Gen­der und Kar­dio­lo­gie: Frauen sind benachteiligt

25.05.2017 | Medizin

Öster­rei­chi­sche Frauen kom­men nach einem kar­dio­lo­gi­schen Not­fall spä­ter zur Inter­ven­tion. Es bedeu­tet auch, dass alle wei­te­ren Schritte ver­zö­gert erfol­gen. Auch haben Frauen ein erhöh­tes Mor­ta­li­täts­ri­siko bei einer Bypass-Ope­ra­ti­on­Von Mar­lene Weinzierl

Frauen haben heute bes­sere Chan­cen, inten­siv­me­di­zi­nisch betreut zu wer­den als noch vor 25 Jah­ren. Den­noch bele­gen fast alle Stu­dien zum Thema, dass Frauen bei einem kar­dio­lo­gi­schen Not­fall nach wie vor schlech­tere Chan­cen haben als Män­ner, schnell und adäquat ver­sorgt zu wer­den, berich­tet Univ. Prof. Mar­ga­re­the Hoch­leit­ner von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I der Med­Uni Innsbruck.

Fakt ist, dass Män­ner öfter als Frauen von einem aku­ten Herz­still­stand betrof­fen sind. Hoch­leit­ner ist daher nicht ver­wun­dert, dass koro­nare Herz­krank­hei­ten – beson­ders der Herz­in­farkt – noch immer männ­lich besetzt sind. „Bei Män­nern geht man nach wie vor bei ent­spre­chen­den Beschwer­den von einem Herz­in­farkt aus und ruft die Ret­tung, wäh­rend man bei Frauen zuerst an einen Kreis­lauf­kol­laps denkt und Trau­ben­zu­cker reicht oder die Beine hoch­la­gert.“ Das gelte zum einen für die Betrof­fe­nen selbst und deren Umfeld, aber „lei­der zum Teil auch noch für Mit­ar­bei­ter im Gesund­heits­sys­tem“, erklärt Hoch­leit­ner. Bewusst­seins­ar­beit sei daher drin­gend nötig: „Wir müs­sen uns dar­über klar sein, dass Frauen nahezu gleich viele koro­nare Events haben wie Män­ner und natür­lich die glei­che Akut­be­hand­lung brau­chen.“ Genau das sei aber nicht der Fall. Frauen wer­den bei Herz­still­stand spä­ter reani­miert und haben gerin­gere Chan­cen, sofort auf die Inten­siv­sta­tion gebracht zu wer­den und sofort oder im Zuge des ers­ten Auf­ent­hal­tes einen Herz­ka­the­ter zu erhal­ten, weiß Hochleitner.

Ver­zö­gerte Reaktion

Laut den Daten aus dem Wie­ner Infarkt­re­gis­ter, in dem seit 2003 alle aku­ten Myo­kard­in­farkte in Wien erfasst wer­den, holen Frauen mit einem aku­ten Myo­kard­in­farkt im Schnitt auch eine Stunde spä­ter Hilfe als männ­li­che Betrof­fene. Die Gründe dafür sind nicht bekannt; mög­li­cher­weise liegt es an der unkla­ren Sym­pto­ma­tik oder an sozia­len Fak­to­ren, so die Ver­mu­tung von Univ. Doz. Andrea Podc­zeck-Schweig­ho­fer von der 5. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung im Kai­ser- Franz-Josef-Spi­tal in Wien. „Die Daten las­sen jeden­falls dar­auf schlie­ßen, dass öster­rei­chi­sche Frauen gene­rell im Not­fall spä­ter zur Inter­ven­tion kom­men. Es bedeu­tet auch, dass alle wei­te­ren Schritte ver­zö­gert statt­fin­den.“ Die Exper­tin­nen geben zu beden­ken, dass genau diese Ver­zö­ge­run­gen zu einer gesund­heit­li­chen Ver­schlech­te­rung bei den Betrof­fe­nen füh­ren. Wird bei­spiels­weise Mus­kel­ge­webe in die­ser Zeit ver­stärkt in Bin­de­ge­webe umge­wan­delt, kann dies spä­ter deut­li­che Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen für die Betrof­fe­nen zur Folge haben.

Frauen haben nach wie vor ein höhe­res Risiko, bei einer Herz­ope­ra­tion zu ster­ben, wie Daten aus Deutsch­land bestä­ti­gen. Dem­nach ster­ben Frauen bis zum Alter von 50 Jah­ren häu­fi­ger an einer Herz­by­pass-Ope­ra­tion. Dies lasse sich mit einer „fata­len Kom­bi­na­tion von ver­schie­de­nen Risi­ko­fak­to­ren“ (Hoch­leit­ner) erklä­ren. Ein wesent­li­cher Punkt ist der Grö­ßen­un­ter­schied der Organe, da das männ­li­che Herz, aber auch die Koro­nar­ge­fäße deut­lich grö­ßer sind und bei Frauen zusätz­lich die klei­ne­ren, end­stän­di­gen Gefäße betrof­fen sind. Das hat zur Folge, dass ope­ra­tive Ein­griffe bei Män­nern ein­fa­cher durch­führ­bar sind.

