Gesund­heits­re­form: Knack­punkt Primärversorgung

25.01.2017 | Politik

Das, was die Regie­rungs­par­teien als Gesund­heits­re­form bezeich­nen, wurde am 14. Dezem­ber des Vor­jah­res mit den Stim­men von Koali­tion und Grü­nen beschlos­sen. Auch wenn auf dem Ver­hand­lungs­weg und durch die von der ÖÄK initi­ierte Kam­pa­gne „Gesund­heit: weni­ger ist NICHT mehr“ eini­ges erreicht wer­den konnte, sind einige zen­trale Punkte nach wie vor unge­klärt. Dar­über hin­aus hat der Gesund­heits­aus­schuss zur Pri­mär­ver­sor­gung fest­ge­hal­ten, dass wesent­li­che Eck­punkte ein­zu­hal­ten sind. Von Agnes M. Mühlgassner

Im Dezem­ber hat der Natio­nal­rat mit den Stim­men von Koali­tion und Grü­nen die Art. 15a-Ver­ein­ba­run­gen sowie das Ver­ein­ba­rungs­um­set­zungs­ge­setz beschlos­sen. Die Ziele, die mit die­ser Gesund­heits­re­form ver­folgt wer­den, sind offen­sicht­lich: spa­ren und zen­tra­li­sie­ren. Auch ist eine wei­tere Aus­gren­zung der ÖÄK aus den Ent­schei­dungs­pro­zes­sen erfolgt.

Auf die Ver­schlech­te­run­gen in der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung, die sich durch diese Ver­än­de­rung abzeich­nen, hat die ÖÄK in den Wochen vor dem Par­la­ments­be­schluss im Rah­men einer groß ange­leg­ten Kam­pa­gne unter dem Motto „Gesund­heit: weni­ger ist NICHT mehr“ hin­ge­wie­sen. Damit und auch durch inten­sive Ver­hand­lun­gen ist es gelun­gen, einige Bedro­hun­gen abzu­wen­den und Klar­stel­lun­gen zu errei­chen. Und zwar:

  • Bei Zurück­le­gung der §2‑Kassen blei­ben die klei­nen Kas­sen erhal­ten. (Geplant war, bei der Zurück­le­gung des §2‑Kassenvertrages die Ver­träge mit den klei­nen Kas­sen wegzunehmen).
  • Der Wahl­arzt­kos­ten­rück­ersatz wird nicht gestrichen.
  • Keine Ein­schrän­kung der Neben­be­schäf­ti­gung. (Geplant war ein Nebenbeschäftigungsverbot).
  • Keine unmit­tel­bare Ver­la­ge­rung von Fach­ärz­ten in Krankenhäuser.

Offen sind fol­gende Punkte:

  • Fle­xi­bi­li­sie­rung der ärzt­li­chen Aus­bil­dung (inklu­sive Not­arzt­aus­bil­dung), wobei noch unbe­kannt ist, was das bedeu­ten soll;
  • Not­ärzte: Die Län­der wol­len eine Ände­rung der Dienst­neh­mer­ei­gen­schaft und damit ein Unter­lau­fen des KAAZG. (Not­ärzte sol­len aus den Stun­den­be­schrän­kun­gen des KA-AZG her­aus­ge­nom­men wer­den, indem man sie zu frei­be­ruf­lich selbst­stän­di­gen Unter­neh­mern machen will.)
  • KA-AZG: Die Län­der wol­len eine Auf­wei­chung der Bestimmungen. 

Wei­ter­hin auf­recht sind fol­gende Bedrohungen:

