Endometriose: Diagnose als Therapie

10.10.2017 | Medizin

Das Risiko für eine Endometriose scheint in mehr als 50 Prozent genetisch bedingt zu sein, so das Ergebnis von Zwillingsstudien. Die Biopsie sollte immer zusammen mit einer operativen Therapie wie der Excision oder Verödung erfolgen. Von Irene Mlekusch

Die meisten Patientinnen mit Endometriose suchen ärztlichen Rat, weil sie unter starken Unterbauchschmerzen leiden. Univ. Prof. Rene Wenzl von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien Dysparenunie, Dysmenorrhoe, Dyschezie, Dysurie, Darmprobleme und unerfüllten Kinderwunsch als weitere Symptome auf. Rückenschmerzen, chronische Erschöpfung, Infektanfälligkeit oder auch Brustschmerzen sind ebenfalls möglich, aber eher selten im Rahmen einer Endometriose. Dabei können bei ein und derselben Patientin fünf bis sieben der genannten Symptome auftreten. Der Schweregrad der Erkrankung korreliert allerdings nicht mit dem Schmerzempfinden der Patientinnen. „Der oft lange Leidensweg der Patientinnen bis zur Diagnose erklärt sich dadurch, dass die Symptome nicht pathognomonisch sind, die Diagnose meist nur mittels Laparoskopie möglich ist und die Vigilanz in der Bevölkerung und auch bei den Medizinern noch verbessert werden kann,” fasst Wenzl zusammen. Die Zahl der in Frage kommenden Differentialdiagnosen ist ebenso vielfältig wie die Symptome der Endometriose.Sie reicht vom prämenstruellen Syndrom über gastroenterologische bis hin zu urologischen Erkrankungen. Prof. Peter Schwärzler von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Landeskrankenhaus Villach macht darauf aufmerksam,dass Malignität auch eine mögliche Differentialdiagnose sein kann. „Während bis zu 20 Prozent der Operationen durch falsch positive Diagnosen von eigentlich funktionellen Abläufen wie Corpus luteumoder Follikelzysten eine Übertherapie darstellen, führen falsch negative Befunde zum Beispiel beim endometroiden Karzinom zu einer Prognoseverschlechterung.

”Die wahren Prävalenz- und Inzidenzraten in der Gesamtpopulation sind nicht genau bekannt, da es neben den asymptomatischen und symptomarmen Betroffenen viele Frauen gibt, die falsch oder erst spät diagnostiziert werden. Weltweit geht man in Studien von einer Prävalenz von zehn Prozent unter prämenopausalen Frauen aus. Neuen Daten zufolge liegt die Prävalenz zwischen zwei und fünf Prozent. „Wesentlich ist, dass sich in einem Risikokollektiv eine hohe Prävalenz findet”,ergänzt Wenzl. Bei Sterilitäts-Patientinnen beziehungsweise bei Frauen mit Unterbauchschmerzen fänden sich Prävalenzen von 20 bis 50 Prozent.

Die durch Endometriose verursachten Läsionen können entweder oberflächlich oder tief infiltrierend sein. Typische Regionen für Endometrioseherde sind die Ovarien in Form eines Endometrioms, weiters die Ligamenta sacrouterinum, latumuteri oder rotundum, der Douglas’sche Raum, Uterus und Tuben, Harnblase, Colon sigmoideum und Appendix, sowie Mesosalpinx. Vor allem nach operativen Eingriffen wie einer Sectio oder Hysterektomie können sich auch Herde entlang der Narben an der anterioren Bauchwand finden. Prinzipiell kann eine Endometriose überall im Körper auftreten. Läsionen  wurden unter anderem in der Brust, im Pankreas, der Leber, in der Gallenblase, Niere, Harnröhre, den peripheren Nerven, im Zentralnervensystem und auch in der Lunge beschrieben. Dort finden sich Endometrioseherde zwar eher selten; siekönnen aber zu einem erheblichen Leidensdruck führen und unter Umständen die Diagnose erschweren. In den meisten Fällen sind mehrere Areale involviert,wobei eine ortsspezifische Diagnostik essentiell für den weiteren Behandlungsplan ist. Dabei werden die Organgrenzen nicht eingehalten. „Das Wachstum von Endometriumschleimhaut in die Nerven und Blutgefäße hat nicht nur eine vernichtende Schmerzsymptomatik, sondern beeinträchtigt auch die Fertilität”, macht Schwärzler aufmerksam.

