CED und Psy­che: Lange unterschätzt

30.06.2017 | Medizin

Die sekun­dä­ren Fol­gen einer chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kung wur­den bis­lang unter­schätzt: Die Betrof­fe­nen wei­sen drei­mal so oft eine depres­sive Stö­rung auf als die Nor­mal­be­völ­ke­rung. Etwa die Hälfte der Pati­en­ten mit einer CED benö­tigt zumin­dest kurz­fris­tig psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung.
Von Mar­lene Weinzierl

Neu­es­ten Erkennt­nis­sen zufolge wei­sen chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kun­gen eine mul­ti­fak­to­ri­elle Genese auf. „Auch die Psy­che spielt, sofern eine Prä­dis­po­si­tion vor­han­den ist, eine wich­tige Rolle“, erklärt Univ. Prof. Gabriele Moser von der Spe­zi­al­am­bu­lanz für gas­tro­en­te­ro­lo­gi­sche Psy­cho­so­ma­tik an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III am AKH Wien. So wurde in meh­re­ren aktu­el­len Top-Publi­ka­tio­nen Lang­zeit­stress als erheb­li­cher Risi­ko­fak­tor sowohl bei Coli­tis ulce­rosa als auch bei Mor­bus Crohn ein­ge­schätzt. „Man nimmt an, dass auch das Immun­sys­tem bei der Ent­ste­hung der Krank­hei­ten eine fun­da­men­tale Rolle spielt, die durch das Mikro­biom beein­flusst wird“, ergänzt Univ. Prof. Her­bert Tilg von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Ist die Mukosa-Bar­riere gestört, kann eine durch ein­drin­gende Krank­heits­er­re­ger ent­ste­hende Über­re­ak­tion des Immun­sys­tems zu inflamm­a­to­ri­schen Reak­tio­nen füh­ren. „Alles, was Ein­fluss auf das Mikro­biom nimmt, kann auch einen Ein­fluss auf das Ent­zün­dungs­ge­sche­hen haben“, führt Univ. Prof. Harald Vogel­sang von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien aus. Und wei­ter: „Auch Stress hat einen Ein­fluss. Er kann vor allem zur Ent­ste­hung von Schü­ben beitragen.“

The­ra­pie meist erfolgreich

Zwar han­delt es sich bei Mor­bus Crohn und Coli­tis ulce­rosa um chro­ni­sche Erkran­kun­gen, die in der Regel eine Behand­lung über viele Jahre hin­weg erfor­dern. Jedoch müsse man den Pati­en­ten auch sagen, „dass wir sie heute in den meis­ten Fäl­len erfolg­reich the­ra­pie­ren kön­nen“, berich­tet Tilg. Moser ergänzt: „Es stellt im Krank­heits­ver­lauf einen zusätz­li­chen Risi­ko­fak­tor dar, wenn man dem Pati­en­ten nicht hilft, seine chro­ni­sche Stress­be­las­tung los­zu­wer­den.“ Auch wenn sich ein Betrof­fe­ner in einer Remis­si­ons­phase befin­det, kann durch Stress oft eine funk­tio­nelle Reiz­darm­stö­rung auf­tre­ten, die sich in Bauch­krämp­fen und Durch­fäl­len äußert – ohne jeg­li­che Entzündung.

Auch die sekun­dä­ren Fol­gen die­ser Erkran­kun­gen wur­den laut Moser viel zu lange unter­schätzt: Depres­sive Stö­run­gen tre­ten bei Pati­en­ten mit Mor­bus Crohn oder Coli­tis ulce­rosa drei­mal häu­fi­ger auf als in der Nor­mal­be­völ­ke­rung: je jün­ger die Pati­en­ten, umso grö­ßer das Risiko. Min­des­tens 20 Pro­zent der Betrof­fe­nen lei­den unter Depres­sio­nen, in den Akut­pha­sen der Erkran­kung sogar mehr als die Hälfte. Dar­über hin­aus haben 37 Pro­zent Angst­stö­run­gen. Zumin­dest 30 Pro­zent der Betrof­fe­nen ver­heim­li­chen ihre Erkran­kung am Arbeits­platz, Pati­en­ten mit schwe­ren Ver­läu­fen müs­sen ihren Job auf­ge­ben und ver­zich­ten oft auf Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten mit Freun­den, was zum sozia­len Rück­zug führt und eine vor­han­dene Depres­sion oder Ängst­lich­keit zusätz­lich ver­stärkt. Moser wei­ter: „Ein Drit­tel der Pati­en­ten, die die Kli­nik auf­grund von Ent­zün­dun­gen oder auch nur zur Rou­ti­ne­kon­trolle regel­mä­ßig auf­sucht, hat des­halb hohen Bedarf an zusätz­li­cher psy­chi­scher Betreu­ung.“ Wei­tere 20 Pro­zent benö­ti­gen eine psy­cho­so­ma­ti­sche Beglei­tung nur bei Auf­tre­ten eines Schubs oder bei pri­va­ten wie beruf­li­chen Belas­tun­gen. Hier reicht meist eine kurz­fris­tige Betreu­ung aus. Außer­dem müsse man dif­fe­ren­zie­ren: Bei jenen Pati­en­ten, die die Kli­nik nicht auf­su­chen, weil sie über einen lan­gen Zeit­raum in Remis­sion sind oder kaum Schübe haben, tre­ten psy­chi­sche Erkran­kun­gen ebenso häu­fig auf wie in der Normalbevölkerung.

Vogel­sang dazu: „Nicht jeder Pati­ent mit einer chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kung muss auto­ma­tisch psy­cho­so­ma­tisch behan­delt wer­den.“ Immer­hin: Die Hälfte der Erkrank­ten benö­tigt dies­be­züg­lich keine Hilfe. Gemäß den aktu­el­len Leit­li­nien sollte jedoch vor allem in spe­zia­li­sier­ten Zen­tren eine aus­führ­li­che Erhe­bung der Stress­fak­to­ren und psy­cho­so­zia­len Belas­tun­gen mit­tels Fra­ge­bo­gen erfol­gen, macht Moser auf­merk­sam. Dar­auf zuge­schnit­ten könne dem Pati­ent dann eine inte­grierte psy­cho­so­ma­ti­sche Betreu­ung mit ein­fa­chen unter­stüt­zen­den Gesprä­chen, Ent­span­nungs­tech­ni­ken oder Hyp­nose ange­bo­ten wer­den. „Viele Pati­en­ten sind heil­froh, wenn sie gefragt wer­den, ob sie psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung benö­ti­gen“, unter­streicht Moser.

Psy­cho­the­ra­pie kann vor allem bei Kin­dern und Jugend­li­chen – sofern sie früh genug ein­setzt – tat­säch­lich den gesam­ten Krank­heits­ver­lauf ver­bes­sern, wie Moser ausführt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​30.06.2017