  • Ver­bind­lich­keit von ÖSG und RSG. (Der­zeit erfolgt die Stel­len­pla­nung zwi­schen Kasse und Kam­mer, wobei immer die Kam­mern Druck gemacht haben, dass eine aus­rei­chende Ver­sor­gung sicher­ge­stellt ist. Nun fällt die­ses Kor­rek­tiv weg; es wird als Ver­ord­nung festgelegt.)
  • Ver­pflich­tung der Ver­trags­part­ner, ÖSG/​RSG einzuhalten
  • Fra­gen der Pri­mär­ver­sor­gung sind nur in Grund­sät­zen ange­spro­chen. Dies soll nun in einem Gesetz gere­gelt wer­den. Dar­über muss es noch Ver­hand­lun­gen geben. Dazu gibt es auch eine Aus­schuss­fest­stel­lung des Gesundheitsausschusses.
  • Bedarfs­prü­fungs­ver­fah­ren für ambu­lante Kran­ken­an­stal­ten wer­den erleich­tert, wenn eine Ver­sor­gungs­not­wen­dig­keit im ÖSG/​RSG ent­hal­ten ist.
  • Ver­stär­kung der Kos­ten­dämp­fung im Gesundheitswesen
  • Die von der Poli­tik in Aus­sicht gestell­ten 200 Mil­lio­nen Euro für Pri­mär­ver­sor­gungs­ein­hei­ten stam­men aus dem aktu­el­len Hono­rar­vo­lu­men der Sozi­al­ver­si­che­rung. Es han­delt sich dabei nicht um zusätz­li­ches Geld.
  • Die öffent­li­che Hand ist nicht bereit, die Aus­bil­dung in der Lehr­pra­xis voll­stän­dig zu finanzieren.
  • KaKuG: Weg­fall von Stan­dard-Kran­ken­an­stal­ten in der Basis­ver­sor­gung; Mög­lich­keit, alle Stan­dard-Kran­ken­an­stal­ten wei­ter her­un­ter zu fah­ren; Bin­dung der Kran­ken­an­stal­ten­pla­nung an ÖSG-Zielvorstellungen
  • Bei ver­trags­lo­sem Zustand: Die Spi­tals­am­bu­lan­zen müs­sen die Ver­sor­gung des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs übernehmen.

Wenige Tage dar­auf befasste sich die Voll­ver­samm­lung der ÖÄK mit den Beschlüs­sen des Par­la­ments. Wie ÖÄK­Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger betonte, sei es „inak­zep­ta­bel“, dass die­ses Gesetz ohne Begut­ach­tung beschlos­sen wurde und kün­digte wei­tere Akti­vi­tä­ten an. Es sei auch wei­ter­hin dezi­dier­tes Ziel, die „finan­zi­elle Bede­ckung des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs zu stär­ken, die staat­li­che Ein­fluss­nahme zu redu­zie­ren und die starke Stimme der Ärz­te­schaft in die poli­ti­sche Dis­kus­sion einzubringen“.

Zum wei­te­ren Pro­ce­dere hat der Gesund­heits­aus­schuss eine Aus­schuss-Fest­stel­lung getrof­fen. Darin heißt es u.a., dass die „erfor­der­li­chen nähe­ren Umset­zungs­be­stim­mun­gen zur Pri­mär­ver­sor­gung“ dem Natio­nal­rat im ers­ten Halb­jahr 2017 zur Beschluss­fas­sung vor­zu­le­gen ist. Damit soll u.a. sicher­ge­stellt wer­den, dass etwa für die Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich bei der Ver­gabe von Kas­sen­ver­trä­gen zuerst nie­der­ge­las­sene Ver­trags­ärzte oder andere nie­der­ge­las­sene Ver­trags­part­ner ein­be­zo­gen wer­den; ebenso müs­sen Ambu­la­to­rien, an deren Errich­tung sich Inves­to­ren betei­li­gen, unter maß­geb­li­chem ärzt­li­chen Ein­fluss stehen.

Wech­sel­ber­ger sieht in der Aus­schuss-Fest­stel­lung eine „ein­ma­lige Chance, den ver­fah­re­nen Kar­ren noch ein­mal flott zu bekom­men“. Es sei all­ge­mein bekannt – nicht zuletzt auf­grund der Tat­sa­che, dass Kas­sen­stel­len von All­ge­mein­me­di­zi­nern und Fach­ärz­ten immer schwe­rer zu beset­zen sind –, dass die Pri­mär­ver­sor­gung gestärkt wer­den müsse. Ein ent­spre­chen­des Kon­zept – „Das Team rund um den Haus­arzt“, das die Bun­des-Ziel­steue­rungs­kom­mis­sion im Jahr 2014 beschlos­sen hat – liegt dafür vor, erin­nert Wech­sel­ber­ger. Und er for­dert einen Neu­start der Dis­kus­sion – unter Ein­bin­dung der Ärz­te­kam­mer. „Es ist an der Zeit, dass sich die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger zu einem kon­struk­ti­ven und nach­hal­ti­gen Dia­log mit den Ärz­ten bereit erklä­ren.“ Damit solle ver­hin­dert wer­den, dass Gesetze von ideo­lo­gisch moti­vier­ten Tech­no­kra­ten erstellt wer­den, die dann in der Rea­li­tät nicht umsetz­bar sind.

Wohn­ort­nah statt Staatsmedizin

Zuerst wird über die künf­tige Pri­mär­ver­sor­gung ver­han­delt, betont der Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte, Johan­nes Stein­hart. Er schließt aber wei­tere Pro­test­maß­nah­men nicht aus, falls der Staats­me­di­zin der Vor­rang gegen­über der wohn­ort­na­hen Ver­sor­gung gege­ben wird. Das Gespräch führte Agnes M. Mühlgassner.