Pathogenese ungeklärt

Die Pathogenese der Endometriose ist nicht vollständig geklärt. Von den derzeit diskutierten Theorien wird jene vonder retrograden Menstruation am meisten akzeptiert. Man geht davon aus,dass bei 90 Prozent aller Frauen im reproduktiven Alter ein gewisser Anteil an retrograder Menstruation besteht. „Falls mehr als zehn Prozent der Menstruation retrograd erfolgen, liegt ein prädisponierender Faktor für die Entstehung einer Endometriose vor”, sagt Schwärzler und unterstreicht damit die Anlage-bedingte Komponente der Erkrankung. So konnte in Zwillingsstudien gezeigt werden, dass das Risiko für eine Endometriosein mehr als 50 Prozent erblich bedingt zu sein scheint; exakte Genlokalisationen konnten bisher aber nicht ermittelt werden. Da aber nur ein geringer Anteil der Frauen mit retrograder Menstruation an Endometriose erkrankt, müssen außer genetischen Faktoren auch andere biochemische und umweltabhängige Faktoren wie Ernährung und der BMI eine pathophysiologische Rolle spielen. Zu hinterfragen ist auch die Tatsache,dass sich bei Männern mit einem Prostatakarzinom unter Östrogentherapie und bei Mädchen vor der ersten Menarche schon Endometrioseherde finden können. Schwärzler sieht auch einen Zusammenhang zwischen der Säkularisierung und menstruellen Funktionsstörungen. „In den letzten 50 Jahren ist es zur Vorverlegung des durchschnittlichen Menarchealters um vier Jahre gekommen. Die Gebärmutter ist zu diesem Zeitpunkt zwar noch unreif, aber die Lebensumstände mit einem vollen Terminkalender führen zu einer Steuerung der Gehirnaktivität und in weiterer Folge zu einer erworbenen Funktionsstörung.” Weitere Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko für Endometriose assoziiert sind, sind Nullipara, Langzeiteinnahme von Östrogen, kurze Menstruationszyklen, Menorrhagie und Obstruktionen.

Anamnese und gynäkologische Exploration

Eine sorgfältige Anamnese und die gynäkologische Exploration können bereits konkrete Hinweise liefern und werden mit der speziellen Fragestellung durch bildgebende Verfahren ergänzt. „Wesentlich ist der transvaginale Ultraschall, der Endometriome und die tief infiltrierende Endometriose mit ausreichender Spezifität und Sensitivität darstellen kann”, betont Wenzl. Schwärzler sieht die Wertigkeit der Sonographie immer noch unterrepräsentiert, obwohl sich die Diagnosedauer in den vergangenen Jahren dank erfahrener Untersucher verkürzt hat. „Die bildgebende Diagnostik muss sich fokussieren und internationale Konsensusfindungen wie die International Deep Endometriosis Analysis Group haben das Ziel, die Definitionen und Formulierung von Ultraschallbefunden zu vereinheitlichen”, merkt Schwärzler an. Die International Deep Endometriosis Analysis Group (IDEA) schlägt bei Verdacht auf Endometriose einen standardisierten Ablauf des transvaginalen Ultraschalls in vier Schritten vor. Es sollten immer alle Untersuchungsschritte durchgeführt werden, wobei die Reihenfolge nebensächlichist. Für die Sonographie ist es von Vorteil, wenn die Blase nur wenig gefüllt ist.„Bei tief infiltrierender Endometriose ist auch ein Schall des Nierenhohlraumsystems essentiell, um eine Hydronephrose nicht zu übersehen”, bemerkt Wenzl. Auch die Vermessung der Läsionen sollte einheitlich in drei Ebenen erfolgen, um einen Vergleich von verschiedenen Befunden zu ermöglichen. Der Farbdoppler hat seinen Stellenwert in der Differenzierung zwischen tief infiltrierender Endometriose im Bereich des Darms und einem Rektumkarzinom. Liegt die Endometriose außerhalb des kleinen Beckens, empfiehlt Wenzl ein MRT. Bei der Diagnose einer thorakalen Endometriose liefert die MRT gute Ergebnisse. Dabei kann ein erfahrener Radiologe auch seltene extraperitoneale Lokalisationen wie Infiltrationen der Nerven identifizieren.

Die definitive Diagnose „Endometriose“ erfolgt allerdings weiterhin mittels Laparoskopie und aufgrund der Histologie der biopsierten Läsionen. Die visuelle Inspektion allein reicht für die Diagnose nicht aus, da sie sehr stark von der Expertise des Untersuchers abhängt. „Die Biopsie sollte gleichzeitig von einer operativen Therapie wie der Excision oder Verödung begleitet sein. Ein rein diagnostischer Eingriff sollte eigentlich nicht mehr durchgeführt werden”, betont Wenzl. Schwärzler ergänzt, dass der Ultraschall die Laparoskopie deshalb nicht ersetzen könne, weil keine Therapieoption bestehe.

Bislang konnten keine für die Endometriose pathognomonischen Laborwerte gefunden werden. Die Konzentration von CA125 im Serum kann zwar bei Frauen mit Endometriose erhöht sein, ist aber derzeit nicht von diagnostischem Wert, da die Konzentration auch bei vielen anderen Erkrankungen ansteigen kann. Aufgrund der Gemeinsamkeiten der Angiogenese in endometrischen Läsionen und der Angiogenese im Rahmen der Wundheilung wurde eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren untersucht; VEGF könnte als entsprechender Marker für Endometriose gelten. So konnte auch 2017 gezeigt werden, dass die Adhäsionsmoleküle VCAM-I und ICAM-I im ektopischen Endometriosegewebe verstärkt ausgeschüttet werden. Vor allem das Serum sVCAMI erweist sich als vielversprechender Biomarker, der möglicherweise als einfaches nicht-invasives Instrument zur Diagnose der Endometriose herangezogen werden könnte. Die Berechnung der sVCAM-I/sICAM-Ratio wird diskutiert und bedarf weiterer Untersuchungen. „Viele Zentren suchen nach validen Markern. Aber derzeit sind noch keine verfügbar“, resümiert Wenzl.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2017