Sport nach Kreuz­bandrup­tur: Wie­der­ein­stieg variabel

25.03.2017 | Medizin

Je nach Art der Belas­tung kann der sport­li­che Wie­der­ein­stieg nach einer Kreuz­ban­d­ope­ra­tion drei Monate bis zu einem Jahr dau­ern. Wäh­rend etwa Jog­gen oder Rad­fah­ren schon nach drei Mona­ten wie­der mög­lich sind, kann es bei Risi­ko­s­port­ar­ten wie Ball- und Kampf­sport oder Schi­fah­ren bis zu einem Jahr dau­ern – sogar bei Per­so­nen, die viel trai­nie­ren. Von Mar­lene Weinzierl

In Öster­reich reißt etwa jede Stunde ein vor­de­res Kreuz­band, berich­tet Assoz. Prof. Patrick Sadoghi von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die und Trau­ma­to­lo­gie an der Med­Uni Graz. Die Frage „kon­ser­va­tiv oder chir­ur­gisch?“ ent­schei­det laut Assoz. Prof. Chris­tian Fink, Fach­arzt für Unfall­chir­ur­gie in Inns­bruck, dar­über, wann der Betrof­fene wie­der mit sport­li­chen Akti­vi­tä­ten begin­nen kann. Ein Umden­ken regis­triert Fink auch bei den Pati­en­ten mit Kreuz­bandrup­tur bezüg­lich der Frage: Wer kehrt rascher ins sport­li­che Gesche­hen zurück? Die Betrof­fe­nen wüss­ten um das Risi­ko­po­ten­tial, das durch Mus­kel­atro­phien und Koor­di­na­ti­ons­ver­luste ent­steht, und las­sen sich mit dem Wie­der­ein­stieg in Belas­tung und Sport heute zuneh­mend mehr Zeit als früher.

Ein ope­ra­ti­ver Ein­griff ist oft nicht not­wen­dig und hängt immer von der Akti­vi­tät des Pati­en­ten und der Bean­spru­chung des Knies ab, so die Exper­ten uni­sono. Dabei geht es längst nicht nur um Leis­tungs­sport: Auch kör­per­lich belas­tende Berufe oder Fuß­ball mit den (Enkel-)Kindern erfor­dern die Sta­bi­li­tät des Knies, das durch eine kon­ser­va­tive Behand­lung in Form von Mus­kel­auf­bau allein nicht erreicht wer­den kann. Bei die­ser Pati­en­ten­gruppe ten­diert man des­halb zu einer Ope­ra­tion. Mit der Ope­ra­tion allein ist es jedoch „noch lange nicht getan“, betont Fink. „Zahl­rei­che Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men sind im Anschluss not­wen­dig, um die voll­stän­dige Funk­tion des Knies wie­der her­zu­stel­len.“ Sadoghi ergänzt: „Die Wie­der­be­last­bar­keit nach einer Ope­ra­tion stellt den vul­nerabels­ten Moment der gesam­ten Rekon­struk­tion dar und sollte vom Ope­ra­teur fest­ge­legt werden.“

Für Akti­vi­tä­ten wie gemüt­li­ches Schi- oder Rad­fah­ren reicht die kon­ser­va­tive The­ra­pie aus, betont Fink. Bei der Wahl der rich­ti­gen The­ra­pie wird der Betrof­fene im bes­ten Fall damit belohnt, dass das Knie rascher wie­der belas­tet und mit sport­li­chen Akti­vi­tä­ten begon­nen wer­den kann. Wie rasch der Wie­der­ein­stieg tat­säch­lich gelingt, hängt aller­dings auch von zusätz­li­chen Ver­let­zun­gen wie Menis­kus- oder Knor­pel­schä­den ab: Muss der Menis­kus genäht wer­den, kann es vor­kom­men, dass der Pati­ent das betref­fende Knie die ers­ten drei oder vier Wochen­über­haupt nicht belas­ten kann, berich­tet Fink. Außer­dem vari­iert der Grad der Insta­bi­li­tät bei Kreuz­bandrup­tu­ren von Pati­ent zu Pati­ent stark.

