Drogen und Medikamente im Darknet: Anonym und illegal

15.08.2017 | Politik

Im Darknet hat sich weltweit der Drogenhandel fest etabliert und ist im Steigen begriffen. Auf einer einzigen großen Plattform finden sich bereits rund 1.800 Verkäufer mit mehr als 32.000 Angeboten – Cannabis, das Amphetamin MDMA und Arzneimittel stehen an erster Stelle. Von Marlene Weinzierl

Laut Europäischem Drogenbericht 2016 wird in Europa jedes Jahr mehr als eine Million Sicherstellungen illegaler Drogen gemeldet. Mit mehr als drei Viertel aller Aufgriffe liegt Cannabis an erster Stelle, gefolgt von Kokain, Amphetaminen, Heroin und MDMA (MDMA war in den 1980er Jahren mit der Droge Ecstasy synonym). Dabei gewinnt der illegale Drogenhandel in anonymen Einkaufsplattformen zunehmend an Bedeutung. „Das Darknet ist in den letzten Jahren explodiert. Es hat sich in vielen verschiedenen Bereichen speziell im Suchtmittelhandel als zusätzliche Verkaufsform etabliert“, sagt Daniel Lichtenegger vom Büro für Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt.

Fünf Prozent der mehr als 100.000 Teilnehmer an der weltweiten Drogenstudie von 2016 gaben an, vor dem Erwerb im Darknet überhaupt keine Drogen konsumiert zu haben (www.globaldrugsurvey.com). Genaue Zahlen zu den Vorgängen im Darknet kennt man naturgemäß nicht. Durch die leichtere Verfügbarkeit sei es aber auch für Personen in entlegenen Gebieten einfacher geworden, zu illegalen Rauschmitteln zu gelangen, weiß Lichtenegger. „Wir sehen beispielsweise, dass der Postversand von Rauschmitteln massiv angestiegen ist. Dabei geht es längst nicht mehr um Kleinstmengen in Briefkuverts. Es werden heute ohne weiteres bis zu 500 Gramm Suchtmittel regelmäßig in Paketen verschickt.“ Die Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Darknet stellt die Polizei speziell beim Postverkehr vor große Herausforderungen, was „den strikten rechtlichen Rahmenbedingungen des Briefgeheimnisses geschuldet ist“, so Lichtenegger.

Was man ob der steigenden Zahlen aber nicht vergessen darf: Suchtmittelkriminalität ist ein Kontrolldelikt. „Durch die intensiveren Ermittlungen der Polizei im Darknet gibt es jetzt auch mehr Anzeigen, die dann in der Statistik aufscheinen“, gibt Lichtenegger zu bedenken. Ziel der Polizei ist es, zu den Händlern vorzudringen, die aber weltweit verstreut sind. Viele Verkäufer befinden sich eigenen Angaben zufolge in Großbritannien. Von Großbritannien wird allerdings relativ wenig auf das europäische Festland verschickt; oft erfolgt der Versand aus einem anderen Land als erwartet, berichtet der Experte. Sehr viele Aufgriffe gebe es im holländisch-deutschen Grenzbereich. Auf eine internationale Zusammenarbeit wird daher großer Wert gelegt. Österreich nimmt hinsichtlich der Expertise zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Darknet eine „Vorreiterrolle“ (Lichtenegger) ein. 2015 hat das Büro zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt ein von der EU gefördertes Projekt zur Bekämpfung von virtuellen Märkten initiiert. Daran nehmen unter anderem alle EU-Mitgliedsstaaten, die USA, Schweiz und die Ukraine teil. Hintergrund ist etwa auch, dass österreichische Abnehmer auf einer der drei größten Plattformen, deren Namen Lichtenegger lieber nicht zu oft in den Medien genannt wissen möchte, sehr stark vertreten sind. Dabei handle es sich allerdings oft nicht nur um Konsumenten, sondern auch um Subdealer, die die Substanzen weiterverkaufen – im Internet, im Darknet, auf der Straße oder an Freunde.