Wel­ches Resü­mee zie­hen Sie aus den Ärz­te­pro­tes­ten vom 14. Dezem­ber?
Stein­hart: An die­sem Streik- und Akti­ons­tag hat es die unter­schied­lichs­ten Akti­vi­tä­ten gege­ben: ange­fan­gen von Pres­se­kon­fe­ren­zen über Infor­ma­tio­nen in den sozia­len Medien, in den Bun­des­län­dern wurde Infor­ma­ti­ons­ma­te­rial an die Bevöl­ke­rung ver­teilt, es gab zahl­rei­che mediale Akti­vi­tä­ten und öster­reich­weit Inse­rate in Tages­zei­tun­gen und wir haben Briefe an die Bun­des­re­gie­rung, die Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten und auch die Bür­ger­meis­ter geschickt. Ins­ge­samt war es ein dich­tes Paket von Maßnahmen.

Gestreikt wurde ja nur in drei Bun­des­län­dern.
Ja, in Wien haben wir dann auch noch kurz­fris­tig einen Pro­test­marsch durch die Innen­stadt orga­ni­siert. Und nach wie vor auf­recht ist ja die ange­drohte Ver­trags­kün­di­gung in der Stei­er­mark. In Ober­ös­ter­reich hat man sich ja bekannt­lich Mitte Jän­ner die­ses Jah­res geei­nigt, obwohl auch in die­sem Bun­des­land die Ver­trags­kün­di­gung im Raum stand.

Und trotz­dem wurde das Gesund­heits­pa­ket im Par­la­ment beschlos­sen.
Es ist uns gelun­gen, eini­ges auf dem Ver­hand­lungs­weg her­aus zu rekla­mie­ren. Man darf sich aber kei­ner Illu­sion hin­ge­ben: Mit die­sen Beschlüs­sen ist das Fun­da­ment gelegt wor­den, um den freien Arzt­be­ruf zu ver­drän­gen. Und nicht nur das: Man will auch die Ärz­te­kam­mer aus den Ent­schei­dungs­pro­zes­sen über die Ver­sor­gungs­pla­nung hinausdrängen.

Für den Aus­bau der Pri­mär­ver­sor­gung soll es künf­tig ja kon­kret 200 Mil­lio­nen Euro geben.
Hier muss man ehr­li­cher­weise dazu sagen, dass die immer wie­der ins Spiel gebrach­ten 200 Mil­lio­nen Euro im Bud­get der Sozi­al­ver­si­che­rung ein­fach umge­schich­tet wer­den. Oder anders gesagt: Die­ses Geld wird ein­fach vom aktu­el­len Hono­rar­vo­lu­men abge­zweigt. Dabei han­delt es sich also nicht um ‚fri­sches Geld‘.

Wie geht es nun wei­ter?
In den bis­her ins­ge­samt 16 Ver­hand­lungs­run­den über die künf­tige Pri­mär­ver­sor­gung sind wir ja eigent­lich kei­nen Schritt wei­ter­ge­kom­men. Ich hoffe nun auf kon­struk­tive Gesprä­che, in denen die Exper­tise von uns Ärz­ten nun end­lich auch berück­sich­tigt wird.

Wenn man hier auf kei­nen grü­nen Zweig kommt?
Zuerst wird ver­han­delt. Aber eines ist auch klar: Wenn wir hier nicht wei­ter­kom­men, sind die bis­he­ri­gen Aktio­nen nur der Anfang von wei­ter­füh­ren­den Pro­tes­ten. Man soll ein an sich funk­tio­nie­ren­des Ver­sor­gungs­sys­tem nicht will­kür­lich zer­stö­ren, son­dern aus­bauen. Ich bin dage­gen, dass man unter dem Deck­man­tel der Gesund­heits­re­form ratio­niert. Man muss für die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung – und zwar in dem erfor­der­li­chen Aus­maß – auch eine aus­rei­chende finan­zi­elle Bede­ckung zur Ver­fü­gung stel­len. Ich bin davon über­zeugt, dass ein brei­tes wohn­ort­na­hes Ange­bot tau­send­mal bes­ser ist als ein­heit­li­che Staats­me­di­zin. Zei­gen uns doch aktu­elle Umfra­gen, dass für 83 Pro­zent der Befrag­ten bei gesund­heit­li­chen Pro­ble­men der Haus­arzt der erste Ansprech­part­ner ist. 92 Pro­zent wol­len immer zum glei­chen Haus­arzt gehen. Und die Men­schen mer­ken mitt­ler­weile auch schon, dass sich das Sys­tem in die fal­sche Rich­tung ent­wi­ckelt. Nur ein Drit­tel glaubt, dass die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen gut und rich­tig sind.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2017