Sadoghi weist dar­auf hin, dass bei sym­pto­ma­ti­schen Pati­en­ten, die unter „Giving-way-Atta­cken“ lei­den (auf­grund unzu­rei­chen­der Band­sta­bi­li­tät gibt das Knie nach) und kon­ser­va­tiv behan­delt wer­den, zunächst eine sechs­wö­chige Phy­sio­the­ra­pie erfolgt, um das Gelenk iso­me­trisch zu trai­nie­ren. Erst im Anschluss daran ist eine Belas­tungs­stei­ge­rung vor­ge­se­hen. Ist das Knie wei­ter­hin insta­bil, ist von einer anhal­ten­den Insuf­fi­zi­enz aus­zu­ge­hen. Ver­läuft die kon­ser­va­tive The­ra­pie frus­tran, wol­len etwa 40 Pro­zent der sym­pto­ma­ti­schen Pati­en­ten eine Ope­ra­tion, weiß Sadoghi. In die­sen Fäl­len hängt die Rege­ne­ra­ti­ons­phase neben dem Kraft­auf­bau und der Pro­prio­zep­tion auch von der Hei­lung des Trans­plan­tats ab; sie dau­ert zwi­schen sechs und zwölf Wochen. Je nach Art der Belas­tung kann der Wie­der­ein­stieg nach einer Kreuz­band-Ope­ra­tion daher drei Monate (Jog­gen, Rad­fah­ren, Wan­dern) bis zu einem Jahr (Risi­ko­s­port­ar­ten) dau­ern. Dabei muss berück­sich­tigt wer­den, dass der Zeit­punkt, ab dem sport­li­che Akti­vi­tä­ten wie­der mög­lich sind, indi­vi­du­ell sehr ver­schie­den ist und auch vom Trai­nings- und Reha­bi­li­ta­ti­ons­zu­stand des Pati­en­ten abhängt. Emp­feh­lens­wert ist ein gra­du­ier­tes, über­wach­tes Pro­gramm unter Anlei­tung eines Sport­me­di­zi­ners oder Physiotherapeuten.

Bei einer iso­lier­ten Kreuz­bandrup­tur, die kon­ser­va­tiv behan­delt wird, ist nach einem Zeit­raum von zwei Wochen, in denen das Bein teil­be­las­tet wurde, wie­der nor­ma­les Gehen mög­lich. Nach dem Abschwel­len kann mit der schmerz­ad­ap­tier­ten Voll­be­las­tung und der Phy­sio­the­ra­pie begon­nen wer­den. Nach drei bis vier Wochen ist laut Fink bereits wie­der ein Trai­ning am Ergo­me­ter mög­lich. Sadoghi hin­ge­gen plä­diert für sechs Wochen Pause. Nach acht bis zehn Wochen bie­tet sich leich­tes Lauf­trai­ning an; nor­ma­les Rad­fah­ren auf der Straße oder mode­ra­tes Moun­tain biken auf einer Schot­ter­straße ist pro­blem­los nach zehn bis zwölf Wochen möglich.

Für die­je­ni­gen, die an Giving-way-Atta­cken lei­den, emp­fiehlt Sadoghi, nach drei Mona­ten wie­der mit dem Rad­fah­ren zu begin­nen, mit dem Lau­fen nach drei bis sechs Mona­ten. Pivo­ting-Sport­ar­ten mit einer hohen Rota­ti­ons­kom­po­nente wie Ball- und Kampf­sport, Kitesur­fen oder Schi­fah­ren soll­ten Fink zufolge frü­hes­tens nach sechs Mona­ten aus­ge­übt wer­den. Aller­dings: „Wir sehen, dass die wenigs­ten Pati­en­ten nach sechs Mona­ten ihre Defi­zite soweit aus­ge­gli­chen haben, dass ihnen ohne Beden­ken wie­der die Aus­übung eines Risi­ko­s­ports zuge­mu­tet wer­den kann. Auch Per­so­nen, die viel trai­nie­ren, brau­chen dafür oft neun Monate.“ Sadoghi emp­fiehlt des­halb, zwölf Monate zu war­ten, bis man wie­der mit einer Risi­ko­s­port­art beginnt.