Statistische Daten werden erst mit Projektende im Herbst dieses Jahres erwartet; in einem Ermittlungsfall wurden jedoch bereits im Laufe eines Jahres beachtliche 14.000 Bestellungen und 6.000 Konsumenten von illegalen Drogen registriert. Innerhalb von 16 Monaten betrug der Umsatz 4,4 Millionen Euro. Ein weiteres Projekt habe kürzlich gezeigt, dass Österreich beim Versand von tausenden Suchtmittelpaketen über den Flughafen Frankfurt gleich nach den USA auf Platz 2 der Empfängerländer stand, erzählt Lichtenegger. Darüber hinaus ergab eine Analyse einer großen Plattform, dass es dort momentan etwa 1.800 Verkäufer im Suchtmittelbereich gibt, die mehr als 32.000 Angebote ins Darknet stellen; darunter befinden sich etwa 120 Verkäufer, die 1.300 psychotrope Substanzen anbieten.

Anstieg bei psychotropen Substanzen

Seit einiger Zeit verzeichnen die Ermittler auch eine Zunahme an psychotropen Substanzen im Darknet. Auch in Österreich sind die Aufgriffe nach einem deutlichen Rückgang im Jahr 2015 mit etwa 160 Sicherstellungen von rund 3.000 Tabletten voriges Jahr wieder leicht gestiegen. Die sechs häufigsten aufgegriffenen Wirkstoffe waren Diazepam, Alprazolam, Clonazepam, Lorazepam, Oxazepam und Bromazepam. Die Anzeigen betrafen meist Personen zwischen 25 und 39 Jahre, mehr als 80 Prozent davon waren Männer. Eine besondere Rolle im Suchtmittelbereich spielen auch neue psychoaktive Substanzen – sogenannte Research Chemicals, Legal Highs oder Designerdrogen. Diesen Substanzen ist gemein, dass sie hauptsächlich in Asien produziert werden und nur durch kleine Veränderungen an der Molekularstruktur immer wieder neue chemische Verbindungen geschaffen werden. Lichtenegger dazu: „Es begann vor Jahren mit Spice und ‚Badesalzen‘, was schließlich ein eigenes Gesetz, das Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz, zur Folge hatte. Heute gibt es mehr als 600 verschiedene neue psychoaktive Substanzen und es werden jedes Jahr mehr.“

In Großbritannien kauft mehr als die Hälfte der dort ansässigen Konsumenten neue psychoaktive Substanzen bereits online, berichtet Christoph Baumgärtel von der AGES Medizinmarktaufsicht. Das Problem dabei: „Diese psychoaktiven Substanzen wirken ähnlich wie viele andere synthetische Suchtgifte und werden oft einfach durcheinandergemischt. Dadurch ist die Gesundheitsgefährdung viel höher als bei anderen illegalen Drogen und es kann zu Wechselwirkungen kommen“, wie Lichtenegger erläutert. Bundeskriminalamt und AGES arbeiten eng zusammen; sicher gestellte Substanzen werden im Official Medicinal Control Laboratory (OMCL) analysiert. „Erst durch das Gutachten des Kontrolllabors ist eine Strafverfolgung möglich“, unterstreicht Baumgärtel. Und weiter: „Von den beschlagnahmten Medikamenten, die wir zur Analyse bekommen, sind 95 Prozent Fälschungen.“ Es gebe viele Überdosierungen, die akut lebensbedrohlich sein können, speziell bei Amphetamintabletten. „Aktuell gibt es wieder die Warnung, dass hier sehr viele extrem hochdosierte Pillen im Umlauf sind“, so der Experte. So verwenden Studenten beispielsweise Ritalin gerne als Aufputschmittel. Nicht selten gibt es auch Produkte, die gefährliche Streckmittel oder Verunreinigungen wie Strychnin, Straßenfarbe, Möbelpolitur und Rattenkot enthalten. Die Grenzen zwischen Arzneimittel und Rauschmittel verschwimmen oft. „Wir finden viele Viagra-artige Produkte und illegale Schlankheitsmittel. Eine Modedroge mit amphetaminähnlicher Wirkung, die wir ohne Deklarierung sehr oft in angeblich rein pflanzlichen Aktivpillen finden, ist Geranium“, führt Baumgärtel aus. Andererseits gibt es natürlich auch Fälle, in denen der Konsument statt des Wirkstoffs nur gepresste Lactose erhalten hat. Aber: „Auch im Darknet gibt es Kundenbewertungen. Sie haben zur Folge, dass der Wirkstoffgehalt der online angebotenen illegalen Drogen zumindest teilweise viel höher ist als jene der im Straßenverkauf erstandenen Ware“, macht Lichtenegger aufmerksam. Preislich gibt es ebenfalls Unterschiede. Waren die Rauschmittel im Darknet anfangs noch teurer als im Straßenverkauf, beobachtet Lichtenegger heute, dass die Produkte im Darknet meist billiger angeboten werden, was wiederum Subdealer anzieht.

