eines alteingesessenen Hausarztes in einer kleinen Gemeinde zu übernehmen? „Eine Praxisübernahme bedeutet für beide involvierten Ärzte – den übergebenden und den übernehmenden – immer einen großen Aufwand“, so Chromy. Man muss sich viele Fragen stellen: Welchen Wert hat die alte Praxis noch? Was passiert mit bestehenden Mitarbeitern? Wie kann man die Patienten auf eine Übernahme vorbereiten? Neben einem hohen Maß an Koordination und Organisation, hat Chromy besonders auf viel Kommunikation mit den Patienten gesetzt: „Nur mit ausreichend Planung und viel Fingerspitzengefühl kann man das Vertrauen der Patienten und Kollegen aufrechterhalten und eine Praxis erfolgreich weiterführen.“

Wie viele Patienten an einem Tag in seine Ordination kommen, ist natürlich unterschiedlich; Aber mit einer zweiund manchmal sogar dreistelligen Anzahl sei schon immer zu rechnen. Auch die täglichen Hausbesuche im Umkreis gehören für Chromy jetzt zum Alltag: „Da muss ich aber Prioritäten setzen. Wer gehfähig ist, muss zu uns in die Praxis kommen.“ Im Gegensatz zu seinem Vorgänger wohnt Chromy nicht direkt über seiner Ordination; sein Wohnort liegt rund 15 Minuten entfernt – weit genug, um sich von der Arbeit abzugrenzen und trotzdem auch nah genug, um schnell vor Ort zu sein. Wie Wochenend- und Feiertagsdienste organisiert werden, hat sich erst mit April dieses Jahres geändert: Auf Basis der bisherigen Sprengelstruktur sind Kassenärzte für Allgemeinmedizin in Niederösterreich nur noch für den Tagdienst von 7.00 bis 19.00 Uhr eingeteilt; die Versorgung in den Nachtstunden (19.00 bis 7.00 Uhr) an Feiertagen und Wochenenden wurde an die Struktur der bisherigen Wochentagsnachtbereitschaftsdienste (NÖ Ärztedienst) angeglichen.

Wirtschaftlich unabhängig, zeitlich flexibel

Nach knapp einem Jahr als neuer Hausarzt in Spitz an der Donau kann Chromy ein erstes Resümee über die Anfangszeit ziehen: „Natürlich hat jeder Arzt andere Vorstellungen von seinem Arbeitsalltag, aber für mich sprechen die Nähe zu den Menschen, die Abwechslung im Job, das Leben mit der Familie und die ländliche Umgebung für die Arbeit als Hausarzt.“ Er empfindet dadurch ein „Plus an Lebensqualität“, wie er sagt. „Ich arbeite wirtschaftlich unabhängig und bleibe dennoch zeitlich flexibel.“ Die selbstständige Organisation von Arbeitsabläufen erlaube ihm auch, Strukturschwächen des Systems in seinem Arbeitsalltag so gut es geht auszugleichen. So gesehen biete auch eine Kassenstelle in einer kleinen Gemeinde „eine attraktive Zukunftschance“, ist Chromy überzeugt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2017