Auf Warn­si­gnale achten

Das Alter spielt beim Wie­der­ein­stieg in den Sport keine Rolle, da spe­zi­ell ältere Men­schen oft beson­ders moti­viert sind. Fink dazu: „Ein Pro­blem ist aber, wenn über­mo­ti­vierte Pati­en­ten zu viel machen.“ Auch wenn das Knie bereits gut beweg­lich ist und sub­jek­tiv betrach­tet voll funk­ti­ons­fä­hig erscheint, dau­ert die Ein­heil­phase zwi­schen drei und sechs Mona­ten. Wäh­rend die­ser Zeit sind die mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten des Knies am kri­tischs­ten. Des­halb muss auf Warn­si­gnale geach­tet wer­den: „Ist das Knie dau­er­haft geschwol­len oder über­wärmt, so ist das ein Zei­chen dafür, dass das Knie zu früh zu star­ker Belas­tung aus­ge­setzt wurde.“

Jün­gere Per­so­nen, die Risi­ko­s­port­ar­ten betrei­ben, haben ein bis zu 20 Pro­zent erhöh­tes Risiko, sich wie­der zu ver­let­zen – am glei­chen Knie oder kon­tra­la­te­ral. Das Risiko für eine Re-Rup­tur bei ope­rier­ten vor­de­ren Kreuz­bän­dern liegt laut Lite­ra­tur im ers­ten post­ope­ra­ti­ven Jahr bei zwölf Pro­zent und fällt danach auf zwei bis acht Pro­zent. Bei den meis­ten Re-Rup­tu­ren han­delt es sich um ein trau­ma­ti­sches Gesche­hen: Wäh­rend die Rate an Non-Kon­takt-Ver­let­zun­gen bei der Ers­trup­tur des vor­de­ren Kreuz­ban­des 80 Pro­zent beträgt, liegt sie bei Re-Rup­tu­ren nur noch bei fünf Pro­zent. Risi­ko­fak­to­ren für die Re-Rup­tur des vor­de­ren Kreuz­ban­des sind Alter und Graft­typ: Junge Pati­en­ten mit Allo­graft-Trans­plan­ta­ten wei­sen mit bis zu 22 Pro­zent die höchste Rate an Re-Rup­tu­ren auf; ältere Pati­en­ten mit Auto­grafts zei­gen mit 0,6 Pro­zent die nied­rigs­ten Re-Rup­tur­ra­ten. Das Risiko für eine kon­tra­la­te­rale Rup­tur des vor­de­ren Kreuz­ban­des liegt bei acht bis 16 Prozent.

Belas­tungs- und Funktionstests

Auch wenn es bis heute keine ein­heit­li­chen Stan­dards gibt, exis­tie­ren inter­na­tio­nal aner­kannte Test­me­tho­den, mit denen die Sta­bi­li­tät des Knies über­prüft wer­den kann.

Beur­tei­lung der Kreuz­band-Sta­bi­li­tät anterior-posterior:

  • Lach­man-/Schub­la­den­test
  • KT1.000-Arthrometer

Beur­tei­lung der Rota­ti­ons­sta­bi­li­tät des Kniegelenks:

  • Pivot-Shift-Test
  • Roli­me­ter

Sys­te­ma­ti­sche Funk­ti­ons­tests zum Leis­tungs­ver­gleich von gesun­dem und ver­letz­tem Knie:

  • Sin­gle Leg Hop Test/​Triple Hop Test: ein­bei­ni­ger Sprung nach vorn – abwech­selnd mit dem gesun­den bezie­hungs­weise ver­letz­ten Bein. Sei­ten­dif­fe­renz: idea­ler­weise nicht grö­ßer als zehn Pro­zent, maximal 20 Pro­zent. Die Tests dür­fen frü­hes­tens sechs Monate nach einer Kreuz­ban­d­ope­ra­tion durch­ge­führt werden.

H:Q‑Ratio: Für ein aus­ge­wo­ge­nes Kräf­te­ver­hält­nis sollte das Ham­strings-Qua­dri­zeps-Ver­hält­nis bei min­des­tens 0,6 liegen.

Mes­sung des Mus­kel­um­fangs am Femur: Bei einer Sei­ten­dif­fe­renz von mehr als zwei Zen­ti­me­tern ist davon aus­zu­ge­hen, dass das schwä­chere Bein etwa 30 Pro­zent Kraft­de­fi­zit auf­weist, was laut Fink „keine gute Vor­aus­set­zung“ für den sport­li­chen Wie­der­ein­stieg darstellt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2017