Folgen: schwer abschätzbar

Auch sehr viele Arzneimittel, die über das Internet vertrieben werden, sind „sehr gut“ (Lichtenegger) gemachte Fälschungen und lassen sich nur über Chargennummern oder Analyse des Inhaltsstoffes entdecken. Grundsätzlich bestehe immer die Gefahr, dass sie in den legalen Kreislauf kommen, wobei der Experte dieses Problem eher in anderen Ländern als in Österreich mit seinen hohen Qualitätskontrollen und geregelten Transportketten sieht. Die Folgen des illegalen Online-Handels auf den legalen Verkauf von Medikamenten sind schwer abzuschätzen. Das Problem beginnt in den Augen von Baumgärtel allerdings nicht erst im Darknet: „Möchte ein Patient ein Medikament erstehen, für das er ohne medizinische Indikation kein Rezept erhält, kann er das ganz einfach über die Google-Suche machen, über die er nur allzu schnell zu einer illegalen Online-Apotheke gelangt.“ Das ist nicht unbedingt Absicht: Viele Konsumenten könnten legale Online-Apotheken nicht von mittlerweile professionell gestalteten illegalen unterscheiden und wissen nicht, dass in den rund 40 legalen Internetapotheken Österreichs nur rezeptfreie Arzneispezialitäten verkauft werden dürfen. Seit 2015 müssen legale Online-Apotheken deshalb europaweit ein Prüflogo auf ihrer Website anführen, das nur über einen aktiven Link zur Website der zuständigen Behörde gültig ist und zu näheren Informationen über die Apotheke führt (in Österreich: www.basg.gv.at/inspektionen/versandapotheken).

Das Darknet

Darknet- oder Kryptomärkte sind Online-Verkaufsplattformen, die bestimmte Technologien zum Schutz Personen-bezogener Daten einsetzen. Gehandelt werden zumeist illegale Waren und Dienstleistungen aller Art, darunter auch Drogen sowohl auf dem Niveau des Großhandels als auch für den Eigenkonsum. Die Transaktionen sowie die physischen Standorte der Server werden verschleiert. Dies gelingt etwa durch Anonymisierung mittels Tor-Browser, der die IP-Adresse des Computers verbirgt oder durch Zahlung mit schwer rückverfolgbaren virtuellen Währungen (meist Bitcoins). Außerdem ist die Kommunikation zwischen den Marktteilnehmern verschlüsselt und die Plattformen sind dezentralisiert, um Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden zu unterlaufen.

Dem Europäischen Drogenbericht 2016 zufolge werden im Darknet hauptsächlich Cannabis-Produkte, das Amphetamin MDMA und zahlreiche Arzneimittel angeboten. Derzeit geht man davon aus, dass die Darknet-Märkte nur einen kleinen Teil des Handels mit illegalen Drogen ausmachen. Aufgrund der steigenden Zahl an Bestellungen im Internet beziehungsweise im Darknet erwarten Experten jedoch
einen Anstieg der Suchtmittelkriminalität.

www.emcdda.europa.eu
www.bmi.gv.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2017