Ein wei­te­rer Unter­schied: die Hämo­stase. Ein Teil der Kom­pli­ka­tio­nen bei Herz­ope­ra­tio­nen betrifft Gerin­nungs­pro­bleme, die in einem Insult enden kön­nen – auch davon sind Frauen häu­fi­ger betrof­fen. Dar­über hin­aus lei­den Frauen ganz gene­rell fünf bis zehn Jahre spä­ter unter koro­na­ren Herz­krank­hei­ten als Män­ner. Das höhere Alter der Frauen und die damit ver­bun­dene Mul­ti­mor­bi­di­tät zum Zeit­punkt der Herz­ope­ra­tion ist dem­nach ein wei­te­rer Risikofaktor.

Dar­über hin­aus sollte man immer daran den­ken, dass ein grip­pa­ler Infekt auch eine Herz­be­tei­li­gung haben kann. „Eine Myo­kar­di­tis wird auf­grund der unspe­zi­fi­schen Sym­pto­ma­tik sehr häu­fig über­se­hen – sowohl bei Frauen als auch bei Män­nern“, weiß Hoch­leit­ner. Frauen wei­sen durch ihr akti­ve­res Immun­sys­tem grund­sätz­lich einen bes­se­ren Schutz gegen Infek­tio­nen und eine gerin­gere Prä­va­lenz an Myo­kar­dit­i­den auf. Die­ser posi­tive Effekt ist ver­mut­lich auf das Östro­gen zurück­zu­füh­ren, das für die immu­no­lo­gi­sche Reak­tion auf eine Infek­tion maß­geb­lich ist.

Wenn die Ergo­me­trie der­zeit auch als Gold­stan­dard für das Scree­ning von koro­na­ren Herz­krank­hei­ten gilt, rela­ti­viert Hoch­leit­ner: „Das mag für Män­ner stim­men, ist bei Frauen jedoch zu hin­ter­fra­gen.“ Sie hält die Ergo­me­trie bei Frauen für nicht aus­sa­ge­kräf­tig genug und sollte ihrer Ansicht nach idea­ler­weise durch eine Echo­kar­dio­gra­phie, zum Bei­spiel Koro­nar-CT oder eine Ein­zel­pho­to­nen- Emis­si­ons­com­pu­ter­to­mo­gra­phie (SPECT) ersetzt wer­den. Die für die Patho­lo­gie typi­schen Ver­än­de­run­gen tre­ten bei der Ergo­me­trie bei Frauen in viel gerin­ge­rem Maße auf. „De facto gibt es bei ergo­me­tri­schen Unter­su­chun­gen an Frauen sehr viel häu­fi­ger falsch nega­tive und falsch posi­tive Ergeb­nisse“, betont Hoch­leit­ner. Ursa­che kann zum Bei­spiel die weib­li­che Brust als „Stör­fak­tor“ sein, zum ande­ren sind bei koro­na­ren Herz­er­kran­kun­gen eher die klei­nen Gefäße betrof­fen oder es lie­gen Spas­men vor, die ergo­me­trisch nicht detek­tiert wer­den kön­nen. Erho­len sich Men­schen län­gere Zeit nicht vonm einem ver­meint­li­chen grip­pa­len Infekt, sollte zumin­dest im Nach­hin­ein eine adäquate Herz­kon­trolle durch­ge­führt wer­den, rät Hochleitner.

Hyper­to­nie – eine der Haupt­ur­sa­chen für kar­dio­vas­ku­läre Mor­ta­li­tät – tritt bei Frauen erst spä­ter auf. In der Alters­gruppe der unter 45-Jäh­ri­gen haben mehr Män­ner Blut­hoch­druck und erlei­den mehr Herz­in­farkte, wäh­rend in der Alters­gruppe der über 50-Jäh­ri­gen mehr Frauen hyper­ton sind. Mit dem Ein­tritt der Meno­pause wer­den zwei mas­sive Risi­ko­fak­to­ren tra­gend: Zusätz­lich zur Hyper­to­nie ändern sich durch das Absin­ken des Östro­gen­spie­gels auch die Blut­fett­werte sowie deren Ver­tei­lung. Außer­dem liegt bei Frauen häu­fi­ger eine the­ra­pie­re­sis­tente Hyper­to­nie vor.

Bei knapp einem Drit­tel der Pati­en­ten ist der Insult jedoch auf Vor­hof­flim­mern zurück­zu­füh­ren, weiß Podc­zeck-Schweig­ho­fer. „Jüngste Daten aus dem öster­rei­chi­schen Schlag­an­fall-Regis­ter zei­gen, dass Vor­hof­flim­mern bei Frauen ein stär­ke­rer Risi­ko­fak­tor für das Auf­tre­ten eines ischä­mi­schen Insul­tes ist als bei Män­nern und dass Frauen öfter einen schwe­ren Insult haben. Bei den Berech­nun­gen des Schlag­an­fall­ri­si­kos mit­tels CHA­D2S2-VASc-Score wird des­halb das weib­li­che Geschlecht bereits als unab­hän­gi­ger Risi­ko­fak­tor geführt.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2017